Integration und Prävention
In der Prävention und Integration zählt der gemeinsame Erfolg.
Kapitel
«Was gibt es Schöneres?»
Interview Takashi Sugimoto
Bettina Zahnd ist seit vergangenem Jahr Vizepräsidentin des Stiftungsrats der Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu. Als Leiterin Unfallforschung & Prävention bei der AXA vertritt sie die Interessen der Privatversicherer. Seit 16 Jahren engagiert sich die studierte Physikerin in der Unfallforschung.
Setzt sich mit Herzblut für die Unfallprävention ein: Bettina Zahnd.
Weshalb betreiben Privatversicherer Prävention?
Seit es Versicherungen gibt, stellt sich die Frage nach Prävention. In erster Linie fokussieren Versicherer natürlich darauf, die finanziellen Folgen eines Schadens zu decken. Dank Erkenntnissen aus Schadenfällen sind sie aber auch in der Lage, präventive Massnahmen aufzuzeigen, um Schäden zu verhindern oder Schadenfolgen zu mindern.
Ist Prävention eine Frage des Images?
Natürlich weckt das Engagement eines Versicherers in der Prävention Sympathien. Unser Hauptanliegen ist es jedoch, den Strassenverkehr insgesamt sicherer zu machen, was sich folglich auch in tieferen Schadenkosten widerspiegelt.
Ist es als Privatversicherer schwierig, das Engagement in der Prävention zu rechtfertigen. Die Wirkung ist meist sehr breit?
Es ist tatsächlich schwierig, die Wirkung einzelner Präventionsmassnahmen nachzuweisen. Dass sich Prävention für die Gesellschaft generell lohnt, ist jedoch unumstritten.
Können Sie die Wirkung belegen?
Tatsächlich können wir das, zum Beispiel bei Unternehmenskunden, die bei uns ihre Fahrzeugflotte versichert haben. Zeigt die Prävention Wirkung, sinken die Schadenfälle und entsprechend die Prämien. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist das Bekenntnis der Unternehmensführung zu den Präventionsmassnahmen.
Der Nutzen von Präventionsmassnahmen im Strassenverkehr generell kann durchaus belegt werden.
Und unabhängig von Firmenkunden?
Zwar lassen sich die positiven Auswirkungen eines Crashtests nicht als Einzelmassnahme quantifizieren. Aber der Nutzen von Präventionsmassnahmen im Strassenverkehr generell kann durchaus belegt werden: Im Jahr 1971 kamen fast 1800 Personen bei Verkehrsunfällen ums Leben, letztes Jahr waren es noch 187, bei deutlich höherem Verkehrsaufkommen. Mit einer gezielten Erhöhung des Sicherheitsbewusstseins haben die verschiedenen Akteure der Prävention in der Schweiz viel erreicht.
Wie erkenne ich, dass sich das Sicherheitsbewusstsein verändert hat?
Ein für mich sehr offensichtliches Beispiel: Früher galt Alkohol am Steuer eher als ein Kavaliersdelikt. Heute wird dies von der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert.
Strassenverkehr ist einer der Schwerpunkte der Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu, bei der Sie Vizepräsidentin des Stiftungsrates sind. Wie werden die bfu-Schwerpunkte gewählt?
Die bfu setzt die Schwerpunkte faktenbasiert. Wir engagieren uns in den Bereichen, in welchen wir die grösstmögliche Wirkung erzielen können. Dabei sind nicht allein die Fallzahlen entscheidend: Ebenso spielen die Schwere der Unfälle wie auch die Fremdgefährdung eine Rolle.
Was ist die Stärke der bfu?
In der bfu engagieren sich die Suva und die Privatversicherer gemeinsam für die Prävention. Eine der grössten Stärken ist folglich, dass alle wichtigen Akteure involviert sind und konstruktiv im Sinne der Sache zusammenarbeiten.
Es geht um Prävention, nicht um firmenpolitische Präferenzen.
Gibt es keine unterschiedlichen Interessen zwischen der öffentlich-rechtlichen Suva und Privatversicherern?
