Berufs- und Arbeitswelt der Zukunft
Wer sich künftig in der Versicherungswelt beruflich behaupten will, braucht neben den fachlichen Kompetenzen besonders auch transversale Fähigkeiten. Diese lassen sich zwar in klassischen Bildungsangeboten schwerer vermitteln, bringen langfristig aber Erfolg.
Kapitel
Transversale Fähigkeiten bringen Erfolg
Kurz, knapp, präzis: In der Nachkriegszeit umfassten Stelleninserate nur wenige Zeilen. Anforderungen an Soft Skills waren, wenn überhaupt, über Worte wie «tüchtig» oder «brav» abgehandelt. In den 80er-Jahren wurden die Stelleninserate bereits länger und umfassten vermehrt auch soziale Kompetenzen wie «kontaktfähig». In der Gegenwart sind transversale Kompetenzen der Begriff der Stunde. Als transversale Kompetenzen werden Fähigkeiten verstanden, die nicht fachspezifisch sind und sich auf verschiedene Bereiche anwenden lassen. Unter Einbezug von Personen aus der Versicherungsbranche hat das Institut für Versicherungswirtschaft I.VW der Universität St. Gallen gemeinsam mit dem Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB analysiert, welche Kompetenzen künftig für die Versicherungswirtschaft wichtig sind. Dazu haben sie ermittelt, welche Trends in den nächsten zehn Jahren die Assekuranz prägen werden. Berücksichtigt wurden sowohl gesellschaftliche als auch wirtschaftliche und technologische Trends – wie zum Beispiel die Verwendung von künstlicher Intelligenz (KI). «Künstliche Intelligenz beschreibt den Versuch, menschliches Verhalten durch Maschinen nachzubilden oder auch nachzuahmen. In Versicherungsunternehmen sind hier erste Versuche sichtbar, dies insbesondere in der Kundeninteraktion, beispielsweise mittels digitaler Assistenten, einzusetzen. Das Potenzial der Technologie ist jedoch weitaus grösser und umfasst schlussendlich alle Bereiche der Wertschöpfungskette – von der Kundenschnittstelle bis hin zur Produktefabrik», sagt Professor Christian Biener. Er der als Direktor des I.VW an der Studie mitgewirkt hat, deutet damit an, dass sich die Versicherungswirtschaft hier erst am Anfang einer grossen Transformation befindet. Aus den ermittelten Trends abgeleitet ergeben sich fünf Kompetenzen, die beschreiben, wie Mitarbeitende in der Assekuranz ihre künftigen Arbeitsaufgaben angehen und lösen können müssen:
Aus den ermittelten Trends abgeleitet ergeben sich fünf Kompetenzen, die beschreiben, wie Mitarbeitende in der Assekuranz ihre künftigen Arbeitsaufgaben angehen und lösen können müssen.
«In der Praxis sind diese Kompetenzen verflochten und nicht trennscharf abgrenzbar», sagt Professorin Ursula Scharnhorst, EHB, Mitautorin der Studie. Und weist darauf hin, dass diese Kompetenzen zwar keineswegs neu sind: «Heute werden sie aber noch nicht ausreichend konsequent verfolgt.» In den Lehrplänen von Bildungsanbietern werden fachliche Bildungsziele bereits seit Längerem kompetenzorientiert formuliert. Oft werden auch transversale Kompetenzen als Bildungsziele aufgeführt. «Doch lassen sich solche Fähigkeiten nicht rein schulisch vermitteln. Transversale Kompetenzen sind oft mit Persönlichkeitsmerkmalen verbunden, die man seit frühester Kindheit entwickelt. Später, im Kontext der beruflichen Aus- und Weiterbildung, lassen sich diese Skills am besten trainieren, indem man das eigene Handeln reflektiert und so Schritt für Schritt verbessert», so Ursula Scharnhorst. Für Belinda Walther Weger, Leiterin Public Affairs und Nachhaltigkeit bei der Mobiliar und Präsidentin der Kommission Bildungspolitik des SVV, ist die Vermittlung von transversalen Kompetenzen sowohl on the Job wie auch in den Aus- und Weiterbildungsangeboten zentral: «Es ist wichtig, dass wir zusammen mit unseren Bildungspartnern künftig Wege finden und entwickeln, um die Kompetenzen entsprechend zu vermitteln und zu lehren.»
