Ein Jahr Homeoffice: Fünf Branchenvertreter ziehen Bilanz
Seit März 2020 arbeiten Tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schweizer Privatversicherungen im Homeoffice. Obwohl flexible Arbeitsmodelle in der Branche schon vor Corona verbreitet waren, mussten sich viele an die neue Situation gewöhnen.
Wir haben fünf Vertreterinnen und Vertreter der Versicherungsbranche nach ihren Erfahrungen im Homeoffice befragt. Dabei hat sich gezeigt: Während die Produktivität zuhause nicht leidet, gehört die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit für viele zu den grössten Herausforderungen.
Jasmin Barbosa (35), HR-Dienststellenleiterin bei der Vaudoise
Mauro Canevascini (60), Leiter Kompetenzzentrum Firmenkunden, Helvetia Schweiz
Ivo Rotzetter (43), Inspektor Körperschaden, Zurich Versicherung
Vera Hirsch (37), Leiterin Leistungsmanagement Medikamente/Genetik, Sanitas
Marijana Krzelj (33), Spezialistin Personenversicherung, Zurich Versicherung
Bei virtuellen Kaffeerunden wird nicht über die Arbeit gesprochen: Jasmin Barbosa.
Jasmin Barbosa (35), HR-Dienststellenleiterin bei der Vaudoise, wohnhaft in Villeneuve VD
«Die Kommunikation mit den unterschiedlichsten Menschen ist mein tägliches Brot. Derzeit findet ein Grossteil dieser Gespräche virtuell statt. Trotzdem fahre ich ab und zu ins Büro – zum Beispiel für Bewerbungsgespräche oder um Dokumente zu unterzeichnen. Während das erste Rekrutierungsmeeting telefonisch durchgeführt wird, findet die finale Interviewrunde persönlich statt. Bevor wir jemanden einstellen, möchten wir die Person zumindest einmal persönlich treffen.
Ansonsten aber arbeite ich wie viele andere von Zuhause aus. Mit der Umstellung hatte ich keine Mühe. Da ich mit einem mobilen Tablet arbeite, war die Infrastruktur im Nu eingerichtet. Zudem wurden mir von meinem Arbeitgeber ein Bildschirm und ein Headset zur Verfügung gestellt. Das Homeoffice bietet zudem einige Vorteile: Da ich nicht mehr nach Lausanne ins Büro pendeln muss, gewinne ich zwei Stunden freie Zeit pro Tag. Zudem arbeite ich daheim insgesamt konzentrierter und effizienter.
Um den informellen Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen zumindest ein wenig aufrecht zu erhalten, haben wir bei der Vaudoise virtuelle Kaffeerunden eingeführt. Bei diesen Treffen gibt es nur eine Regel: Es wird nicht über die Arbeit gesprochen. Auch sonst versuche ich, im Homeoffice regelmässig Pausen einzubauen, was mir zu Beginn nicht immer leicht fiel. Dank der eingesparten Reisezeit mache ich häufig etwas länger Mittag und nutze die Zeit, um Sport zu treiben. Die Vaudoise bietet eine Vielzahl verschiedener Online-Fitnesskurse an. Sobald ich abends das Tablet herunterfahre, gehe ich jeweils eine halbe Stunde spazieren. An der frischen Luft kann ich richtig abschalten. Aktuell kann ich mir nicht vorstellen, in Zukunft zu hundert Prozent von Zuhause aus zu arbeiten. Ich schätze und brauche den persönlichen Kontakt zu den Leuten – das wird auch in Zukunft so sein.»
Kundengespräche in der Bürogemeinschaft mit Frau und Sohn brauchen etwas Organisation: Mauro Canevascini.
Mauro Canevascini (60), Leiter Kompetenzzentrum Firmenkunden, Helvetia Schweiz, wohnhaft in Contra TI
«In den vergangenen Jahren reiste ich beruflich an drei bis vier Tagen pro Woche durch das Land. Seit März 2020 ist alles anders – und ich muss sagen: Ich vermisse das Reisen. Natürlich sind Videokonferenzen praktisch, doch das Zwischenmenschliche kommt einfach zu kurz. Gerade bei mehreren Teilnehmenden ist es schwierig, den Puls der Runde zu fühlen. Auch der informelle Austausch, der häufig vor oder nach einem Meeting stattfindet, fällt fast gänzlich weg. Oft werden genau dann interessante Ideen und Gedanken ausgetauscht.
Trotzdem bietet die Tätigkeit im Homeoffice Vorteile. Die Produktivität ist insgesamt wohl höher. Zudem hat uns die aussergewöhnliche Situation als Team zusätzlich zusammengeschweisst. In meiner Funktion führe ich ein Team von fünf Kollegen. Wenn man sich nicht mehr persönlich trifft, muss man andere Wege finden, um den Kontakt zu halten. Ich zum Beispiel bin für meine Mitarbeitenden bewusst jederzeit erreichbar. Trotz der räumlichen Distanz sollen sie auf mich zählen können – und das auch abends oder am Wochenende. Zudem haben wir eine Chat-Gruppe gegründet, in der wir uns auf dem Laufenden halten.
