Generationengerechte Altersvorsorge
Kapitel
Jungbrunnen für die Altersreform
Grundriss einer enkelgerechten Vorsorge – oder wie die Jungparteien den Reformstau bei den Alten beseitigen wollen. Eine Allianz der bürgerlich-liberalen Jungparteien möchte die Altersvorsorge endlich enkelgerecht machen. Eine Präsidentin und drei Präsidenten erzählen, wie sie der Reform der Altersvorsorge Beine machen wollen.
Das rettende Ufer in der Altersvorsorge
«Was denkt die Bevölkerung zur Altersvorsorge?» Dies ist eines der Themen des SVV Sicherheitsmonitors. Michael Hermann, Geschäftsführer des Forschungsinstituts Sotomo, ordnet die Erkenntnisse ein.
Weniger als ein Viertel der Befragten fühlt sich in Bezug auf die Altersvorsorge voll und ganz abgesichert. Dies ergab der SVV Sicherheitsmonitor. Wo liegt das Problem?
Michael Hermann: Die Schieflage der Altersvorsorge ist im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Sie weiss, dass immer weniger Erwerbstätige immer mehr Pensionierte tragen müssen. Aus serdem ist das System so komplex, dass gerade Jüngere nicht genau wissen, was mit ihrem Geld passiert.
«Was denkt die Bevölkerung zur Altersvorsorge?» Dies ist eines der Themen des SVV Sicherheitsmonitors. Michael Hermann, Geschäftsführer des Forschungsinstituts Sotomo, ordnet die Erkenntnisse ein.
Weswegen haben es Reformen trotzdem schwer?
Im Grundsatz verstehen die Menschen, dass es so nicht weitergeht. Die Älteren gehen jedoch davon aus, dass es für sie noch reichen wird. Sie sehen das rettende Ufer. Das dämpft den Reformdruck. Für die Jüngeren ist es dagegen noch weit weg. Es ist theoretisch. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt: Stabilität, Sicherheit und keine Renteneinbussen sind als Ziele tief verankert. Eine Reform wird aber immer mit Einbussen in Verbindung gebracht. Deswegen will sie die Bevölkerung möglichst hinausschieben.
2019 sahen noch 40 Prozent der Befragten ihr Sicherheitsbedürfnis in der Altersvorsorge gar nicht gedeckt, 2020 sank dieser Wert auf nur noch 31 Prozent.
Im Nachgang der gescheiterten Rentenreform im Jahr 2017 wurde die Dringlichkeit stark wahrgenommen. Die Annahme der Steuerreform und AHV-Finanzierung STAF im Jahr 2019 hat dann etwas Druck weggenommen. Obschon die Reform der Altersvorsorge noch läuft, ist sie ein Nebenthema geworden. Sie wurde zunächst durch den Klimawandel und die Genderthematik verdrängt.
Und jetzt Corona?
Genau. Ausserdem sehe ich als Nebenfolge von Corona, dass das Thema Staatsschulden und grosse Geldbeträge herumschieben als weniger problematisch angesehen wird. Es gibt eine Gewöhnung, dass man mit einem Auffangnetz rechnen kann. Nach der Logik: Wenn der Staat die Wirtschaft mit Milliarden Franken retten kann, weshalb nicht auch die Altersvorsorge? Bei der letzten Umfrage waren diese Effekte erst am Anfang. Ich bin gespannt, wie sich das Verhältnis zum Staat noch verändert.
Was heisst das für die erste und die zweite Säule?
Spannend ist, dass die Bevölkerung die zweite Säule aufwerten will. Sie betrachtet diese als nachhaltiger als die erste Säule. Gleichzeitig erodiert die Wahrnehmung der zweiten Säule als persönliche Vorsorge. Auch in der Politik dringen mehr Umverteilungs- und Umlageelemente in diese Säule.
Will die Bevölkerung doch einen Ausbau der AHV?
Nein, aber die Frage ist: Soll die zweite Säule persönliche Vorsorge in Reinform sein?
Welche Reformansätze haben denn eine Chance auf eine Bevölkerungsmehrheit?
Die Erhöhung des Frauenrentenalters wird verhältnismässig positiv bewertet. Eine Lebensarbeitszeit findet ebenfalls Unterstützung. Erstaunlich viel Anklang findet zudem die Idee, die AHV für Gutverdienende zu reduzieren.
Was geht nicht?
Wir wissen, dass die Bevölkerung nicht bereit ist, weniger Rente zu akzeptieren. Etwas wegzunehmen ist extrem schwierig. Will man das Rentenniveau halten, braucht es innovative Ansätze.
