Verantwortung für die Zukunft
Die Versicherungsbranche im Zeichen echter Nachhaltigkeit.
Kapitel
Die Sorgen der Jungen sind die Pflichten der Alten
Von Claudia Wirz
Wenn die grösste Sorge der Jungen der eigenen Altersrente gilt und wenn der Klimawandel regelmässig Tausende von Schülerinnen und Schülern auf die Strasse treibt, dann haben die Erwachsenen etwas falsch gemacht. Die Sorgen der Jungen sind berechtigt. Die Versicherungsbranche setzt sich an vorderster Stelle dafür ein, dass wir in beiden Bereichen unseren Nachkommen Guthaben hinterlassen, nicht Schulden.
Es ist ein Grundgesetz der menschlichen Existenz, dass jede Generation das übernimmt, was ihr ihre Vorgänger überlassen. Oft genug ist das auch nicht schlecht, nimmt doch der Wohlstand in der Regel von Generation zu Generation zu. Aber nicht immer entwickeln sich die Dinge zur Güte. «Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ew’ge Krankheit fort», lässt Goethe seinen Mephistopheles sagen. Und in der Weiterentwicklung des Gedankens kommt der Teuflische zum Schluss: «Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage: Weh Dir, dass Du ein Enkel bist!»
Würde der Teufel hier von der schweizerischen Altersvorsorge oder von der Klimapolitik sprechen – er träfe die Stimmungslage im Land punktgenau. In beiden Bereichen ist der Generationenvertrag aus den Fugen.
Gute Lösungsansätze sind sowohl bei der Altersvorsorge wie auch in der Klimapolitik auf Langfristigkeit angelegt. Das heisst, die Entscheide von heute müssen auf die Bedürfnisse von morgen Rücksicht nehmen. Eine systematische Umverteilung von Lasten an die Jungen und die noch Ungeborenen zugunsten der Alten ist weder fair noch nachhaltig.
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Obwohl man das alles weiss, erweisen sich Reformen im Sinne echter Nachhaltigkeit als zäh. Oft fehlt der politische Wille zu mutigen Schritten, sei es aus Rücksicht auf die eigene politische Klientel, oder sei es mit Blick auf die eigene Wiederwahl. So hat etwa eine aufgrund der demografischen Entwicklung durchaus legitime Erhöhung des Rentenalters für sich alleine noch wenig Chancen und lässt sich – falls überhaupt – nur mit neuen Umverteilungen teuer erkaufen. Das Gleiche gilt für die Reduktion des Umwandlungssatzes bei der zweiten Säule. Mit echter Nachhaltigkeit hat das wenig zu tun.
Die Anreize begünstigen teilweise sogar explizit eine Gegentendenz. Die frühzeitige Pensionierung in der Schweiz ist deutlich häufiger als die Erwerbstätigkeit über das ordentliche Pensionsalter hinaus. Eine repräsentative Studie von Deloitte Schweiz kam 2018 zum Schluss, dass 40 Prozent aller älteren Erwerbstätigen nach der Pensionierung gerne weiterarbeiten würden. Tatsächlich aktiv auf dem Arbeitsmarkt sind in der Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen allerdings nur 23 Prozent. Hier klaffen Wunsch und Wirklichkeit offensichtlich weit auseinander. Gespiegelt wird dieser Sachverhalt im Anteil der Frühpensionierten. 40 Prozent der 64-jährigen Männer gehen in Frühpension. Bei den 63-Jährigen sind es fast 30 Prozent. Nachhaltig ist das nicht.
Von der Wohltat zur Plage
Das Beispiel AHV zeigt anschaulich, wie eine Wohltat zur Plage werden kann, um das obige Zitat aus «Faust» wieder aufzunehmen. Seit 1948 gibt es die AHV. Doch was Sorglosigkeit im Alter garantieren sollte, hat sich innerhalb von nur 60 Jahren in die grösste Sorge der Jungen verwandelt. Mit einer Quote von 53 Prozent bereitet die eigene Altersrente den Jungen in der Schweiz mit Abstand am meisten Kummer. Das hat das jüngste CS-Jugendbarometer von 2018 zutage gefördert. Weder die Arbeitslosigkeit noch die Digitalisierung noch die Migration und auch nicht die Umweltproblematik bereiten den Jungen in der Schweiz so viel Sorge wie die Altersrente.