Die Mitglieder der bfu sind im kontinuierlichen Dialog, zum Beispiel bezüglich der drei Schwerpunkte Strassenverkehr, Sport & Bewegung sowie Zuhause & Garten. Die Diskussionen verlaufen dabei stets faktenbasiert und im Interesse der Prävention. Hinzu kommt, dass sich die bfu nicht in denselben Bereichen engagiert wie die Suva respektive die Privatversicherer und umgekehrt. Ausserhalb der bfu hat jeder Versicherer seine eigenen Schwerpunkte in der Prävention, die sich ihrerseits gut ergänzen.
Sie vertreten alle Privatversicherer. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um, die Interessen verschiedener Unternehmen gleichermassen zu wahren?
Die Interessen der Privatversicherer sind in diesem Fall sehr ähnlich. Es geht um Prävention, nicht um firmenpolitische Präferenzen. Dass die individuellen Aktivitäten der Privatversicherer im Präventionsbereich komplementär sind, erleichtert die Konsensfindung zusätzlich.
Ihr Engagement für die bfu beansprucht Zeit. Brauchte es Überzeugungsarbeit, damit Ihre Arbeitgeberin Ihnen diese Zeit einräumte?
Nein. Eigentlich ist es nur logisch, dass wir eng mit der bfu zusammenarbeiten. Ich erlebe mein Engagement als sehr bereichernd. Die bfu ist ein Kompetenzzentrum, von dem viel Wissen wieder zurückfliesst. Davon profitiere ich persönlich und letztlich auch meine Arbeitgeberin.
Was ist für Sie wichtig an diesem Engagement?
Für mich ist die Vernetzung sehr wichtig. Es gibt nur eine Handvoll Institutionen in der Schweiz, die für die Prävention forschen. Dass ich bei der bfu im Stiftungsrat mitgestalten kann, ist für die Privatversicherer und die AXA eine Bereicherung.
Sie sind seit 16 Jahren in der Unfallforschung. Reizt sie diese Aufgabe noch immer?
Absolut. Was gibt es Schöneres, als jeden Tag aufzustehen, um sich für mehr Sicherheit und weniger Unfälle im Strassenverkehr zu engagieren?
Gemeinsam für weniger Unfälle
Mit komplementären Aktivitäten engagieren sich die verschiedenen Akteure in der Prävention.
Arbeitnehmende in der Schweiz sind obligatorisch gegen die Folgen eines Unfalls versichert. Dabei wird zwischen der Berufs- (BU) und der Nichtberufsunfallversicherung (NBU) unterschieden. Für die Unfallprävention wird sowohl in der BU als auch bei der NBU ein gesetzlich festgelegter Präventionszuschlag auf die jeweilige Prämie erhoben. Für die Präventionsmassnahmen und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ist die Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit EKAS zuständig. Sie koordiniert die Präventionsmassnahmen, die Aufgabenbereiche im Vollzug und die einheitliche Anwendung der Vorschriften.
Im Bereich der Nichtberufsunfälle können die Versicherungsunternehmen mit 20 Prozent des Prämienzuschlags eigene Präventionsaktivitäten finanzieren. Mindestens 80 Prozent fliessen an die Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu. Diese wurde 1938 gegründet und 46 Jahre später in eine privatrechtliche Stiftung umgewandelt. Sie erfüllt einen öffentlichen Auftrag. Die Suva stellt den Präsidenten der bfu. Nebst der Suva sind auch die Privatversicherer im Stiftungsrat vertreten. Sie stellen die Vizepräsidentin sowie weitere drei Mitglieder des elfköpfigen Stiftungsrates. Darüber hinaus engagieren sich die Privatversicherer mit eigenen Schwerpunkten in der Prävention. Zum Teil betreiben sie Stiftungen, die sich gezielt und unabhängig der Prävention widmen.