Wir haben zu Hause eine richtige kleine Bürogemeinschaft ins Leben gerufen: Neben mir arbeiten auch meine Frau und mein Sohn häufig von zu Hause aus. Da wir in einem sehr offenen Haus wohnen, ist es manchmal nicht ganz einfach, sich räumlich abzugrenzen. Im Laufe der Zeit habe ich mir angewöhnt, meine Kunden- und Mitarbeitergespräche so zu planen, dass wir uns gegenseitig nicht in die Quere kommen. Trotz kleineren Herausforderungen wie diesen kann ich mir gut vorstellen, auch in Zukunft vermehrt im Homeoffice tätig zu sein. Helvetia ermöglicht dies ihren Mitarbeitenden mit einem neuen «FlexOffice»-Modell. Ganz aufs Reisen verzichten möchte ich aber trotzdem nicht.
Nach einem intensiven Tag im Homeoffice geniesse ich es, den Computer abzuschalten und draussen in der Natur neue Energie zu tanken. Gemeinsam mit meiner Familie wohne ich in Contra am Hügel oberhalb von Tenero. Wiesen und Wälder liegen direkt vor unserer Haustür. Luxus pur.»
Trinkt am Freitagabend ein Feierabendbier mit Nachbarn, die ebenfalls im Homeoffice tätig sind: Ivo Rotzetter.
Ivo Rotzetter (43), Inspektor Körperschaden, Zurich Versicherung, wohnhaft in Albisrieden ZH
«Ich hatte vor, ab April 2020 vermehrt im Homeoffice zu arbeiten. Aufgrund der Pandemie geschah dieser Wechsel früher als geplant. Die Folge: Ich war noch nicht vollständig eingerichtet. Zu Beginn hatte ich bloss ein kleines Pult und nur einen statt zwei Bildschirme. Darunter litt nicht nur mein Workflow, sondern auch mein Nacken: Mittlerweile habe ich ein neues Pult, einen zweiten Monitor – und entspannte Schultern. Überdies hat mir Zurich ein kostenloses Flexwork-Paket zugestellt mit einem neuen Monitor, einer kabellosen Maus und einer Tastatur.
Auch wenn ich mich längst gut im Homeoffice eingelebt habe, gibt es einige Unterschiede im Vergleich zu früher: Einer der Gründe hierfür ist mein vierjähriger Sohn, der manchmal früh erwacht. Es kann vorkommen, dass ich bereits ab 6 Uhr meine ersten Berichte schreibe. So kann ich die Morgenstunden effizient nutzen. An solchen Tagen gönne ich mir als Kompensation eine längere Mittagspause. Ein weiterer Vorteil ist, dass ich das Mittagessen gemeinsam mit meiner Familie geniessen kann.
Während ich die zusätzliche Zeit mit meiner Frau und meinem Sohn geniesse, vermisse ich dafür den Austausch mit meinen Kollegen. Im Büro kommt es oft zu spontanen Treffen in den Korridoren oder vor der Kaffeemaschine. Das schweisst zusammen und sorgt für einen Teamspirit, der zuhause weniger zu spüren ist. Die Produktivität aber ist nicht kleiner – im Gegenteil. Auch wenn ich sehr effizient vorankomme, gilt es einige zusätzliche Dinge zu beachten: Ein wichtiges Thema ist zum Beispiel der Datenschutz. So muss ich gewährleisten, dass ich Akten im Homeoffice vor dem Blick von Drittpersonen geschützt abschliesse.
Das Abschalten am Abend fällt mir schwerer als früher. Obwohl ich mir vornehme, rechtzeitig Feierabend zu machen, schaffe ich das nicht immer. Es kommt vor, dass ich auch nach Feierabend noch an einem Fall herumstudiere. Um das zu verhindern, habe ich mir angewöhnt, nach getaner Arbeit kurz raus zu gehen. Entweder ich besuche mit meinem Sohn einen Spielplatz, oder ich treffe auf einige Nachbarn, die ebenfalls im Homeoffice tätig sind. Mittlerweile trinken wir sogar regelmässig freitags im kleinen Grüppchen ein Bier zusammen. Wer weiss: Vielleicht wird diese Tradition auch in der Zeit nach Corona beibehalten.»
Möchte in Zukunft 50 Prozent im Büro und 50 Prozent im Homeoffice arbeiten, wenn sie frei wählen könnte: Vera Hirsch.