Ein ganz anderes Bild ergeben derweil Singapur, die USA und Brasilien, die das CS-Jugendbarometer zum Vergleich heranzieht. In Singapur und den USA ist die Arbeitslosigkeit die grösste Sorge der Jungen, in Brasilien ist es die Korruption, dicht gefolgt allerdings ebenfalls von der Angst, die Arbeit zu verlieren oder gar nicht erst zu finden. In keinem dieser Länder machen sich die jungen Leute vordringlich Sorgen um ihre Altersrente.
Wie konnte es dazu kommen, dass sich ausgerechnet in der reichen Schweiz die Teenager von so grauen Dingen wie Überalterung, Lohnabzügen und Vorsorgesparen vereinnahmen lassen? Wäre es nicht das Privileg der Jugend, sich wild, frech und frei zu fühlen und ohne Zwang und Sorgenlast Pläne zu schmieden und so viele Ressourcen als möglich in die Ausbildung zu investieren? Und ist es wirklich ein gutes Zeichen, wenn sich die älteren Semester über dieses neue «Problembewusstsein» der Jugendlichen bezüglich der Altersvorsorge freuen, wie dies Boris Zürcher vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im CS-Jugendbarometer tut? Und warum, bitte sehr, nehmen die Finanzierungsprobleme der Sozialversicherungen laufend zu, obwohl immer mehr Zwangsabgaben erhoben werden?
Die Antwort liegt im Reformstau. Solange Parteien und Verbände auf ihren Positionen verharren, ist eine nachhaltige Reform der Altersvorsorge nicht zu haben. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist 2014 und 2015 zwar in der Schweiz und in anderen Industrieländern gesunken. Seit 2016 steigt sie aber wieder deutlich an. Es ist anzunehmen, dass mit der Lebenserwartung auch die Anzahl gesunder Jahre zunimmt. Das wiederum spricht für die Erwerbstätigkeit jenseits von 65, was offensichtlich auch den Wünschen eines grossen Teils der Bevölkerung entspricht. Eine Anbindung der Altersvorsorge an die demografische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Realität ist unerlässlich. Wer aus ideologischen Gründen den Kopf in den Sand steckt, um kurzfristig zu gefallen, tut langfristig den Jungen keinen Gefallen.
Letztlich gibt es nur die Wahl zwischen vier Massnahmen, um die Altersvorsorge langfristig nachhaltig zu finanzieren: Man erhöht das Rentenalter, man akzeptiert tiefere Renten, man beschliesst höhere Abgaben oder man macht die Altersarbeit attraktiver.
Die Antwort liegt im Reformstau.
Keine Greta für die Altersvorsorge
Der Freiburger Ökonom Reiner Eichenberger ist überzeugt, dass die richtigen Anreize zur Altersarbeit geradezu Wunder wirken könnten. Würde die freiwillige Arbeit über 65 hinaus attraktiver – etwa dank einer Teilbesteuerung der Altersarbeit und einem Beitragsrabatt bei Rentenaufschub –, würde die Alterung zu dem werden, was sie eigentlich sei: ein Zeichen von Wohlstand und eine Quelle der Wohlfahrt.
Ein fixes Rentenalter ist laut Eichenberger hingegen problematisch. Für die Unternehmen lohne es sich umso weniger, in die Mitarbeiter zu investieren, je näher diese dem Rentenalter kämen, schreibt der Ökonom. Das Gleiche gelte für die Betroffenen selber; je näher die Pensionierung rücke, desto weniger lohne sich eine Investition in die eigene Qualifikation. Dadurch würden ältere Mitarbeiter automatisch zu «lame ducks». Die hohen Lohnnebenkosten und das Senioritätsprinzip in der Lohnpolitik tragen das ihre dazu bei. Ein Mechanismus, meint Eichenberger, der nur geknackt werden könne, wenn Altersarbeit dank kluger Anreize attraktiver würde.
