Wie schrecklich! Gilt bei Kommentaren «Good news is no news»?
SVV-Chefökonom Jan Schüpbach über die Auswirkungen des Negativity Bias in den Medien und warum das für den Versicherungssektor ein Problem ist.
«Das will doch keiner lesen!», hiess es aus dem Kommunikationsteam. Mein Verbrechen: Ich wollte über die Stabilität und Konstanz der Versicherungsbranche schreiben. Auch wenn ich nicht zustimmen möchte – die Empirie gibt ihnen leider recht. «Negative headlines draw more readers», schrieb zum Beispiel das Fachmagazin Nature. Jedes positive Wort im Titel senke die Wahrscheinlichkeit für einen Klick um ein Prozent, während ein negatives die Klickwahrscheinlichkeit um 2,3 Prozent erhöhe.
Natürlich können wir uns glücklich schätzen, dass sich Schreckensmeldungen im Versicherungssektor in Grenzen halten. Aber ein Problem haben wir dennoch: Denn wenn wir zulassen, dass der Finanzplatz Schweiz nur durch die «graue Brille» des medialen «Negativity Bias» gesehen wird, prägt das unweigerlich die Wahrnehmung der Branche. Auch in Bundesbern.
Damit hat die, auf Deutsch etwas sperrige, «Negativitätsverzerrung» auch direkte Auswirkungen auf Regulierungsbestrebungen. Während wir also gespannt auf die Veröffentlichung des Berichts der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zur Credit Suisse warten: Dürfen es ein paar «Good News» sein?
Stabile Performance der Schweizer Privatversicherer
«Langweilige Renditebringer» hiess es erst kürzlich über Versicherungsaktien. Das mag nicht für Klicks sorgen – aber sicher für Stabilität im Portfolio. Denn auch 2023 konnten die Schweizer Privatversicherer wieder ein deutliches Wachstum erzielen. Das Prämienvolumen im Nichtlebengeschäft wuchs um 3,3 Prozent, was über dem langjährigen Trend liegt. Der Rückgang im Kollektivlebengeschäft konnte spürbar gebremst werden, und durch positive Impulse bei den Einzellebensversicherungen blieb der Rückgang der Gesamtprämien im Lebengeschäft minimal. Der Schweizer Rückversicherungsmarkt wuchs mit 4 Prozent überdurchschnittlich.
Starke Kapitalbasis und risikoadäquate Anlagestrategien
Stabilität beweisen Versicherer auch in ihren eigenen Büchern. So überstieg die verfügbare (risikotragende) Kapitalausstattung zu Beginn des Jahres 2024 mit 254% das gesetzlich erforderliche Kapital um ein Vielfaches. Branchenweit lag die durchschnittliche Solvenzratio gemäss Swiss Solvency Test (SST) in den letzten zehn Jahren stets deutlich über den geforderten 100 Prozent. Übrigens: Auch die FINMA-regulierten Krankenzusatzversicherer zeigen dabei eine überdurchschnittliche Solvenz. Auch wenn die Schlagzeilen eher geprägt waren von der Berichterstattung über punktuelle Solvenzschwierigkeiten in der Grundversicherung.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass Versicherungen schon heute strengen Anforderungen hinsichtlich Sicherheit und Liquidität bei ihren Anlagen unterliegen. Die Verpflichtungen der meist langfristigen Verträge werden grösstenteils durch planbare Erträge aus festverzinslichen Wertpapieren (43%) und Immobilienanlagen (9%) abgedeckt, während Aktien lediglich 3 Prozent des Anlageportfolios ausmachen.
Krisensicherheit der Assekuranz
Und schliesslich ist auch das Ausbleiben von Schreckensnachrichten eine «Good news» wert. Denn wann haben Sie zuletzt von einem «Insurance Run» gehört? Das Geschäftsmodell schliesst einen solchen praktisch aus und macht die Branche damit sehr stabil: Versicherer schliessen Verträge auf Basis von Risikoübernahmen ab und zahlen entsprechend im Schadensfall. Bei Lebensversicherungen gibt es zwar eine Sparkomponente, doch aufgrund langer Vertragslaufzeiten und Wechselhürden ist ein rascher Kapitalabzug unwahrscheinlich. Zudem sichert das Rückversicherungssystem die Versicherer zusätzlich ab, indem es Risiken global streut und Kapitalreserven bereitstellt. Und selbst im sehr unwahrscheinlichen Falle eines Konkurses ist zum Schutz der Versicherten eine geordnete Abwicklung möglich, da der Versicherungsbestand sowie das gebundene Vermögen auf eine andere Gesellschaft übertragen werden können.
Zeit für eine neue Brille?
Sind Sie noch da? Super – dann kann ich meinen Kolleginnen und Kollegen ja ausrichten, dass auch «Good News» gelesen werden. Aber Scherz beiseite: Es wird deutlich, dass die genannten Aspekte die Wahrnehmung des Finanzplatzes zu wenig beeinflussen.
Das zeigt auch der Bericht zur Bankenstabilität, der schon im April 2024 vom Bundesrat vorgelegt wurde. Zwar zielt er vor allem auf systemrelevante Banken ab – betrifft aber auch andere Finanzinstitute, einschliesslich Versicherer. Hier trägt der Negativity Bias seine Früchte: Insbesondere die erweiterten Auskunfts- und Meldepflichten dürften künftig Anzahl und Umfang der FINMA-Anfragen auch für Versicherer noch weiter erhöhen. Und das, obwohl es keinen Anlass dafür gibt.
Laut Bundesrat sollen auch die Ergebnisse des im Dezember erwarteten Berichts der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zur Credit Suisse einfliessen, bevor Massnahmen beschlossen werden. Noch ist es also nicht zu spät, sich die realitätsverzerrende «graue Brille» von der Nase zu nehmen und bei allfälligen Regulierungsmassnahmen Mass zu halten.