So funktioniert berufliche Eingliederung
Damit die berufliche Eingliederung gelingt, müssen verschiedene Partner erfolgreich zusammenarbeiten. Die 2019 lancierten Systemlandkarten helfen Arbeitgebern beim Überblick über die involvierten Stellen.
Compasso, das Informationsportal für Arbeitgeber zu Fragen der beruflichen Eingliederung hat im vergangenen Jahr eine neue Orientierungshilfe für Arbeitgeber zum Thema berufliche Eingliederung vorgestellt. Die Systemlandkarte zeigt das Zusammenspiel der involvierten Partner auf und dient Arbeitgebern als Orientierungshilfe bei der Wiedereingliederung von verunfallten Arbeitnehmern. Der Schweizerische Versicherungsverband SVV unterstützte die Erarbeitung der Systemlandkarte. «Es ist nur logisch, dass sich die Versicherer hier einsetzen», sagt Bruno Soltermann zum Engagement. Der Chefarzt und Leiter der Arbeitsgruppe Personenschaden und Reintegration des SVV fügt an, dass die Privatversicherer mit rund 47 700 Mitarbeitenden ein wichtiger Arbeitgeber in der Schweiz seien. «Als Kostenträger sind sie bei Arbeitsausfällen ebenso betroffen und unterstützen die berufliche Eingliederung», sagt er. Deswegen engagiert sich der Schweizerische Versicherungsverband SVV gemeinsam mit Compasso für Arbeitnehmende mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, in Zusammenarbeit mit über 90 Mitgliedern aus der Privatwirtschaft, dem öffentlichen Sektor sowie der Zivilgesellschaft.
Ein Ausfall, mehrere Betroffene
«Das Ziel muss sein, Mitarbeitende im Arbeitsprozess zu halten», sagt Bruno Soltermann. Fällt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter dennoch aus, gilt es, die berufliche Eingliederung zu unterstützen respektive die Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten. «Die Situation ist für den Arbeitgeber nicht einfach», sagt Bruno Soltermann. Damit meint er nicht nur, dass ein Betrieb durch einen Ausfall die dadurch entstehende Mehrbelastung auffangen muss. Tatsächlich sind bei Ausfällen fast immer verschiedene Versicherer mit verschiedenen Aufgaben betroffen. Was macht die IV, wo zahlt die Krankenversicherung oder ab wann ist die Arbeitslosenversicherung zuständig? Mit der neu lancierten Systemkarte erarbeitete Compasso 2019 ein wichtiges Instrument, um im Bedarfsfall genau diese Fragen beantworten zu können. «Die neu lancierte Systemlandkarte von Compasso unterstützt den Arbeitgeber», sagt Bruno Soltermann. Sie zeigt für die sechs häufigsten Fallkonstellationen die Prozesse der beruflichen Eingliederung auf: Welcher Versicherer ist in welchen Prozessschritt involviert? Welche Massnahmen können und sollen getroffen werden? Und wer trägt die Kosten? Die Systemlandkarten fördern die Transparenz. Zudem helfen sie dabei, die komplexen Zusammenhänge des Sozialversicherungssystems im Bereich der beruflichen Eingliederung zu verstehen.
Wo Koordinationsbedarf besteht
Ergänzend zu diesen Karten hat Compasso in Zusammenarbeit mit dem SVV und der Invalidenversicherung den Leitfaden «Zusammenarbeit der Krankentaggeldversicherungen mit den IV-Stellen unter Mitwirkung der Arbeitgeber» entwickelt. Bruno Soltermann: «Der Leitfaden zeigt die wichtigsten Zusammenhänge und Aufgaben der einzelnen Partner auf.» Eine Übersicht stellt die einzelnen Prozessschritte dar – einerseits aus Sicht der Krankentaggeldversicherungen, anderseits aus Sicht der IV-Stellen. Arbeitgeber finden im Leitfaden die Fristigkeiten und erhalten Antworten auf die Frage, wer welche Leistungen erbringt. Ausserdem zeigt er auf, wo Koordinationsschwerpunkte bestehen. «Dieses Wissen erhöht die Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit», sagt Bruno Soltermann. «Es verkürzt den Ablauf. So gelingt eine schnellere und nachhaltigere Rückkehr an den Arbeitsplatz. Davon profitieren die betroffenen Mitarbeitenden und Arbeitgeber.» Die Arbeit von Compasso beschränkt sich jedoch nicht auf die Eingliederung. Gerade auch in der Früherkennung engagiert sie sich. «Denn diese ist anspruchsvoll», sagt Bruno Soltermann. Abnehmende Leistung oder Verhaltensänderungen im Team können Anzeichen für psychische Leiden sein, die oft schleichend auftreten.