So sehr eine Reform der Altersvorsorge im Interesse der Jungen liegt – auf die Strasse gehen sie deswegen nicht. Versicherungsmathematik ist zu wenig emotional, um sie als öffentliches Happening zu inszenieren. Zwar nehmen sich Jungparteien des Themas an, eine Greta Thunberg der Altersvorsorge ist aber weit und breit nicht in Sicht, zumal Geld und Besitz bei den Jungen aufgrund eines eher wachstumsskeptischen Zeitgeistes eine untergeordnete Rolle zu spielen scheinen. In Zeiten von Klimawandel, Plastikplage und Gletscherschwund haben vielmehr Sharing Economy, Veganismus und Selbstbeschränkung Hochkonjunktur – zumindest auf den ersten Blick. Bei genauerem Hinschauen sind aber auch die Jungen nur Menschen – mit all ihren Widersprüchen. Das bürgerliche Familienidyll hat längst nicht abgedankt. 84 Prozent der 16- bis 25-Jährigen in der Schweiz träumen vom Eigenheim; auch das hat das CSJugendbarometer herausgefunden – Sharing Economy hin oder her.
Es ist also davon auszugehen, dass auch in Zukunft Familien gegründet und Häuser gebaut werden. Umso mehr steht die Generation der (älteren) Erwachsenen in der Pflicht, den Nachfahren eine Welt zu hinterlassen, in der solche Träume von Wohlstand und intakter Umwelt realisierbar bleiben. Kaum eine andere Industrie hat eine derart hohe Affinität zu vorausschauendem Handeln wie die Versicherungsbranche. Sie lebt davon, sich vorzustellen, wie sich Mensch, Umwelt und Lebensumstände entwickeln, schliesslich gibt sie ihren Kunden langfristige Versprechen ab, die es einzuhalten gilt. Insbesondere die Folgen des Klimawandels können die Versicherungswirtschaft gar nicht kaltlassen.
Die Bautätigkeit spielt in der Schweiz in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Bevölkerungswachstum, Wohlstand und Mobilität führen zu einer raschen Überbauung des Kulturlandes. Die Siedlungsflächen wachsen gemäss der Arealstatistik Schweiz sogar schneller als die Bevölkerung. Damit steigt nicht nur die Zahl der zu versichernden Objekte, auch die wachsende Versiegelung der Böden bleibt nicht folgenlos.
Nachhaltiges Investieren ist weder eine Modeerscheinung noch ein Widerspruch zur Rendite.
Die Macht des Wassers
Der sogenannte Oberflächenabfluss, der entsteht, wenn grosse Regenmengen innert kurzer Zeit niedergehen und über das freie Gelände ablaufen, machen schon heute über 50 Prozent der Wasserschäden aus, mit zum Teil dramatischen Folgen. Niemand möchte Bilder sehen wie jene des Schaffhauser Tierheimes, das nach einem Starkniederschlag im Mai 2013 überflutet wurde. 40 Tiere, darunter viele Hunde und Katzen, mussten qualvoll in den Fluten ertrinken. Damit uns solche Szenen in Zukunft erspart bleiben, hat der Schweizerische Versicherungsverband SVV in enger Zusammenarbeit mit den Behörden eine öffentlich frei einsehbare Gefährdungskarte erarbeitet. Diese ermöglicht es Raumplanern und Gebäudeeigentümern, mit wenigen Klicks die Gefahrenzonen des Oberflächenabflusses zu erkennen und gegebenenfalls bauliche Massnahmen zu ergreifen.
