Nachhaltigkeit
Kapitel
«Dem Kapitalmarkt kommt eine Schlüsselrolle zu»
Alexander Braun, Professor am Institut für Versicherungswirtschaft an der Universität St. Gallen erklärt, wie nachhaltige Anlagestrategien wirken und welche Verantwortung Investoren tragen.
Gibt es bereits eine allgemein akzeptierte Bewertungsmethode, um die Wirkung von Finanzanlagen auf die Klimaerwärmung zu bemessen?
Alexander Braun: Ein direkter Zusammenhang zwischen Finanzanlagen und der Klimaerwärmung ist schwierig zu messen. Finanzanlagen selbst emittieren schliesslich keine Treibhausgase. Die Wirkung erfolgt hier indirekt über die Zurverfügungstellung von Kapital für Unternehmen mit CO2-intensiven Geschäftsmodellen. Auf Basis des CO2-Fussabdrucks der Unternehmen, deren Aktien oder Anleihen ein Investor kauft, kann dieser eine grobe Abschätzung vornehmen, wie viel Emissionen auf jeden einzelnen investierten Franken, Euro oder Dollar entfällt.
Alexander Braun ist Assoziierter Professor für Versicherung und Kapitalmärkte sowie Direktor am Institut für Versicherungswirtschaft I.VW an der Universität St. Gallen. Er forscht unter anderem zu Climate Risk und Sustainable Insurance.
Welche Verantwortung trägt der Investor, welche der Betrieb, in den investiert wird?
Wenn es speziell um die Nachhaltigkeit von Investments geht, dann liegt die Verantwortung allein beim Anleger. Die Betriebe stellen sich mit ihren Geschäftsmodellen auf und bieten ihre Wertpapiere im Zuge von Finanzierungstransaktionen am Kapitalmarkt an. Investments in Unternehmen mit nicht-nachhaltigen Geschäftsmodellen lassen sich nicht dadurch relativieren, dass man dem Management die Verantwortung zuschiebt.
Würde eine Art Label helfen, um nachhaltige Anlageprodukte transparent zu klassifizieren?
Durchaus. Dies wird an verschiedenen Stellen auch schon so praktiziert. Beispiele sind das Morningstar Sustainability Rating und das ESG-Label des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) – wobei ESG für Environmental, Social and Governance steht. Sofern sie die Emissionsbilanz eines Investments hinreichend gut abbilden, reduzierten derartige Labels als verlässliche Orientierungshilfe die Such- und Informationskosten für Investoren substanziell.
Fehlt es denn heute an Transparenz?
Für den durchschnittlichen Investor ist die Verifikation der Emissionsintensität eines Unternehmens mit einem hohen Ressourcenaufwand verbunden. Die Informationen aus Jahresabschlüssen der Unternehmen sind meist nur bedingt hilfreich. Hier können relevante Angaben zwischen irrelevanten «versteckt» werden oder Showcase-Projekte eine nachhaltige Orientierung signalisieren, die so in Wahrheit nicht gegeben ist. Im Kontext von strukturierten Anlagen oder ganzen Portfolios aus Aktien und Anleihen ist der Prüfaufwand dementsprechend schnell nicht mehr zu bewältigen.
Ein Vorteil für direkte Investitionen, bspw. in Immobilien, gegenüber strukturieren Anlagen?
Sinnvolle Vergleiche sind vor allem innerhalb einer Anlageklasse zu ziehen. Es stellt sich die Frage, wie die ESG-Bilanz der Unternehmen bzw. Geschäftsmodelle aussieht, die hinter Aktien oder Anleihen stehen. Allerdings kann man bei direkten Investments in Immobilien die Wirkung eindeutiger messen: Wird beispielsweise eine energieeffiziente Überbauung finanziert, dann lässt sich nachvollziehen, welche CO2-Einsparungen hier im Vergleich zu einem alten Gebäude bestehen.
Lässt sich die Wirkung einer nachhaltigen Anlagestrategie belegen?
Wenn eine grosse Zahl von Investoren künftig darauf Wert legt, nachhaltig anzulegen, dann sollten sich die Kapitalkosten von Unternehmen mit starkem CO2-Fussabdruck substanziell erhöhen. Erste Indikationen dafür können am Kapitalmarkt bereits gemessen werden. In einer gerade im Journal of Financial Economics erschienenen Arbeit liefern die Ökonomen Patrick Bolton von der Columbia University und Marcin Kacperczyk vom Imperial College London empirische Evidenz, dass Investoren bereits heute höhere Renditen für Aktien von Unternehmen mit grosser Emissionsintensität verlangen.
