Die Eventualverpflichtung bei Erdbeben ist eine Scheinlösung
Erdbeben sind zwar selten, können aber immense wirtschaftliche Schäden verursachen und schwerwiegende soziale Folgen haben. Doch bisher hat sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung gegen dieses Risiko abgesichert. Dies will der Bundesrat mit der sogenannten «Erdbebenversicherung mittels Eventualverpflichtung» ändern. Wir erklären, was es damit auf sich hat und warum der Schweizerische Versicherungsverband SVV den vom Bundesrat erarbeiteten Vorschlag für eine Eventualverpflichtung ablehnt.
In der Schweiz sind Erdbeben, obwohl sehr selten, aufgrund der dichten Besiedlung und der hohen Konzentration von Sachwerten eindeutig die Naturgefahr mit dem grössten Schadenpotenzial. Das zeigt auch das neue Erdbebenrisikomodell des Schweizerischen Erdbebendienstes an der ETH Zürich. Die gute Nachricht: Erdbeben sind privatwirtschaftlich versicherbar, weil sie alle Bedingungen der Versicherbarkeit erfüllen. Die schlechte Nachricht: Nur rund 15 Prozent der hiesigen Hauseigentümerinnen und -eigentümer sind bisher gegen Schäden durch Erdbeben versichert. Im Falle eines Erdbebens ist daher aktuell mit einem enormen «Protection Gap» zu rechnen.
Die Schweizer Politik hat sich zum Ziel gesetzt, diese Versicherungslücke zu schliessen. Der Bundesrat hat daher 2021 vom Parlament den Auftrag erhalten, einen Vorschlag für eine «Erdbebenversicherung mittels Eventualverpflichtung» auszuarbeiten. Dazu braucht es eine Verfassungsänderung. Die entsprechende Vernehmlassung wurde eröffnet und läuft bis Ende März 2024.
«Erdbebenversicherung mittels Eventualverpflichtung»
Der Bundesrat hat 2021 vom Parlament den Auftrag erhalten, einen Vorschlag für eine Erdbebenversicherung mittels Eventualverpflichtung auszuarbeiten. Dazu braucht es eine Verfassungsänderung. Die entsprechende Vernehmlassung wurde eröffnet und läuft bis Ende März 2024.
Bei der Erdbebenversicherung mittels Eventualverpflichtung wird erst im Fall eines starken Erdbebens mit grossen Schadenfolgen von den Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümern in der Schweiz ein Beitrag zur Wiederherstellung oder -aufbau beschädigter Gebäude erhoben im Gegensatz zu einer Versicherung, wo jährlich Prämien bezahlt werden.
Der Schweizerische Versicherungsverband SVV begrüsst den Willen des Gesetzgebers, eine Lösung für das Erdbebenrisiko zu finden, lehnt aber die vorgeschlagene Eventualverpflichtung aus folgenden 6 Gründen ab:
Erdbeben sind ein privatwirtschaftlich versicherbares Risiko. Bevölkerung und Wirtschaft können sich bereits heute gegen Erdbeben versichern.
Konkret: Das Risiko Erdbeben erfüllt alle Voraussetzungen der Versicherbarkeit: Zufälligkeit, Unabhängigkeit, Eindeutigkeit, Kenntnis der Schadenverteilung, Berechenbarkeit der Prämie sowie vorhandene Versicherungskapazitäten. Eine ausgezeichnete Datenlage und eine wachsende Anzahl von Risikomodellen machen Erdbeben zu einem berechenbaren Risiko. Da Erdbeben versicherbar sind, stehen der Bevölkerung und der Wirtschaft in der Schweiz schon heute eine wachsende Zahl von Erdbebenversicherungsprodukten zur Verfügung. Diese decken sowohl Gebäudeschäden als auch Schäden an Fahrhabe, Hausrat und Betriebsunterbruch sowie Mietertragsausfälle. Eine staatlich organisierte Lösung nur für Gebäude ist unnötig.
Eine Erdbebenversicherung mittels Eventualverpflichtung ist keine Versicherung, sondern hat den Charakter einer Zusatzsteuer.
