Ver­si­che­rer un­ter­stüt­zen Kom­pro­miss­vor­schlä­ge der FDP

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Der Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes, Thomas Helbling, äussert sich zur in der Sondersession traktandierten Revision des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Die Versicherungswirtschaft unterstützt die Einzelanträge der FDP, die Kompromissvorschläge zu den in der Öffentlichkeit am heftigsten kritisierten Artikel darstellen.

Herr Helbling, was tun die Privatversicherer, um ihre Kundinnen und Kunden bedürfnisgerecht zufriedenzustellen?

Thomas Helbling: Wir Privatversicherer sind bestrebt, in dreierlei Hinsicht mit unseren Produkten zu überzeugen: Innovation, Qualität und Preis. Alle drei Komponenten müssen stimmen.

Unsere Kunden haben neue Bedürfnisse, weil sich ihre Lebensumstände und die Gesellschaft als Ganzes ändern. Also müssen die Versicherer innovativ bleiben. Ebenso selbstverständlich für den Kunden ist die Sicherheit, dass sein Schaden, sofern er eintritt, gedeckt ist. Voraussetzung dazu ist, dass die Versicherer genügend Geld zur Schadendeckung bereitstellen können und ihre Dienstleistung von hoher Qualität ist. Das bringt mich zum dritten Element: der Preis muss stimmen. Es nützt unseren Kundinnen und Kunden nichts, maximal versichert zu sein, wenn dafür die Prämie nicht mehr bezahlbar ist. Und um die Prämien tief zu halten, müssen die Privatversicherer die Kosten – auch die regulatorischen – im Griff haben, Missbräuche gezielt bekämpfen und die Risiken für ihre Kundinnen und Kunden klein halten.

Thomas Helbling, Direktor SVV

Thomas Helbling, Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV

Welche Möglichkeiten haben die Kundinnen und Kunden, wenn sie mit ihrer Versicherung unzufrieden sind?

Für einen wirksamen Kundenschutz sorgen einerseits staatliche Gesetze und Aufsichtsinstrumente. Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) gewährleisten ein geordnetes Verhältnis zwischen Versicherern und Versicherten. Dazu kommen die strengen Auflagen der Finma, unserer Aufsichtsbehörde.

Andererseits sorgen freiwillige Massnahmen unserer Branche dafür, dass der Kundenschutz gewährleistet ist. Dazu zählen unsere Investitionen in die Aus- und Weiterbildung der Versicherungsmitarbeitenden. Dank dem Gütesiegel «Cicero» haben unsere Kundinnen und Kunden Gewähr, dass ihr Berater die vom SVV geforderte Qualität erfüllt.

Im Weiteren unterhalten die Privatversicherer und die Suva seit 1972 eine unabhängige Ombudsstelle. Die Ombudsstelle bietet dem Versicherten im Konfliktfall mit dem Versicherer unentgeltlich und neutral Hilfe an. Die Vermittlung erfolgt auf freiwilliger Basis – und die Ombudsstelle besitzt weder Weisungs- noch Entscheidungsrecht. Trotzdem war es ihr im vergangenen Geschäftsjahr möglich, in rund 3200 Fällen eine Vermittler- oder Beraterrolle einzunehmen, wie dem Jahresbericht 2018 zu entnehmen ist. Dies zeigt, dass diese bald 50-jährige Dienstleistung sehr gut etabliert ist und dem Bedürfnis unserer Versicherten entspricht. Gleichzeitig dürfen wir nicht ausser Acht lassen, dass die Anzahl Beschwerdefälle im Vergleich zu den rund 20 Millionen Versicherungspolicen in der Schweiz marginal ist. Das ist ein gutes Indiz für eine hohe Kundenzufriedenheit und ein in den allermeisten Fällen ausgewogenes Verhältnis zwischen Privatversicherer und Versicherungsnehmern.

Kommen wir zu den in der Öffentlichkeit kritisierten Punkten der aktuellen Revision des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Mit dem ordentlichen Kündigungsrecht beziehungsweise dem Kündigungsrecht im Leistungsfall ist es Krankenversicherern möglich, älteren Versicherten ihre Zusatzversicherungen dann zu kündigen, wenn sie diese voraussichtlich am ehesten benötigen und aufgrund ihres Alters kaum mehr Chancen haben, bei einer anderen Versicherung unterzukommen. Kann dies gewollt sein?

Nein, sicher nicht. So wird es von unseren Mitgliedgesellschaften aber heute schon nicht gehandhabt – und auch in Zukunft nicht.