Notwendige Kompetenzen
Eine Herausforderung wird es künftig sein, Bewerber und Bewerberinnen zu identifizieren, die transversale Kompetenzen mitbringen: «Am praktikabelsten dürften konkrete Situationsbeschriebe sein, in welchen sich der Bewerber zurechtfinden muss und die er nur wirklich lösen kann, wenn er über die betreffenden notwendigen Kompetenzen verfügt», sagt Stephan Walliser, Leiter Human Resources der Basler Versicherung und Präsident der Kommission Arbeitgeberpolitik des SVV. Dies bestätigt auch Ursula Scharnhorst: «Es gibt in der Berufswelt bisher nur wenig erprobte und zuverlässige Instrumente zur Messung von transversalen Kompetenzen. Grundsätzlich lassen sich soziale Fähigkeiten am besten in konkreten beruflichen Handlungssituationen erkennen.» Die Art, wie die Versicherungswirtschaft neue Mitarbeitende rekrutiert, ist also im Wandel. Stephan Walliser rechnet auch damit, dass Stelleninserate bereits in fünf Jahren anders aussehen als heute: «Wir werden zukünftig sicherlich verstärkt auch Situationen beschreiben, welche diejenigen Menschen anziehen sollen, welche über die gesuchten transformalen Kompetenzen verfügen.» Langfristig hat also Erfolg, wer sich seiner transversalen Kompetenzen bewusst ist und diese gezielt weiterentwickelt.
«Skills der Zukunft»
Im Rahmen der SVV-Strategie 2020–2024 haben das Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen I.VW und das Eidgenössische Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB die «Skills der Zukunft» mit dem Zeithorizont 2030 für die Versicherungsbranche erhoben.
Die Resultate, welche unter Einbezug von verschiedenen Vertretern aus der Versicherungswirtschaft erarbeitet wurden, liegen nun vor.
«Der Wandel der Arbeitswelt hat durch Corona eine Abkürzung genommen»
Severin Moser, der Abschlussbericht «Skills der Zukunft» hat fünf transversale Kompetenzen identifiziert, die Mitarbeitende mitbringen müssen, um in Zukunft in der Versicherungsbranche erfolgreich zu sein. Wie fliessen diese Ergebnisse nun in die strategische Ausrichtung der Versicherungsgesellschaften ein?
Severin Moser: Die Versicherungsbranche ist auf der einen Seite sehr langfristig orientiert. Das wird manchmal aber auch mit einer gewissen Trägheit assoziiert, die nicht in das digitale Zeitalter passt. Aber dem ist schon längst nicht mehr so, wie der Abschlussbericht deutlich aufzeigt. Er ist ein guter Kompass, an dem sich kleine und grosse Versicherungsgesellschaften strategisch orientieren können und orientieren sollten. Manche sind bereits sehr agil unterwegs, andere noch auf dem Weg dahin. Wichtig ist, dass wir neue Impulse aufnehmen, unsere Mitarbeitenden im Sinne der kontinuierlichen Weiterentwicklung mit auf den Weg nehmen und neue Arbeitsformen erlebbar machen. Die Branche jedenfalls hat trotz Corona an Attraktivität gewonnen – dieser Trend wird anhalten, wenn wir die gesuchten Kompetenzen weiter fördern.
Severin Moser, CEO Allianz Suisse , Vorstandsmitglied SVV und Präsident des Ausschusses Bildungs- und Arbeitgeberpolitik des SVV.
Wie lassen sich diese Kompetenzen bei Mitarbeitenden fördern?
Wir alle besitzen Stärken, Talente und Potenziale. Die Kunst ist, sie gezielt einzusetzen, zu fördern und weiterzuentwickeln. Zunächst einmal muss dafür das Bewusstsein für die Notwendigkeit, die entsprechenden zeitlichen und finanziellen Ressourcen bereitzustellen, geschärft werden. Die Versicherungsgesellschaften geben den Rahmen vor, in Form von Schulungs- und Weiterbildungsangeboten sowie On-the-Job-Möglichkeiten, welche die entsprechenden Skills fördern. Die Motivation, sich neue Fähigkeiten anzueignen und individuell weiterzuentwickeln, muss von den Mitarbeitenden selbst kommen. Hier können wir aber auch beratend bei den Mitarbeitenden wirken und gleichzeitig die Führungskräfte in ihrer Rolle unterstützen. Wo ein gemeinsamer Wille ist, ist auch ein Weg.
Auch die Coronapandemie hat einen starken Einfluss auf die Art, wie wir arbeiten. Ist dies ein kurzer Trend oder vielmehr ein langfristiger Wandel?
Sagen wir es so: Es ist ein langfristiger Wandel, der durch Corona eine Abkürzung genommen hat. Die Branche hat unter Beweis gestellt, dass sie auch unter schwierigsten Bedingungen und aus dem Homeoffice heraus den Betrieb nahtlos aufrechterhalten konnte. Wir haben Kundinnen und Kunden per Videoanruf beraten, wir haben Meetings virtuell durchgeführt. Das brachte zwar technische Herausforderungen mit sich, aber wir hatten dennoch keine Einbussen bei Servicequalität und Kundenzufriedenheit. Das Bedürfnis nach flexiblen Arbeitsweisen hat sich sowohl seitens der Arbeitgeber als auch seitens der Arbeitnehmer verstärkt. Viele Gesellschaften arbeiten bereits intensiv daran. Das ist eine sehr spannende Entwicklung!
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