«Die Versicherer stehen für den Schutz ihrer Kundinnen und Kunden ein»
Das Versicherungsvertragsgesetz VVG soll revidiert werden. Damit wird das Gesetz modernisiert und an die heutigen Anforderungen des Kundenschutzes angepasst. Franziska Streich, Rechtsanwältin und Leiterin Recht im Schweizerischen Versicherungsverband SVV, erklärt, wie die Versicherungskunden in der Schweiz geschützt sind und welche Rolle die VVG-Revision dabei spielt.
Frau Streich, wie gut sind Versicherungskunden in der Schweiz geschützt?
Die Versicherungskundinnen und -kunden sind speziell geschützt, weil Versicherungen als juristische Produkte von komplexer Natur sind. Für einen wirksamen Schutz sorgen einerseits staatliche Gesetze und Aufsichtsinstrumente, andererseits freiwillige Massnahmen der Branche.
Zu den staatlichen Schutznormen gehören das Versicherungsvertragsgesetz, das die Beziehungen zwischen Versicherer und Kunde regelt, das Versicherungsaufsichtsgesetz sowie die Aufsicht durch die Finma. Zu den freiwilligen Branchenmassnahmen zählen die Ombudsstelle der Privatversicherungen und der Suva sowie das Gütesiegel «Cicero». Die Ombudsstelle bietet den Kunden im Konfliktfall mit dem Versicherer unentgeltlich und neutral Hilfe an. Sie wird vom Eidgenössischen Departement des Inneren EDI beaufsichtigt. Mit «Cicero» hat die Versicherungsbranche ein Gütesiegel für Versicherungsberaterinnen und -berater geschaffen. Damit wird die Qualität der Versicherungsberatung gestärkt. Dieses Regelwerk gewährleistet einen hohen Kundenschutz und hat sich auch in der Finanzkrise 2008 bewährt.
Franziska Streich, Leiterin Recht beim Schweizerischen Versicherungsverband SVV
Was bringt die VVG-Revision den Versicherungskunden?
Mit der Revision werden verschiedene berechtigte Konsumentenanliegen eingeführt. Diese ergänzen das bisherige Regelwerk und bauen die Rechte der Konsumenten weiter aus. Zu den wichtigen Punkten gehören:
- Das Widerrufrecht erlaubt es den Kundinnen und Kunden, innerhalb einer festgelegten Bedenkfrist vom Vertrag zurückzutreten.
- Dank längerer Verjährungsfrist können die Versicherten neu bis zu fünf Jahre nach dem Schadenfall Leistungen geltend machen, anstatt wie bisher zwei Jahre.
- Mit dem ordentlichen Kündigungsrecht können die Kunden auch bei Verträgen mit langer Laufzeit aussteigen.
- Die sogenannte Genehmigungsfiktion, die die Kunden benachteiligt, ist gestrichen. Nach heutigem Recht muss einem Kunden nämlich innerhalb von vier Wochen auffallen, dass eine Police nicht mit den getroffenen Abmachungen übereinstimmt, da sie sonst als von ihm genehmigt gilt.
Gegen welche Neuerungen wehren sich die Versicherer und warum?
Wir lehnen jene Anliegen ab, die unnötige Kosten verursachen, ohne den Kunden einen Mehrwert zu bieten. Zwei konkrete Beispiele zur Veranschaulichung:
- Mit der sogenannten Nachhaftung könnten Versicherungskunden neu Schäden bei einem ehemaligen Versicherer geltend machen, auch wenn der Schaden erst nach der Auflösung des Versicherungsvertrags entstanden ist. Das steht im Widerspruch zum Vertragsprinzip: Vertragspflichten erlöschen mit der Beendigung des Vertrags. Nach der Auflösung eines Versicherungsvertrags schuldet der Versicherte keine Prämie mehr und der Versicherer sollte auch das Risiko nicht weiterhin übernehmen müssen. Zudem wäre eine Nachhaftung schlicht nicht möglich, ohne die Prämien zu erhöhen. Die Versicherer dürfen eine solche Dienstleistung aus Gründen der Solvenzerhaltung nicht zum Nulltarif gewähren.
- Unverhältnismässige Informationspflichten der Versicherer führen zu einer Zunahme des Verwaltungs und Kostenaufwands ohne Mehrwert für den Kunden. Die Informationspflichten der Versicherer für ihre Kunden sind bereits jetzt sehr umfassend.
Die Privatversicherer stehen für den Schutz ihrer Kundinnen und Kunden ein, bilden doch diese den Kern des Versicherungsgeschäfts. Die Versicherer bieten deshalb auch Hand, um allfällige Gesetzeslücken zu schliessen. Gleichzeitig müssen neue Regeln aber für die Versicherer in der Praxis sinnvoll und umsetzbar bleiben.