Viele Versicherungsgesellschaften engagieren sich mit eigenen Projekten für die Nachhaltigkeit. So wird etwa die Aufforstung von Schutzwäldern gefördert, ein Engagement, an dem sich auch Kundinnen und Kunden beteiligen können, indem sie eine Art Patenschaft für den Baum ihrer Wahl übernehmen. Das Pflanzen eines Baumes steht wie auch der Schutzwald sinnbildlich für nachhaltiges Investieren und für einen verantwortungsbewussten Umgang des Menschen mit der Natur. Auch in der Erforschung von Naturgefahren ist die Versicherungsindustrie engagiert. Und die in Zürich stark vertretenen Rückversicherungen leisten einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des Klimawandels und zur Bewältigung seiner möglichen Folgen.
Es versteht sich von selbst, dass für die Versicherungswirtschaft auch die Investitionspolitik dem Anspruch der Nachhaltigkeit gehorchen muss. Das bewusste Anlegen von Kapital ist ein kraftvolles Instrument zur Förderung der Nachhaltigkeit. Schon im Jahr 2016 hat sich die Versicherungswirtschaft in einem Positionspapier zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens ausgesprochen. Viele Unternehmen der Branche haben in ihren Anlagestrategien Ausschlusskriterien für klimaschädliche Geschäfte festgelegt. Auch Pensionskassen nutzen Nachhaltigkeitsprüfungen zur Standortbestimmung.
Nachhaltiges Investieren ist weder eine Modeerscheinung noch ein Widerspruch zur Rendite. Nachhaltige Investitionen erweisen sich im Gegenteil auch unter ökonomischen Gesichtspunkten als interessant, weil sie auf Langfristigkeit angelegt und damit weniger volatil sind. Damit ist auch «das Risiko niedriger, was die adjustierte Rendite verbessert», sagte der oberste Risikomanager von Swiss Re, Patrick Raaflaub, schon vor einem Jahr an der Konferenz der Versicherungsbranche.
Bis zum Wandel des Klimawandels ist es allerdings noch ein weiter Weg. Eines lässt sich aber schon jetzt sagen: Die Schweizer Wirtschaft – insbesondere die Versicherungswirtschaft – ist sich ihrer gesellschaftlichen Aufgabe bewusst. Das Zusammenspiel von Subsidiarität, Marktwirtschaft und zivilgesellschaftlicher Verantwortung bewährt sich auch dann, wenn es um die finanzielle und ökologische Wohlfahrt der Enkel geht.
Soziale und ökologische Ziele erfüllen
Sicher und nachhaltig sollen sie sein und gleichzeitig eine gute Rendite erzielen. Sandro Meyer, Head of Life und Mitglied der Geschäftsleitung Zurich Schweiz sowie Mitglied des Ausschuss Lebens SVV, spricht über die Ansprüche an die Anlagen der Versicherer. Und was die Coronakrise bewirkt.
Von Haus aus Optimist: Sandro Meyer.
Haben Sie etwas Ähnliches wie die Coronakrise an der Börse schon erlebt?
Ja, ich durfte von 2006 bis 2010 für Zurich in Chicago arbeiten. Zusammen mit meiner Familie habe ich den «Financial Meltdown» sehr nahe miterlebt. Unsere Nachbarn mussten teilweise innerhalb von vier Wochen die Häuser verkaufen. Dieses Mal haben wir den stärksten Rückgang bei den Aktien erlebt, die Volatilität übertraf gar jene in der Finanzkrise 2008.
Wann wurde Ihnen klar, wie dramatisch diese Krise ausfallen würde?
So richtig klar wurde mir die Ausgangslage, als ich mich ausführlicher mit der Anzahl der Infizierten in Italien auseinandergesetzt habe. Ich habe mütterlicherseits norditalienische Wurzeln und meine Frau ist Italienerin. Deshalb haben wir schon früh einiges mitgekriegt.
2019 war ein gutes Börsenjahr, die Coronakrise hat die Gewinne in kurzer Zeit vernichtet – hat sich die Finanzierung der Altersvorsorge nachhaltig verschlechtert?
Nein, klar nicht, trotz der Dramatik. Die Entwickler der zweiten Säule haben in den siebziger Jahren eine sehr solide Grundkonstruktion entworfen und umgesetzt. Die Pensionskassen und Stiftungen sind auf eine sehr lange Periode angelegt, die auch stürmische Zeiten mit schmerzhaften Bärenmärkten verkraften.