Lässt sich die nachhaltige Wirkung von Investitionen in unterschiedlichen Branchen, bspw. Solar- und Zementwerk, vergleichen?
Der Vergleich kann letztlich nur auf Basis der tatsächlichen CO2-Emissionen erfolgen. Im Vergleich zum Solarpark ist das Zementwerk zunächst die klar klimaschädlichere Alternative. Insofern muss es das wirtschaftliche und gesellschaftliche Ziel sein, Zement künftig klimaneutral herstellen zu können. Entscheiden sich Investoren aufgrund der aktuell schlechten Klimabilanz gegen eine Anlage in das Zementwerk, so steigen dessen Kapitalkosten. Der Marktmechanismus führt dann dazu, dass Zementwerke, die ihre Emissionen nicht substanziell reduzieren können, unwirtschaftlich werden und ausscheiden. Da Zement aber in der Gesellschaft gebraucht wird, lohnen sich für die verbliebenen Zementwerke Investitionen in neue Herstellungsverfahren mit niedrigem CO2-Ausstoss.
Wenn eine grosse Zahl von Investoren künftig darauf Wert legt, nachhaltig anzulegen, dann sollten sich die Kapitalkosten von Unternehmen mit starkem CO2-Fussabdruck substanziell erhöhen. Erste Indikationen dafür können am Kapitalmarkt bereits gemessen werden.
Steigt ein Investor bspw. bei einem Kohlekraftwerk aus verbessert er seine CO2-Bilanz. Solange das Kohlekraftwerk jedoch andere Investoren findet, reduziert sich der CO2-Ausstoss des Werkes nicht. Macht dies Sinn?
Die Beurteilung einer Anlagestrategie muss immer unter dem Eindruck der Präferenzen des Investors erfolgen. Erzielt dieser einen nichtmonetären Nutzen aus nachhaltigen Investments oder befürchtet er Transitionsrisiken bei nicht-nachhaltigen Investments, so ist es aus seiner Sicht eine sinnvolle Entscheidung, auf ESG-kompatible Anlagen zu setzen. Daran ändert es auch nichts, wenn nach dem Verkauf bestimmter Wertpapiere andere Investoren an seine Stelle treten und mit ihrem Kapital nicht-nachhaltige Geschäftsmodelle unterstützen.
Ist es möglich zu sagen, ob beispielsweise Impact Investment besser wirkt als ein Ausschluss-Ansatz?
Per Definition möchte der Impact-Investor Wirkung erzielen. Insofern geht es hier stärker als in anderen Anlagekategorien um Anlagen, über die eine aktive Veränderung hervorgerufen werden kann. Allerdings handelt es sich dabei um eine vorausschauende, eine «ex ante»-Perspektive. Eine weitverbreitete Standardmethode zur Messung und zum Vergleich der rückblickend («ex post») tatsächlich realisierten Wirkung verschiedener Anlagen ist mir derzeit nicht bekannt.
Wie ist die finanzielle Entwicklung der unterschiedlichen Ansätze?
Da das gesamte Thema erst in den vergangenen drei Jahren substanziell an Fahrt aufgenommen hat, sind die Datenreihen für eine fundierte wissenschaftliche Analyse noch relativ kurz. Trotzdem liegen bereits erste Evidenzen im Hinblick auf die Performance nachhaltiger Strategien relativ zu gewöhnlichen Anlagen vor. Neben dem bereits erwähnten Artikel von Bolton und Kaperczyk ist hier insbesondere eine Arbeit von Brad Barber, Adair Morse und Ayako Yasuda zu nennen, die im Januar 2021 ebenfalls im Journal of Financial Economics erschienen ist. Den Autoren gelingt es zu zeigen, dass Venture Capital Funds mit Impact-Fokus signifikant geringere Renditen erwirtschaften als ihre traditionellen Pendants.
Wie stark besteht die Gefahr einer Blasenbildung durch Nachhaltigkeits-Trendthemen?
Von einer Blasenbildung würde ich im Moment nicht ausgehen. Allerdings sind in den vergangenen Jahren nachweislich grössere Kapitalzuflüsse bei nachhaltigen Fonds zu verzeichnen gewesen. Evidenz dazu findet sich beispielsweise in einer Arbeit meines HSG-Kollegen Manuel Amman und Koautoren, die bereits 2018 in der Zeitschrift European Financial Management erschienen ist.