Konkret: Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer müssten im Katastrophenfall 0,7 Prozent des versicherten Gebäudewerts nachzahlen. Eine Eventualverpflichtung setzt Fehlanreize, weil Hauseigentümer weniger in die Prävention investieren würden – ganz nach dem Motto «am Ende zahlt die Allgemeinheit». Wie erdbebensicher baue ich? Wie viel investiere ich in die Gebäudesicherheit? Heute entscheiden Investoren und Hauseigentümer eigenverantwortlich und tragen mit ihren Entscheidungen zur Resilienz bei.
Die Eventualverpflichtung bietet keinen Versicherungsschutz für Hausrat und Fahrhabe.
Konkret: Erdbeben verursachen in erster Linie Schäden an Gebäuden und Fahrhabe (bewegliche Sachen, die nicht als Gebäudebestandteile oder bauliche Einrichtungen gelten). Hinzu kommen Schäden aus Betriebsunterbruch und Aufräumkosten. Weitere Schäden (und viel Leid) sind durch Tote und Verletzte zu erwarten. Die Eventualverpflichtung deckt jedoch weder Hausrat noch Fahrhabe. Die Fokussierung auf die Gebäudehülle greift zu kurz. Hinzu kommt: Die Limitierung auf 0,7 Prozent des Gebäudewertes konzentriert sich auf Schäden, die heute problemlos versicherbar und tragbar sind. Für darüberhinausgehende Schäden gibt es nach wie vor keine Lösung – sie werden von der Eventualverpflichtung nicht abgedeckt.
Die staatliche Erhebung einer Zusatzabgabe just im Moment einer Katastrophe verschärft die ohnehin angespannte wirtschaftliche Situation unnötig.
Konkret: Im Fall eines schweren Erdbebens müssten die Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer 0,7 Prozent des versicherten Gebäudewertes als Abgabe an den Staat entrichten. Das Erheben einer Zusatzabgabe durch den Staat würde die ohnehin schon grossen wirtschaftlichen Herausforderungen nach einem schadenträchtigen Erdbeben zusätzlich verschärfen.
Im Fall eines schweren Erdbebens ist es wichtig, dass die Mittel für den Wiederaufbau schnell fliessen. Dies ist bei der Eventualverpflichtung mit grossen Unsicherheiten verbunden.
Konkret: Um einen raschen Wiederaufbau zu ermöglichen, müssen unmittelbar nach dem Schadenereignis finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Umsetzung einer Eventualverpflichtung erzeugt eine lange Reihe von Fragen: Wie steht es um die Zahlungsbereitschaft im Katastrophenfall? Wie geht man mit Zahlungsverzögerungen oder Zahlungsverweigerungen um? Was ist mit Immobilienbesitzern im Ausland? Zudem ist zu erwarten, dass ein komplexes und flächendeckendes Inkasso einen hohen zusätzlichen Verwaltungsaufwand verursachen wird.
Mit einer staatlichen Lösung wird die internationale Beteiligung zur Krisenminderung verhindert.
Konkret: Weil Erdbeben versicherbar sind, kann man die Risiken mittels Risikotransfer in den globalen Rückversicherungsmarkt diversifizieren. Wie bei anderen Naturgefahren wie Hagel, Sturm oder Hochwasser stützen internationale Rückversicherer – viele davon mit Sitz in der Schweiz – die Versicherer bei der gemeinsamen Bewältigung von Grossschäden. Mit der Eventualverpflichtung würde die Schweiz auf eine staatlich orchestrierte und national begrenzte Option setzen statt auf bewährte und international getragene Lösungen zur Krisenminderung.
Risikobewältigung mittels Elementarschadenversicherung
Für die neun Naturgefahren Überschwemmung, Hagel, Sturm, Hochwasser, Lawinen, Felssturz, Schneedruck, Steinschlag und Erdrutsch verfügt die Schweiz über die weltweit einzigartige Elementarschadenversicherung (Erdbeben sind nicht Teil der Elementarschadenversicherung). Naturkatastrophen können enorme Schäden verursachen. Sie lassen sich nur dann zu angemessenen Prämien versichern, wenn sich Versicherte und Versicherer solidarisch verhalten und das Risiko gemeinsam tragen. Das Konzept der Elementarschadenversicherung beruht deshalb auf einer doppelten Solidarität: Versicherte und Versicherer tragen das Risiko von Naturgefahren gemeinsam.