Ist der negative Effekt der Coronakrise aufgrund des Tiefzinsumfelds besonders gravierend?
Da die Zinsen vor der Krise bereits tief waren, war der Handlungsspielraum der Notenbank im Vergleich zu ähnlichen Situationen in der Vergangenheit sicher kleiner. Dennoch haben viele Staaten sehr entschieden auf die schwierige Ausgangslage reagiert.
Ich bin überzeugt, dass wir langfristig alle gestärkt aus der aktuellen Situation herausfinden werden.
Schon vor der Krise war die Situation herausfordernd. Tiefzinsniveau und Renditevorgaben, Nachhaltigkeit und Sicherheit – macht Ihnen Ihre Arbeit überhaupt noch Spass?
Ich bin von Haus aus Optimist. Ich bin überzeugt, dass wir langfristig alle gestärkt aus der aktuellen Situation herausfinden werden. Hinter dem Konzept des nachhaltigen Investierens steht die Idee, nicht nur zu investieren, um eine Rendite zu erzielen, sondern auch, um soziale und ökologische Ziele zu erfüllen. Diese schliessen sich in vielen Fällen nicht gegenseitig aus. Zurich hat sich als erste Firma weltweit das Ziel gesetzt, nicht nur mit nachhaltigen Investments gewisse Risiken zu vermeiden, sondern darüber hinaus gesetzte Ziele zu erreichen. Konkret sind wir daran, 5 Milliarden US-Dollar in sogenannte Impact Investments zu stecken. 4,5 Milliarden haben wir bereits investiert. Mit diesen Geldern verfolgen wir das Ziel, den CO2-Ausstoss um 5 Millionen Tonnen zu reduzieren und die Lebensbedingungen von 5 Millionen Menschen zu verbessern.
Versicherer legen langfristig an. Ist es diesen Anlagen nicht per se eigen, dass sie einen Anspruch auf Nachhaltigkeit erfüllen sollten?
Ja, absolut. Das Versicherungswesen ist in seinem innersten Kern eine soziale Angelegenheit. Sie basiert auf der Annahme, dass eine Gruppe von Menschen Verluste tragen kann, die einzelne nicht verkraften können. Kunden führen ihre Reserven über Versicherungen zusammen, um jene Risiken tragbar zu machen, die eine einzelne Person nicht verkraften kann. Nachhaltiges Investieren ist ein Ansatz für die Verwaltung dieser Reserven. Er verbessert unsere Fähigkeit, gut zu wirtschaften, weil er das Risiko finanzieller Verluste mindert und zugleich neue Möglichkeiten für finanzielle Erträge schafft.
Ist das Thema Nachhaltigkeit ein Modetrend oder hat es das Anlageverhalten grundlegend verändert?
Zurich sieht das Thema Nachhaltigkeit definitiv nicht als Modetrend. Wir engagieren uns für eine langfristige Neuausrichtung des Investitionsverhaltens.
Stellen Nachhaltigkeitskriterien eine zusätzliche Herausforderung dar?
Konventionelle Instrumente zur Beurteilung von Risiken und Renditen beruhen auf Informationen, die sich zwar leicht in Dollars und Cents quantifizieren und aus Bilanzen oder Erfolgsrechnungen aggregieren lassen, aber nicht immer ein vollständiges Bild zeichnen. Zurich hat daher bereits vor Jahren begonnen, diese Informationen so zu ergänzen, dass wir auch Nachhaltigkeitsziele einschätzen können. Wir haben die traditionelle Beurteilung um drei nichtfinanzielle Dimensionen erweitert. Es sind dies ökologische und soziale Aspekte sowie jene der Governance. Diese Ergänzung brachte natürlich einen Aufwand mit sich. Wir sind aber überzeugt, dass sich dieser ausbezahlen wird, denn langfristig können wir unsere Assets so besser investieren.
Beim Thema Nachhaltigkeit liegt der mediale Fokus auf der Klimafrage. Wie ist die Gewichtung bei Anlagebewertungen: Welche Rolle spielen soziale Kriterien?