Halten nachhaltige Anlagen, was sie versprechen?
Ja durchaus, sofern sie unter Zuhilfenahme aller zur Verfügung stehenden Informationen sorgfältig ausgewählt werden. Dem Kapitalmarkt kommt beim Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft eine Schlüsselrolle zu. Wenn sich nicht-nachhaltige Unternehmen nicht mehr oder nur noch unter sehr hohen Kapitalkosten finanzieren können, werden ihre Geschäftsmodelle unwirtschaftlich. Somit ergeben sich starke ökonomische Anreize zum nachhaltigen Handeln.
Zur Person
Alexander Braun ist Assoziierter Professor für Versicherung und Kapitalmärkte sowie Direktor am Institut für Versicherungswirtschaft I.VW an der Universität St. Gallen. Er forscht unter anderem zu Climate Risk und Sustainable Insurance.
Hilfe für Asbestopfer – eine gesellschaftliche Verantwortung
Ein Kommentar von Urs Berger
Asbest ist hitzebeständig, resistent gegenüber aggressiven Chemikalien, hochelastisch und von hoher elektrischer wie auch thermischer Isolierfähigkeit. Eigenschaften, die es für die Industrie und die Technik interessant und wertvoll machten. Deshalb setzte man es dort dementsprechend häufig ein: als Platten oder Formmassen für den Brandschutz, als Brems- und Kupplungsbeläge im Fahrzeugbau oder als Dichtung bei thermischen oder chemischen Belastungen. Dass seine Verarbeitung jedoch für den Menschen Gefahren birgt, erkannte man leider erst spät. Denn Asbest spaltet sich in mikroskopisch feine Fasern auf. Wer sie einatmet, läuft Gefahr, an einem malignen Mesotheliom, einem bösartigen Tumor im Brust- oder Bauchfell, zu erkranken. Bis es zum Ausbruch dieser meist tödlichen Erkrankung kommt, vergehen 20, nicht selten auch bis zu 45 Jahre und mehr. Zwar sind die Herstellung und die Einfuhr von Asbest seit dem 1. März 1990 in der Schweiz verboten. Laut Statistik erkranken jedoch noch immer etwa 200 Personen pro Jahr.
Aufgrund des langen Zeitraums zwischen Ursache und Ausbruch waren Entschädigungsansprüche der Betroffenen zumeist verjährt. Deshalb berief Bundesrat Berset einen Runden Tisch ein, um gemeinsam mit Vertretern von Unternehmen, Verbänden, Opfervereinigungen, Anwälten, Gewerkschaften, der Suva und der Bundesverwaltung eine Lösung zu finden, die den Ansprüchen aller gerecht wird. Die 2017 gegründete Stiftung EFA ist das Ergebnis dieses Runden Tisches. Ihr Ziel: Betroffenen und ihren Angehörigen schnell und unbürokratisch zu helfen – unabhängig davon, ob eine Erkrankung durch den beruflichen oder den privaten Umgang mit dem Material entstanden ist.
So entwickelte die Stiftung EFA zusammen mit den Lungenligen Waadt, Zürich und Tessin einen Care-Service. An den Standorten Zürich, Lausanne und Bellinzona beraten Fachkräfte Betroffene, Angehörige, aber auch Interessierte bei allen Fragen, die im Zusammenhang mit einer Asbesterkrankung auftreten. Im Service-Center Gesuche können Betroffene Unterstützung beantragen. Voraussetzung ist, dass sie nach 2006 an einem in der Schweiz verursachten asbestbedingten Mesotheliom erkrankten. Auch engsten Angehörigen steht dieser Weg offen.
Die Stiftung finanziert sich über freiwillige Zuwendungen von Wirtschaft, Industrie, Gewerbe, von Verbänden und anderen Institutionen sowie Privatpersonen. Von den am Runden Tisch besprochenen 100 Millionen Franken wurden bis Ende 2020 insgesamt rund 25 Millionen Franken einbezahlt. Der Schweizerische Versicherungsverband, die SBB und eine Vielzahl grösserer und kleinerer Bahnen haben zusammen über den Verband öffentlicher Verkehr substanziell zur Finanzierung beigetragen.