Wir müssen unterscheiden: Das VVG gilt für Versicherungsverträge aller Branchen, nicht nur für die Krankenzusatzversicherungen. Versicherungsverträge haben dabei in aller Regel eine lange Laufzeit. Daher ist das ordentliche Kündigungsrecht aus Kundensicht ein zentrales Anliegen. Versicherungskundinnen und -kunden sollen auch aus Verträgen mit langer Laufzeit aussteigen können. Gleichzeitig ist nicht ausser Acht zu lassen, dass das VVG ein privatrechtliches, also ein freiwilliges Vertragsverhältnis regelt. Das ordentliche Kündigungsrecht muss deshalb beiden Seiten zustehen, also auch dem Versicherer.

Anders ist es in der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung nach dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG), der sogenannten Grundversicherung. Das KVG verpflichtet die Versicherten zum Abschluss einer Grundversicherung. Bei dieser Ausgangslage kann dem Krankenversicherer kein Kündigungsrecht zustehen.

Dagegen wäre dies bei den freiwilligen Krankenzusatzversicherungen theoretisch möglich. In der Praxis zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Seit Jahr und Tag verzichten die Krankenversicherer in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) freiwillig auf das ordentliche Kündigungsrecht sowie auf das Kündigungsrecht im Leistungsfall. Als einzige Versicherungsbranche neben der beruflichen Vorsorge müssen die Krankenversicherer zudem ihre AVB der Aufsichtsbehörde Finma zur Genehmigung vorlegen. Diese prüft unter anderem, ob die AVB missbräuchliche Bestimmungen enthalten. AVB, die ein ordentliches Kündigungsrecht beziehungsweise ein Kündigungsrecht im Leistungsfall des Krankenversicherers enthalten, würde die Finma nie akzeptieren.

Im vorliegenden Gesetzesentwurf ist auch vorgesehen, dass die Versicherer die Vertragsbedingungen künftig von sich aus anpassen dürfen. Damit sind die Kundinnen und Kunden doch schlechter gestellt als bisher?

Anpassungsklauseln in Versicherungsverträgen sind wichtig und heute schon in vielen AVB enthalten. Sie ermöglichen den Versicherern eine rasche Reaktion auf neue Risiken oder technologische Entwicklungen wie die in der Praxis aktuellen Cyberrisiken oder die Erfindung selbstfahrender Autos. Das Recht des Versicherers, die Verträge anzupassen, verhindert unnötige sowie zeit- und kostenintensive Änderungskündigungen, die auch beim Versicherungsnehmer nur für Ärger sorgen würden. Gegen klar definierte und massvoll ausgeübte Bedingungsänderungsklauseln ist daher unseres Erachtens auch aus Kundensicht nichts einzuwenden.

Ihre Frage zielt jedoch auf Artikel 35 E-VVG der bundesrätlichen Vorlage. Nach unserem Dafürhalten beabsichtigte der Bundesrat dabei, dass solche Vertragsanpassungen nicht mehr in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelt, sondern neu im Gesetz verankert werden. Allerdings gibt es berechtigte Bedenken, wonach unter diesem neuen Gesetzesartikel auch Anpassungen möglich wären, die unter dem geltendem Recht nicht zulässig sind.

Heute unterliegen die Vertragsanpassungsklauseln einer strengen richterlichen Kontrolle. Die AVB müssen als Ganzes gültiger Bestandteil des Versicherungsvertrags sein und dürfen nicht gegen zwingendes Recht verstossen. Die Anpassungsklausel selbst darf nicht missbräuchlich sein und darf inhaltlich nicht zu vage formuliert sein. Der Versicherungsnehmer oder die Versicherungsnehmerin müssen zudem das Recht haben, den Vertrag auf den Zeitpunkt der Änderung hin zu kündigen. Einseitige Anpassungsklauseln sind damit schon unter dem aktuell geltendem Recht und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur in relativ engen Schranken zulässig.

Deshalb unterstützen wir den nun von der FDP eingebrachten Einzelantrag, wonach dieser Artikel 35 zu streichen ist. Mit diesem Antrag wird der Vorschlag der Ombudsstelle aufgenommen, die die ersatzlose Streichung dieses Artikels schon öffentlich verlangt hat. Mit der vorgeschlagenen Streichung hätten die bestehende Rechtsprechung und Praxis weiter Bestand – und der Sorge auf Versichertenseite wäre Rechnung getragen. Das wäre eine Lösung, hinter der auch die Versicherungswirtschaft stehen könnte.