Recht auf Wahl bringt auch Pflicht
Die Konsumenten emanzipieren sich dank Vergleichsportalen und anderen digitalen Hilfen immer mehr von der institutionellen Beratung und gehen gut vorbereitet und oft mit klaren Vorstellungen in ein Vertragsgespräch. Die Beratung muss sich auf diesen digitalen Zeitgeist einstellen. Der Bedarf nach einem menschlichen Gegenüber in der Kundenbeziehung wird aber bleiben.
Beitrag aus dem Jahresmagazin View
Für den Kunden ist es ein – hoffentlich – einmaliges Ereignis, für Munir Hoxha, Verkaufsleiter bei «Zurich» in Baden-Dättwil, eine Episode aus dem Berufsalltag: Sturmtief Bennet fegt über die Schweiz und lässt einen Pingpong-Tisch von einer Terrasse auf die Strasse fliegen, wo er ein parkiertes Auto beschädigt. Wer haftet nun für diesen Schaden? Die Besitzerin des Pingpong-Tisches vielleicht?
Bei einem solchen Vorfall hilft den Versicherten auch die raffinierteste Internetsuche nicht weiter. Er ist ein Fall für den Berater. Es sind solche Fälle, die zeigen, dass der Bedarf an einem menschlichen Gegenüber in der Kundenbeziehung auch im digitalen Zeitalter noch lange nicht passé ist. Im Technischen mag die Zukunft dem Digitalen gehören. Doch das Vertrauen, der Gedankenaustausch, das persönliche Netzwerk – all diese wichtigen Aspekte unter Geschäftspartnern lassen sich nicht so leicht digitalisieren. «Wir verkaufen nicht nur Versicherungen», sagt Hoxha, «sondern auch Emotionen.» Schnell kann er den Autobesitzer davon überzeugen, dass die Besitzerin des Pingpong-Tischs in diesem Fall kein Verschulden trifft. Die Versicherung des Autobesitzers zahlt, und zwar genau das, was auch tatsächlich versichert ist.
«In den meisten Schadenfällen gibt es keine Konflikte mit den Versicherten», sagt Munir Hoxha. Gleichwohl – nicht immer wissen die Versicherten auch wirklich darüber Bescheid, welche Versicherungsleistungen ihnen aufgrund ihres Vertrags zustehen. So kann man schon mal eine Überraschung erleben. «Nicht selten glauben Versicherte, es sei einfach alles versichert und staunen dann, wenn es nicht so ist», sagt Hoxha.
Ähnliche Erfahrungen macht man auch bei der «Vaudoise»: «Beim Abschluss eines Versicherungsvertrages steht die Preisfrage im Vordergrund und nicht der Gedanke an die teure Fotoausrüstung, welche allenfalls anders oder zusätzlich versichert werden sollte», sagt Patrick Marro, Vizedirektor und Leiter des Deutschschweizer Marktes. Damit es im Schadenfall nicht zu einem bösen Erwachen kommt, hilft nur eine gute Information, womit wir wieder beim Berater sind. Es ist nicht zuletzt an ihm, bei einem Vertragsabschluss die richtigen Fragen zu stellen, da der Kunde in den meisten Fällen nicht genau weiss, was er braucht.
Vergleichsweise anspruchsvoll ist dieses Abtasten laut Patrick Marro bei jüngeren Personen, die sich intensiv in digitalen Kanälen bewegen. Denn diese Gruppe weist auch die grösste Preissensitivität und das grösste Informationsbedürfnis aus. Wo die Höhe der Prämie im Vordergrund steht, ist es schwieriger, die effektiven Bedürfnisse abzuklären, meint Marro. Das Gegenmodell zum preissensiblen, detailvernarrten «Digital Native» stellt der in der Regel kaufkräftige All-Risk-Versicherte dar, der sich in der Bequemlichkeit eines Rundum-Sorglos-Pakets wohl fühlt, dafür gerne etwas mehr bezahlt und froh ist, sich nicht um jede Kleinigkeit kümmern zu müssen.
So oder anders – auch Patrick Marro beurteilt die Kundenbeziehung grundsätzlich als unproblematisch. «In über 98 Prozent der Fälle verlaufen die Beziehungen positiv und auf Augenhöhe. Probleme gibt es nur sehr wenige», sagt er. Einen Wunsch nach mehr gesetzlichem Schutz für die Versicherten kann Marro daher nicht festmachen – zumal mehr Schutz auch nicht gratis zu haben wäre. Und das wiederum dürfte dem preissensiblen Zeitgeist kaum gefallen.
Was die Kunden laut Marro allerdings tatsächlich irritiert, ist der wachsende Dschungel an Angeboten. Gleiche oder ähnliche Produkte, mehrere Anbieter, verschiedene Prämien – da fällt es sogar dem Experten schwer, den Durchblick zu behalten. Mehr gesetzlicher Konsumentenschutz könnte daran kaum etwas ändern – und er sollte es auch nicht. Letztlich ist eine breite Angebotspalette eine gute Nachricht für die Versicherten. Sie ist das Kennzeichen eines funktionierenden Wettbewerbs, der den Konsumenten die Wahl gibt. Die Auswahl ist eines der fundamentalen Konsumentenrecht, wie sie einst John F. Kennedy in einer Rede aufzählte und wie sie noch heute unbestritten sind. Aber wie bei jedem Recht, folgt auch diesem eine Pflicht: Die Pflicht, sich gut zu informieren, bevor man Ja sagt. Auf welchem Kanal auch immer.