Es braucht eine erfolgreiche BVG- Reform für uns alle
Ein Kommentar von Patric Olivier Zbinden
Als ich vor rund 20 Jahren Jura studiert habe, schien die Welt in der beruflichen Vorsorge noch in Ordnung. Verdeutlichen lässt sich dies an zwei zentralen Elementen: Dem gesetzlichen Umwandlungssatz und dem BVG-Mindestzinssatz. Beide waren explizit und als Zahl im Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge niedergeschrieben. Die 7,2 Prozent Umwandlungssatz waren eigentlich schon damals nicht mehr aktuell.
Genau genommen war der Wert bereits bei Inkrafttreten des BVG 1985 überholt und basierte auf der tieferen Lebenserwartung der 70er-Jahre. Beim BVG-Mindestzinssatz von 4 Prozent hatte ich mir im Studium notiert, dass der Wert bewusst (so) tief festgesetzt worden sei, damit er in jeder denkbaren Konstellation mit den Kapitalanlagen gut erreicht werden könne. Das ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die jährlichen durchschnittlichen Anlageerträge auch bei einem hohen Obligationenanteil kurz vor dem Millennium bei 7 bis 8 Prozent lagen. Damals schien alles in Ordnung. Heute sieht die Welt anders aus. Wir haben gelernt, dass der Kapitalmarkt – der dritte Beitragszahler in der beruflichen Vorsorge, neben Arbeitgeber und -nehmer phasenweise praktisch komplett wegbrechen kann. Und wir haben gelernt, dass eine berufliche Vorsorge im Kapitaldeckungsverfahren nur dann funktioniert, wenn Kapitalaufbau und -verzehr im Gleichgewicht sind. Ist dies nicht der Fall, schleicht sich zwangsläufig ein Umlageelement ein und setzt sich fest.
Patric Olivier Zbinden ist Leiter Unternehmenskunden und Mitglied der Geschäftsleitung der Basler Versicherungen. Er präsidiert den Ausschuss Leben des SVV.
Wir haben aber auch die Bestätigung erhalten, dass unser Drei-Säulen-Konzept etwas sehr Stabiles und Wertvolles ist, das es zu bewahren gilt. Das Konzept erschliesst sich jedem relativ rasch, der sich damit auseinandersetzen will. Allerdings taucht das Thema auf dem Interessenradar vieler frühestens im Zuge von Heirat, Geburt eines Kindes, allenfalls einer Scheidung oder beim Kauf einer Immobilie auf. Leider zu oft auch erst später. Relativ rasch hat sich mir das Thema als Student vor rund 20 Jahren erschlossen: Ich glaubte das Wichtigste erfasst zu haben. Wie filigran das Regelwerk des Drei-Säulen-Konzepts generell und der beruflichen Vorsorge im Besonderen aber tatsächlich ist, merkt man erst, wenn man das System an neue Gegebenheiten anpassen und reformieren will. Wir müssen einen Weg finden, der funktioniert und am Ende allen Interessengruppen gerecht wird. Denn der Handlungsdruck ist unmittelbar und gross.
Zwei Aspekte stimmen mich zuversichtlich: Zum einen ist der unmittelbare Handlungsbedarf allen Involvierten klar. Zum anderen gibt es genügend Expertinnen und Experten, die dieses komplexe Regelwerk BVG mit all seinen Abhängigkeiten und Zusammenhängen sehr gut verstehen, auseinanderbauen, adaptieren und anschliessend wieder zusammenmontieren können. So, dass die Wirtschaft im Hier und Heute nicht mit zu hohen Kosten belastet wird.
So, dass in einer sinnvollen Balance zwischen Sparzwang und -freiheit für möglichst viele sichergestellt ist, dass während der Dauer der Erwerbstätigkeit genügend Mittel angespart werden, um den «gewohnten Lebensstandard» im dritten Lebensabschnitt halten zu können. So, dass bei einem Inkrafttreten der Reform der sogenannten Übergangsgeneration genügend Rechnung getragen wird. Und so, dass Personen mit tieferen Einkommen und Teilzeitbeschäftigte über eine bessere Vorsorge verfügen.
Die Tücken stecken erfahrungsgemäss im Detail. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass es höchste Zeit ist, die Weichen richtig zu stellen und eine Reform nicht nur anzustossen, sondern sie auch umzusetzen. Wenn wir es jetzt nicht tun, kommt die nächste Gelegenheit erst in einigen Jahren wieder. In der Zwischenzeit würde sich der dringende Reformbedarf unnötig weiter akzentuieren.
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