Bis ins Jahr 2030 benötigt die Stiftung weitere 50 Millionen Franken. Gehen der Stiftung EFA die finanziellen Mittel aus, kann sie keine Entschädigungen an Asbestopfer mehr ausrichten. Diese müssten wieder über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) / Invalidenversicherung (IV) eine Unterstützung einfordern und eventuell eine Zusatzentschädigung auf dem Rechtsweg einklagen – sofern ein Haftpflichtiger vorhanden ist. Dafür haben sie aufgrund ihrer Erkrankung weder die Zeit noch die finanziellen Mittel. Auch für die Beklagten ist ein solcher Weg teuer und mit einem Reputationsverlust verbunden. Deshalb ist dringend Unterstützung notwendig. Es gewinnen alle, wenn die Stiftung EFA ihre Arbeit fortsetzen kann.
Die Stiftung ist mit den Bundesräten Alain Berset und Guy Parmelin übereingekommen, Vertreter von betroffenen Branchen und Verbände zu Solidaritätsgesprächen einzuladen. Sie sollen ihre Mitglieder an ihre soziale Verantwortung erinnern und zu Zuwendungen an die Stiftung EFA motivieren.
Urs Berger, von 2011 bis 2017 Präsident des SVV, ist Verwaltungsratspräsident der Mobiliar und Präsident der Stiftung Entschädigungsfonds für Asbestopfer.
Transparenz braucht vergleichbare Kriterien
Staatssekretärin Daniela Stoffel, Staatssekretariat für internationale Finanzfragen, spricht über die Rolle der Nachhaltigkeit für den Schweizer Finanzplatz.
Welche Rolle spielt die Nachhaltigkeit für einen konkurrenzfähigen Schweizer Finanzplatz?
Daniela Stoffel: Der Bundesrat hat in seiner strategischen Neuausrichtung für die künftige Finanzmarktpolitik vom Dezember 2020 klar festgehalten: Nachhaltiges Wachstum in allen seinen Dimensionen ist für den Finanzplatz Schweiz der einzige zukunftsfähige Entwicklungspfad. Die nachhaltige Ausrichtung ist nicht nur eine zunehmende Erwartung der Bürgerinnen und Bürger, sondern auch eine Chance, die Bedeutung unseres Finanzplatzes zu stärken.
Staatssekretärin Daniela Stoffel, Staatssekretariat für internationale Finanzfragen, spricht über die Rolle der Nachhaltigkeit für den Schweizer Finanzplatz.
Sie nennen Nachhaltigkeit eine Chance für den Finanzplatz. Wo steht die Schweiz bei dieser Frage im internationalen Vergleich?
Die Schweiz ist aufgrund der Grösse und Qualität des Finanzplatzes sowie des hohen Forschungs- und Bildungsstandards und der regulatorischen Voraussetzungen hervorragend gerüstet, um zu den weltweit führenden Standorten für nachhaltige Finanzdienstleistungen zu gehören. Die jüngst durchgeführten Klimatests der Bundesbehörden bei Unternehmen im Banken- und Versicherungsbereich zeigen aber auch, dass noch Verbesserungspotenzial besteht. Das ist ein guter Ansporn.
Die Schweiz unterstützt die vom Financial Stability Board (FBS) eingesetzte internationale Arbeitsgruppe zur Klimaberichterstattung. Ist Transparenz das wichtigste Thema?
Transparenz zu Umweltrisiken und -wirkungen ist die Voraussetzung, damit Finanzmärkte nachhaltig funktionieren und gedeihen können. Diese Transparenz lässt sich nur mit international vergleichbaren Kriterien erreichen. Deshalb engagieren wir uns in zahlreichen Foren für globale Transparenzkriterien und prüfen nationale Umsetzungen.
Wo sehen Sie die weiteren Herausforderungen in diesem Thema?
Damit die Risiken für die Finanzmarktakteure klarer sicht- und spürbar werden, müssen die externen Kosten der Umwelt- und Klimaschädigung von wirtschaftlichem Handeln in der Realwirtschaft internalisiert werden. Konkret muss CO2 global einen adäquaten Preis erhalten.
Sind Fintechs von zentraler Bedeutung für einen nachhaltigen Finanzplatz?
Fintechs sind ein wichtiger Treiber von Innovation und ermöglichen es, Daten billiger, schneller und genauer zu generieren, um Finanzentscheidungen zu treffen. Sie sind damit, wie auch Banken und Versicherungen, eine wichtige Stütze eines nachhaltigen Finanzplatzes.
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