Zü­rich als füh­ren­der Hub der Rück­ver­si­che­rung

Kontext

Die Schweiz und insbesondere die Region Zürich gehören zusammen mit den USA, Deutschland und Bermuda zu den grössten Rückversicherungsstandorten der Welt. Viele ausländische Rückversicherer haben Niederlassungen in der Schweiz – und in den vergangenen zwei Jahrzehnten haben sich einige neue Rückversicherer in der Region niedergelassen.

Das Rückversicherungsgeschäft ist ein globales Geschäft, bei dem professionelle Marktteilnehmer über Ländergrenzen hinweg agieren, um die Risikoexponierung durch eine breite (geographische) Diversifikation abzufedern. Die Schweiz gilt international als attraktiver und stabiler Standort für Rückversicherung – dies gilt insbesondere auch für den Raum Zürich. Dies hat nicht zuletzt mit den guten Rahmenbedingungen zu tun. 

* ohne Swiss Re Europe (Luxemburg, 7,5 Mrd. USD)

Quelle: S&P Global Reinsurance Highlights 2020, eigene Berechnung und Darstellung 

Der wichtigste Standortvorteil für Zürich ist die Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Fachkräften. Auch können Talente aufgrund der hohen Lebensqualität, guten Löhnen und tiefen Steuern global rekrutiert werden. Rückversicherer sind auf besondere Expertisen zur Einschätzung von unterschiedlichsten Risiken angewiesen und benötigen darüber hinaus spezifisches Wissen im Bereich Risikomanagement und Kapitalmärkte.

Dazu kommt, dass die administrative, rechtliche und regulatorische Infrastruktur in der Schweiz als vorbildlich gilt. Die Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden ist in der Regel effizient, konstruktiv und wird in einem offenen Dialog gepflegt.

Doch der Wettbewerb um die Ansiedlung von Rückversicherern ist hart. Die Schweiz muss stets darum bemüht sein, die guten Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten. Strengere Eigenmittelvorschriften (SST-Solvenzquote) oder stetig wachsende Reportinganforderungen zum Beispiel benachteiligen die in der Schweiz angesiedelten Erst- und Rückversicherer. Zudem ist es wichtig, ausländische Fachkräfte ohne grossen Aufwand in die Schweiz holen zu können. Das Ausscheiden Grossbritanniens aus der EU oder eine globale Mindeststeuer für Unternehmen wiederum könnte dem Rückversicherungshub Zürich Schub bringen.

Wirtschaftliche Bedeutung und Herausforderungen

2019 erwirtschafteten die 50 in der Schweiz ansässigen und von der Finma beaufsichtigten Rückversicherungsunternehmen (davon 25 Captives) weltweit Bruttoprämien in der Höhe von 51 Milliarden Franken und beschäftigten ca. 2500 gut ausgebildete Fachkräfte.

Doch bereits seit einigen Jahren erlebt der Sektor einen hohen Preisdruck. Die Erstversicherer sind gut mit Kapital ausgestattet, so dass sie weniger Risiken an die Rückversicherer abtreten – und die Nachfrage nach traditionellen Produkten sinkt. Auch die Rückversicherer selbst sind gut mit Kapital ausgestattet und kämpfen um Marktanteile. Hinzu kommt die Konkurrenz von neuen Marktteilnehmern und alternativem Kapital wie Insurance Linked Securities (ILS) und Katastrophenanleihen (CAT-Bonds).

Aufgrund dieser strukturellen Überkapazität, die auf die Geschäftsergebnisse drückt und nach Effizienzsteigerung und Kostensenkung ruft, bieten einige Rückversicherer vermehrt massgeschneiderte Lösungen an. Ziel ist, die Versicherbarkeit von schwer versicherbaren Risiken zu erweitern, umfassende Kapazitäten für Katastrophenrisiken bereitzustellen, die Finanzziele zu erreichen oder Strategie und Wachstum zu unterstützen.

Wachstumspotential gibt es für die Rückversicherer vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern, wo es aufgrund des zunehmenden Wohlstands Versicherungslücken zu schliessen gilt – und die Rückversicherer mit ihrer Versicherungsexpertise in den aufstrebenden Volkswirtschaften eine wichtige Entwicklungsfunktion leisten können. Weiter verlangen neue Toprisiken wie etwa die Strommangellage, die Cyberbedrohung oder das Pandemierisiko nach neuen Produkten.

Trotz grosser wirtschaftlicher Bedeutung eine Unbekannte

Trotz ihrer grossen volkswirtschaftlichen Bedeutung für die Schweiz ist die Rückversicherung eine eher unbekannte Branche und steht nur bei grösseren Katastrophen im Rampenlicht.

Einer der Gründe ist wohl, dass Rückversicherer keinen Kontakt zu Privatkunden haben. Die traditionelle Rückversicherung unterstützt Erstversicherer, indem sie einen Teil ihrer Schadenlast übernimmt und so zur Stabilisierung deren Ergebnisse beiträgt. Sie steht aber auch Unternehmen und Staaten beratend zur Seite und hilft diesen, sich auf Risiken vorzubereiten oder sie zu bewältigen.

Die führenden Rückversicherer verfolgen zudem aktiv die gesellschaftlichen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Ziel ist, neuartige, zukunftsbezogene Risiken zu identifizieren und sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen. Ihnen wird die Arbeit so schnell nicht ausgehen. Die Liste sogenannter «Emerging Risks» ist lang: autonome Mobilität, gentechnisch veränderte Organismen, Klimawandel, Langlebigkeitsrisiko, Nanotechnologie, Wasser und Nahrungsmittel, etc. Das ist auch Ausdruck dessen, dass die Rückversicherer volkswirtschaftliche Verantwortung übernehmen.

Aufgrund ihrer grossen volkswirtschaftlichen Bedeutung – insbesondere für die Region Zürich – gilt es, der Attraktivität des Rückversicherungsstandorts Sorge zu tragen. Rückversicherungen schliessen ihre Verträge nicht mit Privatkundinnen und -kunden ab, sondern mit professionellen Partnern im B2B-Bereich. Diese verfügen über ein umfassendes Know-how über Versicherungen und benötigen weniger aufsichtsrechtlichen Schutz als Endkonsumentinnen und -konsumenten. Die Rahmenbedingungen sollten deshalb möglichst liberal, d. h.  mit so wenig Regulierung und Vorschriften wie nötig, gepflegt werden.