Warum Lohngleichheitsanalysen Fehlschlüsse provozieren
Wenn die methodischen Grenzen der Lohnstrukturerhebung des Bundes verkannt und die Ergebnisse instrumentalisiert werden, verzerren sie das Bild und lenken unter anderem von den Anstrengungen ab, welche die Versicherungswirtschaft für die Gleichstellung unternimmt.
In der Schweiz besteht – beispielsweise gemäss der Lohnstrukturerhebung des Bundes – nach wie vor eine «nicht erklärbare» Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern. Das heisst, ein Lohnunterschied, der sich – zumindest auf den ersten Blick – nicht auf Gründe wie Alter, Ausbildungsniveau, Branche oder Dienstalter zurückführen lässt. Dieser Unterschied ist auch in der Versicherungsindustrie messbar und kann Empörung auslösen, weil er vorschnell als Diskriminierung dargestellt wird.
Dieser Reflex ist voreilig und führt zu falschen Schlussfolgerungen. Denn zum einen ist ein unerklärter Lohnunterschied nicht automatisch eine Diskriminierung und zum anderen ist er blind für die tiefer liegenden Quellen möglicher Ungleichheiten, was zu einer starken Vereinfachung und viel Polemik führt.
Unerklärt ist nicht gleich unerklärbar
Die Aussagekraft einer Lohnanalyse hängt wesentlich davon ab, welche Erklärungsfaktoren in die Untersuchung einbezogen werden. Bei der Lohnstrukturerhebung des Bundes zeigen verschiedene Studien, dass relevante Faktoren ausgeklammert werden. Das Ergebnis ist, dass die gängige Analysemethode die Lohnunterschiede deutlich überschätzt.
Für einen Teil der unerklärten Lohndifferenz gibt es also gute Gründe. So wird z. B. immer wieder angeführt, dass eine Ausbildung auf gleichem Niveau, etwa ein Masterabschluss, in verschiedenen Bereichen (z. B. Informatik vs. Sozialwissenschaften) unterschiedlich entlohnt wird. Dies ist eine Folge der Bedingungen und Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und nicht unbedingt eine Wertung der Ausbildung an sich. Werden diese Hintergründe bei der Messung jedoch nicht berücksichtigt, kann dies dazu führen, dass der Lohnunterschied zwischen einem Informatiker und einer Sozialwissenschafterin automatisch überschätzt wird.
Die Versicherungswirtschaft setzt sich konsequent für die Gleichstellung ein.
Ebenso gibt es weitere Faktoren, die den Lohn beeinflussen, aber in der schweizerischen Lohnstrukturerhebung nicht berücksichtigt werden. Dazu gehören individuelle Leistungsunterschiede, relevante Berufserfahrung oder Weiterbildungen, die in ihrer Gesamtheit immer noch eine entscheidende Rolle für den Lohn spielen. Da aber oft die notwendigen Datensätze fehlen oder die Auswertung einen «unverhältnismässigen» Aufwand erfordern würde, bleibt die Differenz weiterhin «unerklärt».
Lohndifferenz durch Brancheneffort verringert
Darüber hinaus unterscheiden sich die Lohnstrukturen von Unternehmen zu Unternehmen, so dass eine branchenweite Analyse zu Verzerrungen führen kann. Die Lohnanalysen der Privatversicherer bestätigen diese Einschätzung und zeigen, dass die unerklärte Lohndifferenz aus organisationsinterner Perspektive, d. h. innerhalb der einzelnen Unternehmen, mit 2,95 Prozent deutlich unter der vom Bund festgelegten Toleranzschwelle von 5 Prozent liegt.
Denn die Versicherungswirtschaft setzt sich konsequent für die Gleichstellung ein. So sind viele Versicherungsunternehmen für Lohngleichheit zertifiziert und setzen gezielte Massnahmen zur Förderung von Frauen in Führungspositionen um. Dazu gehören Sponsoring- und Mentoring-Programme, spezielle Führungsausbildungen oder sogenannte Unconscious-Bias-Trainings zur Sensibilisierung für Chancengleichheit in den Rekrutierungs- und Beförderungsprozessen.
Konstruktive Lösungen statt Polemik
Es wurde bereits viel getan, und der unerklärte Lohnunterschied ist viel kleiner, als die Lohnstrukturerhebung des Bundes glauben lässt. Ihre Aussagekraft ist also begrenzt. Dennoch werden ihre eingängigen Ergebnisse in der Gleichstellungsdebatte instrumentalisiert, um Stimmung zu machen. Dies führt zu falschen Schlussfolgerungen: Denn die Lösung kann nicht in einer pauschalen Erhöhung der Löhne liegen, wie sie teilweise lautstark und polemisch gefordert wird. Vielmehr gilt es jenen Faktoren Aufmerksamkeit zu schenken, die legitimerweise zu Lohnunterschieden führen – und die teils schon früh in der persönlichen Biographie gleichstellungsrelevant sind. Zwei wichtige Themen sind dabei die Chancengleichheit und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Chancengleichheit beginnt früh: Will die Schweizer Wirtschaft Fachkräfte fördern und halten, müssen Anreize geschaffen werden, damit Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene einen Berufsweg einschlagen können, der ihren Talenten entspricht. Es gilt unter anderem Berufsbilder zu entwickeln, die beide Geschlechter gleichermassen ansprechen. Die Schweizer Versicherer sind hier aktiv, indem sie die Attraktivität der Branche für Berufseinsteigerinnen und -einsteiger erhöht und sich aktiv an der Entwicklung neuer und der Weiterentwicklung bestehender Ausbildungsgefässe beteiligt. Dass dies gelingt, zeigt die jüngste Personalstatistik des SVV, herrscht doch bei den Berufseinsteigenden Geschlechterparität.
Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Chancengleichheit im Erwerbsleben gewährleisten.
Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Chancengleichheit im Erwerbsleben gewährleisten. Dies gilt auch für die Lebensphase der Familiengründung, die grossen Einfluss auf die Erwerbstätigkeit haben kann. Hier gilt es Anreize zu schaffen, damit möglichst viele Fachkräfte erwerbstätig bleiben und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie realisieren können. Nicht zuletzt beginnt diese Aufgabe in der Eigenverantwortung und bei jedem Einzelnen selbst. Das macht sie komplexer, langfristiger und weniger gut auf eine plakative Zahl reduzierbar, dafür aus Sicht der Schweizer Versicherungswirtschaft ehrlicher und ideologiefreier.