Durch unsere Impact-Investment-Strategie nutzen wir die Kapitalmärkte, um nach Lösungen für viele der drängenden sozialen oder ökologischen Probleme unserer Zeit zu suchen und diese zu finanzieren.
Nehmen Sie die jüngeren Kundinnen und Kunden auch beim Thema Sicherheit der Renten wahr?
Ja, denn die Diskussion über die Umverteilung zwischen den Generationen, die vor Jahren ausschliesslich von Experten geführt wurde, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Gerade junge Kundinnen und Kunden fragen sich, ob die Fairness zwischen den Generationen nicht überstrapaziert wird und dadurch die Sicherheit ihrer Renten langfristig nicht mehr gewährleistet sein könnte.
Kritische Stimmen sagen: Es gibt zu viel Kapital, das günstig ist. Noch mehr sparen macht Kapital noch günstiger. Funktioniert sparen noch?
Gegenwärtig gibt es viel Kapital, das ist ein Fakt. Aber oft schauen die Menschen etwas verklärt in die Vergangenheit. Früher war die Inflation oft höher als die Zinsen. Trotzdem waren alle glücklich. Nominal sind die Werte gestiegen, real aber nicht. Ich bin überzeugt, dass Sparen weiterhin funktioniert und wichtig ist. Vielleicht müssen wir uns aber mittelfristig mit tieferen Renditen zufriedengeben. Sparen heisst für mich ganz klassisch: einen Betrag auf die Seite legen, den ich in der Zukunft einmal verwenden muss oder darf.
Man spricht im Zusammenhang mit den tiefen Zinsen auch vom «New Normal»: Können Sie sich vorstellen, was die Zinsen wieder steigen lassen könnte?
Grundsätzlich können Zinsen sowohl steigen als auch sinken. Das haben wir in den letzten Monaten gesehen. Die Gesellschaft muss sich bewusst sein, dass wir uns bezüglich Geldpolitik und Verschuldung in einem bisher nicht erkundeten Gebiet befinden. Deshalb ist es sehr schwierig zu sagen, was die Zinsen wieder steigen lassen könnte, gerade auch angesichts des immer höheren Durchschnittsalters der Bevölkerung. Trotz allem sollten wir nicht davon ausgehen, dass die Zinsen nie wieder steigen werden.
Erstes Nachhaltigkeitsreporting
Zum ersten Mal rapportieren die Privatversicherer über ihre Leistungen im Bereich der Nachhaltigkeit.
Ein Grossteil der Mitgliedgesellschaften nutzen bereits ESG-Kriterien (Environmental, Social and Governance) in ihren Anlageprozessen: Bei 86 Prozent der Kapitalanlagen der rapportierenden Mitgliedgesellschaften werden ESG-Kriterien im Investitionsprozess miteinbezogen. Dies ist eines der Ergebnisse des Nachhaltigkeitsreportings. Zum ersten Mal haben die Privatversicherer über ihre Aktivitäten im Bereich Nachhaltigkeit gemeinsam informiert. 32 Mitgliedgesellschaften haben ihre Daten erhoben. Sie decken 94 Prozent der Kapitalanlagen der Privatassekuranz ab. Total hält die Privatassekuranz gemäss Finma 582 Milliarden Franken (Stand: 31. Dezember 2018).
Der Energieverbrauch sinkt
Der Bericht deckt drei Bereiche ab. Neben den Kapitalanlagen informiert er über das Underwriting und die Betriebsökologie. Bezüglich Letzterer zeigen die Daten, dass bereits 78 Prozent der an der Erhebung teilnehmenden Unternehmen eine interne Ökobilanz erstellen. Die meisten von ihnen publizieren diese jährlich. Der Vergleich zum Vorjahr zeigt, dass im Jahr 2018 insbesondere der Energieverbrauch sowie die CO2-Emissionen pro Vollzeitstelle gesunken sind.