Denn klar ist: Je besser alle involvierten Parteien zusammenarbeiten, desto rascher gelingt die berufliche Wiedereingliederung.
Langfristiges Engagement
Das Engagement des SVV bei Compasso bezieht sich nicht nur auf die entwickelten Systemlandkarten. Er ist als einer der Hauptsponsoren bei Compasso aktiv und bringt in diversen Bereichen sein Fachwissen mit ein. Zudem treiben Mitglieder der SVV-Arbeitsgruppe Personenschaden und Reintegration (AG Pe Re) in einem Think-Tank die fachliche Entwicklung voran. Sie erschaffen weitere Instrumente zur Unterstützung der Arbeitgeber. Denn klar ist: Je besser alle involvierten Parteien zusammenarbeiten, desto rascher gelingt die berufliche Wiedereingliederung.
Erfolgreiche Integration nutzt allen
Ein Kommentar von Christa Raddatz
Die Integration von erkrankten und verunfallten Versicherten ist für die Privatversicherer von grosser Bedeutung, dementsprechend engagieren sie sich auf verschiedenste Weise. So übernimmt der Versicherer häufig die Koordination der verschiedenen involvierten Stellen und generiert dadurch, sowohl für den Versicherten als auch für dessen Arbeitgeber, einen Mehrwert.
Der Versicherer unterstützt den Arbeitgeber und den Versicherten bei einem zielgerichteten und schrittweisen Wiedereinstieg in die angestammte oder in eine dem Leiden angepasste Tätigkeit. Dies geschieht häufig bereits zu einem Zeitpunkt, in welchem die anderen Partner noch nicht in den Fall involviert sind. Dieses Vorgehen soll sowohl der versicherten Person als auch dem Arbeitgeber Stabilität, Sicherheit und Vertrauen geben, da der Verlust oder die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit in der Regel existenzielle Sorgen auslösen und den Wegfall von vertrauten Abläufen mit sich bringt. Eine nachhaltige Integration ist für den Versicherten des Weiteren von zentraler Bedeutung, da eine soziale und finanzielle Sicherheit sich in der Regel auch positiv auf den Heilverlauf auswirkt. Mit einem Engagement bei der Integration unterstützt der Versicherer den Arbeitgeber in dessen sozialer Verantwortung. Der Erhalt der Arbeitskraft ist nicht zuletzt im Hinblick auf die demografische Entwicklung von zunehmender Bedeutung.
Auch die involvierten Sozialversicherer wie z. B. die IV, die BVG- und die KVG-Versicherer können von einer gelungenen Integration profitieren, da eine solche ihre Leistungen reduziert oder einen Leistungsanspruch verneinen kann. Nicht ausser Acht gelassen werden darf, dass eine nachhaltige Reintegration auch einen positiven Beitrag für unsere Volkswirtschaft bringt, da die versicherte Person weiterhin als Steuerzahler fungieren kann und auch das Sozialbudget dadurch nicht belastet wird. Bei den Versicherern trägt das Engagement im Bereich der Integration zu einem positiven Image bei und verhilft dadurch möglicherweise auch zu einer Steigerung der Attraktivität. Eine erfolgreiche Reintegration lohnt sich für alle Beteiligten.
Zur Person
Christa Raddatz ist Versicherungsfachexpertin mit eidg. Diplom und Versicherungsbetriebswirtin DVA/Case Managerin FH bei der Baloise.
Jahresbericht 2019
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