Vera Hirsch (37), Leiterin Leistungsmanagement Medikamente/Genetik, Sanitas, wohnhaft in Zürich
«Ich übernahm im Februar 2020 die Leitung meiner Abteilung. Ein paar Wochen später waren wir alle im Homeoffice. Der erste Lockdown war mit einigen Herausforderungen verbunden. Da die Kinderbetreuung ausfiel, waren mein Mann und ich im Schichtsystem unterwegs: Morgens arbeitete ich und er passte auf die Kinder auf, am Nachmittag tauschten wir die Rollen. Abends, sobald die Kinder im Bett waren, arbeiteten wir nochmals einige Stunden. Diesen Rhythmus zogen wir sieben Wochen lang durch.
Wir waren froh, als die Kinder wieder wie gewohnt in die KiTa und den Kindergarten konnten und richteten uns zu Hause besser ein. Das Geheimnis eines guten Homeoffice-Erlebnisses liegt in meinen Augen darin, dass man in der Lage ist, das <Home> und das <Office> strikte voneinander zu trennen. Für mich war diese Erkenntnis ein echter Gamechanger. Sass ich während des ersten Lockdowns zum Teil von früh bis spät an einem spartanisch eingerichteten Schreibtisch, haben mein Mann und ich uns nun im ehemaligen Gästezimmer ein Zweierbüro eingerichtet – mit allem, was dazu gehört. Vom Drucker über ein Whiteboard bis zur Kaffeemaschine ist alles vorhanden.
Abends, nach getaner Arbeit, schliesse ich die Bürotür – und läute damit den Feierabend ein. Auch meine beiden Kinder, 3- und 5-jährig, haben schnell verstanden, dass es in unserer Wohnung nun ein Büro gibt. Zu Beginn haben sie vielleicht noch ab und zu an der Tür geklopft, mittlerweile finden sie das neue Zimmer nicht mehr spannend.
Obwohl wir uns zuhause sehr gut eingerichtet haben und ich die Vorzüge des Homeoffice im Vergleich zum Grossraumbüro schätzen gelernt habe, vermisse ich die Arbeit an unserem Hauptsitz sehr. Gerade als Führungskraft finde ich die Nähe zu den Kolleginnen und Kollegen wichtig. Über Chat- und Video-Tools ist es einfach schwieriger, den Puls des Teams zu spüren – deshalb frage ich bei meinen Leuten im Moment lieber einmal mehr nach, wie es ihnen geht. Wenn ich aussuchen darf, werde ich in Zukunft die Zeit auf 50 Prozent im Büro und 50 Prozent im Homeoffice aufteilen. Sicher ist: Auch in Zukunft werde ich das <Home> und das <Office> konsequent trennen.»
Marijana Krzelj (33), Spezialistin Personenversicherung, Zurich Versicherung, wohnhaft in Zürich
«Als ich im Januar 2020 die Zusage für den Job als Spezialistin in der Schadenabteilung im Bereich Leistungen Personenversicherungen erhielt, konnte niemand ahnen, welche Umstellungen auf uns zukommen würden. Da die Zürich Versicherung generell flexible Arbeitszeitmodelle stark fördert, funktionierte die Umstellung in die Heimarbeit jedoch reibungslos.
Die Kollegin, die für meine Einarbeitung zuständig war, zeigte mir Schritt für Schritt, wie sie die Fallbearbeitung erledigt. Dank geteilten Bildschirmen funktionierte dies sehr gut – trotzdem war das natürlich eine neue Situation für mich. Nebst dem Teamleiter, der mich eng begleitete und unterstützte, haben sich in den ersten zwei Wochen auch alle Kollegen Zeit genommen und sich via «Teams» vorgestellt. Darüber habe ich mich sehr gefreut – denn schliesslich gab es keine andere Möglichkeit, mit den Kollegen unter vier Augen zu sprechen. Obwohl im Sommer die Massnahmen gelockert wurden und ich im Büro einige Leute persönlich kennenlernte, habe ich mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden noch nie live gesehen.
Auch wenn ich die persönlichen Kontakte vermisse, habe ich mich gut in meinem neuen Job eingelebt. Ich kann meine Arbeit von zu Hause aus konzentriert erledigen und in Ruhe telefonieren. Die tägliche virtuelle Sitzung empfinde ich als wichtigen Bestandteil der Heimarbeit. Hie und da bleibt dabei sogar Zeit für etwas Smalltalk.
Ich höre immer wieder im Freundeskreis, dass viele am Abend nochmals den Laptop starten und Pendenzen erledigen. Ich hingegen trenne ganz klar zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Diese Disziplin erachte ich als wichtig, um mich nach erledigter Arbeit gut zu erholen und meine Batterien wieder laden zu können. Dies tue ich zum Beispiel beim Sport. Da momentan das Fitnesscenter geschlossen ist, trainiere ich regelmässig zu Hause auf einer Yogamatte. Wenn ich nicht gerade Sport treibe, pflege ich den telefonischen Kontakt zu Familie und Freunden. Zudem lese ich viel mehr Bücher als früher.»