Noch fehlt eine gemeinsame Datenbasis
Auch im Bereich Underwriting unternehmen die einzelnen Versicherer bereits einiges. Eine gemeinsame Datenbasis für quantifizierte Aussagen ist derzeit jedoch noch nicht vorhanden. Die ergriffenen Massnahmen der einzelnen Unternehmen zeigen jedoch, in welche Richtungen gearbeitet wird. Anhand konkreter Beispiele zeigt der Bericht etwa, wie die Mitgliedunternehmen des SVV mit klaren Richtlinien Ausschlüsse bei fossilen Energieträgern vornehmen.
Die Datenbasis des Nachhaltigkeitsreportings wird weiter ausgebaut. In regelmässigen Abständen wird der Bericht über die Leistungen der Versicherer informieren. Die Schweizer Privatversicherer setzen auf Eigenverantwortung und wollen sich bei Vorliegen internationaler Standards auch mit diesen vergleichen.
Reform der beruflichen Vorsorge
Mitte Dezember 2019 eröffnete der Bundesrat die Vernehmlassung zur Reform der beruflichen Vorsorge. Kurz vor deren Abschluss wurde die Frist um zwei Monate bis Ende Mai 2020 verlängert.
Der Schweizerische Versicherungsverband SVV hat Mitte März 2020 seine Vernehmlassungsantwort zum Vorschlag des Bundesrates für die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) eingereicht. Kern der Reform bildet die Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes auf 6,0 Prozent in einem Schritt. Damit verbunden ist die Einführung eines Beitrages zur Finanzierung der weiterhin anfallenden Rentenumwandlungsverluste. Der SVV beurteilt diese Massnahmen als zwingend und befürwortet sie dementsprechend in der vorgeschlagenen Form vorbehaltlos. Die Zielsetzung, das Leistungsniveau trotz Senkung des Umwandlungssatzes zu erhalten, begrüsst der SVV. Allerdings sieht der Verband Optimierungsbedarf bei den Ausgleichsmassnahmen: Er schlägt eine weniger starke Reduktion des Koordinationsabzuges, eine moderatere Glättung der Altersgutschriften sowie den früheren Beginn des Alterssparens vor. Den vorgeschlagenen Rentenzuschlag lehnt der Verband ebenso ab wie die dafür angedachte Finanzierung. Damit würde in der zweiten Säule ein im Umlageverfahren organisiertes, systemfremdes Element ohne zeitliche Befristung eingeführt. Der Reformvorschlag des Bundesrates orientiert sich eng am Vorschlag, den der Schweizerische Gewerkschaftsbund, der Arbeitnehmerverband Travail.Suisse und der Schweizerische Arbeitgeberverband im Juli 2019 präsentierten. Die Reform ist und bleibt aus Sicht des SVV zwingend und dringend. Er verlangt deshalb, dass dem Parlament nun rasch eine Gesetzesvorlage unterbreitet wird.
Herausforderung Altersvorsorge
Ein Kommentar von Christoph A. Schaltegger
Die finanzielle Lage der umlagefinanzierten Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) verschlechtert sich zusehends. Seit 2014 decken die laufenden Einnahmen die laufenden Ausgaben nicht mehr – der AHV-Fonds dürfte gemäss geltender Ordnung bereits im Jahr 2034 aufgebraucht sein. Die demografischen Ursachen dieser Entwicklung sind längst bekannt: sinkende Geburtenrate und steigende Lebenserwartung. Die Herausforderung akzentuiert sich in den nächsten Jahren, wenn die geburtenstarken Babyboom-Jahrgänge das Rentenalter erreichen. Das Ungleichgewicht zwischen Rentnern und Erwerbstätigen wird sukzessiv ansteigen. Eine Erhöhung des Rentenalters ist also angezeigt.
Christoph A. Schaltegger ist Professor für Politische Ökonomie und Gründungsdekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern.
Dabei wäre der Arbeitsmarkt gut auf eine Erhöhung des Rentenalters vorbereitet. Die älteren Arbeitnehmer sind äusserst gut in den Schweizer Arbeitsmarkt integriert. Die Arbeitsmarktbeteiligung der älteren Bevölkerung steigt seit Jahren an und ist im internationalen Vergleich sehr hoch. Ein generelles Arbeitslosigkeitsproblem für ältere Arbeitnehmer besteht nicht – im Vergleich zu anderen Altersgruppen ist die Arbeitslosigkeit nach wie vor unterdurchschnittlich. Ältere Arbeitnehmer sind zwar häufiger von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen, die Arbeitslosenversicherung trägt dieser Problematik aber bereits heute
Rechnung, indem ab dem 55. Altersjahr ein längerer Leistungsbezug möglich ist. In den nächsten Jahren wird die demografische Entwicklung zudem zu einer spürbaren Verknappung des Arbeitsangebotes führen, was der Nachfrage nach älteren Arbeitskräften zusätzlichen Schub verleihen dürfte.
Auch unsere Gesundheit wäre auf eine Erhöhung des Rentenalters vorbereitet. Dank steigendem Wohlstand und medizinischem Fortschritt ist die Lebenserwartung in der Schweiz im Laufe des 20. Jahrhunderts stark angestiegen. Die Menschen werden aber erfreulicherweise nicht nur immer älter, sondern bleiben auch länger gesund. Wie die Forschung zeigt, hat sich der Alterungsprozess um ein Jahrzehnt nach hinten verschoben («70 ist das neue 60»). Hatten 65-Jährige im Jahr 1992 durchschnittlich noch elf bis zwölf Jahre bei guter Gesundheit vor sich, sind in der Zwischenzeit weitere drei Jahre dazugekommen. Sowohl in der Altersklasse 55 bis 64 wie auch in der Altersklasse 65 bis 74 beschreiben gut drei Viertel der Personen beider Geschlechter ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut. Das Alter 65 stellt keine Schwelle dar, an der gesundheitliche Probleme spürbar zunehmen würden. Für die meisten Menschen in der Schweiz wäre beispielsweise ein Rentenalter 67 gesundheitlich bereits heute kein Problem.
Wenn die Dinge so klar sind, warum macht denn die Politik nichts? Rentenpolitik wirkt generationenübergreifend, wird aber im üblichen «Kuhhandel» innerhalb der heutigen Generationen betrieben. Am Entscheidungstisch sitzen nur die heutigen Generationen. Nachhaltige und generationenübergreifend ausgewogene Lösungen haben es daher im tagespolitischen Geschäft äusserst schwer. Lieber schiebt man die Finanzierung der Sozialversicherungen auf und belastet zukünftige Steuer- bzw. Beitragszahler. Gerade bei der AHV ist es deshalb sinnvoll, Regeln zu definieren, die die Politiker (und auch die Gesellschaft) an zeitkonsistentes Verhalten binden. Letztlich dürfte nur ein regelgebundener Mechanismus die Reformblockade überwinden und gleichzeitig langfristig eine einigermassen generationengerechte AHV-Finanzierung sicherstellen können.
Verantwortung übernommen
Im Herbst 2019 haben die Privatversicherer den letzten Anteil der zugesicherten zehn Millionen Franken an die Stiftung Entschädigungsfonds für Asbestopfer EFA überwiesen. Sie haben ihr Versprechen eingelöst. Damit tragen sie massgeblich dazu bei, dass die Stiftung die Ansprüche von Gesuchstellern (Erkrankte ohne ausreichenden Versicherungsschutz) mittelfristig erfüllen kann. Insgesamt rechnet der Stiftungsrat, der von Urs Berger präsidiert wird, mit einem Bedarf von 100 Millionen Franken. Unternehmen, die Asbest produziert oder verarbeitet haben und weitere, die soziale Verantwortung übernehmen, sollen anteilsmässig diesen Fonds finanzieren.
Jahresbericht 2019
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Der Verband im vergangenen Jahr
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Optimale Rahmenbedingungen
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Attraktive Arbeitswelt
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Integration und Prävention
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Versicherer der Versicherer
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Politische Geschäfte
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Aktivitäten und Projekte
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