«Run on the Insurance» – kein realistisches Szenario
Versicherer unterscheiden sich in ihrem Geschäftsmodell grundlegend von Banken. Sie stellen im Krisenfall keine Gefahr für die globalen Finanzmärkte dar.
Der Kollaps der Credit Suisse (CS) und die milliardenschweren Staatsgarantien beschäftigen die Schweiz. Eigentlich wollte man eine staatliche Rettung im Anschluss an die UBS-Auffanglösung 2008 durch gesetzliche Vorgaben verhindern: Die CS war als global systemrelevante Bank «too big to fail» und hätte im Falle eines Bank Runs ohne substanzielle Staatsbeteiligung abgewickelt oder saniert werden müssen. Dazu kam es bekanntlich nicht. Die Ereignisse machen deutlich, wie schnell auch ein gut kapitalisiertes Finanzinstitut trotz Notfallplänen in existenzielle Schwierigkeiten geraten kann und gerettet werden muss. Und es wirft die Frage auf: Wäre ein Untergangs- und Rettungsszenario wie bei der CS auch bei einem grossen Schweizer Versicherer denkbar?
Das Geschäftsmodell der Versicherer unterscheidet sich grundlegend von demjenigen der Banken: Versicherungsverträge werden überwiegend auf Basis einer spezifischen Risikoübernahme abgeschlossen. Mit anderen Worten: Versicherer geben gegen Zahlung einer Risikoprämie das Versprechen ab, in Zukunft für vertraglich vereinbarte Schäden aufzukommen. So muss bei den meisten Versicherungen erst ein Schaden – zum Beispiel ein Autounfall – eintreten, damit eine finanzielle Forderung an den Versicherer entsteht.
Nur Lebensversicherungen beinhalten in der Regel eine Sparprämie, das heisst die Gelder der Versicherten werden Jahr für Jahr angesammelt und veranlagt. Diese Versicherungsprodukte weisen jedoch lange Vertragslaufzeiten auf. Ein Wechsel zu einem anderen Anbieter erfordert zudem eine gewisse Vorlaufzeit, insbesondere in der beruflichen Vorsorge. Während bei Banken verunsicherte Sparer ihre angelegten Gelder rasch abziehen und damit einen Liquiditätsengpass auslösen können, ist dies bei Versicherern deshalb kaum denkbar. Ein «Run on the Insurance» ist kein realistisches Szenario.
Ein «Run on the Insurance» ist kein realistisches Szenario.
Dass die Versicherungswirtschaft risikoresistenter ist, liegt aber nicht nur an ihrem Geschäftsmodell, sondern auch an einem besonderen privatwirtschaftlichen Absicherungssystem: Rückversicherer fungieren als Versicherer der Versicherer. Ihr Prinzip beruht auf einer globalen und damit sehr breiten Risikostreuung. Sie schützen die Bilanzen der Erstversicherer, dienen ihnen als Kapitalersatz und mildern die Auswirkungen von Grossschadensereignissen.
Auch im Versicherungssektor wurden nach der Finanzkrise 2008 die regulatorischen und aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen verschärft. Die unterschiedlichen Geschäftsmodelle von Banken und Versicherern spiegeln sich in der Regulierung. Ein zentrales Element sind dabei die Kapitalanforderungen gemäss Swiss Solvency Test (SST). Der SST zielt darauf ab, die Bilanzen marktnah zu bewerten und die daraus resultierenden Kapitalanforderungen risikogerecht festzulegen. Die Mindestanforderung von 100 Prozent SST-Quote wird von den Versicherern im Durchschnitt mit mehr als dem Doppelten deutlich übertroffen.
Die unterschiedlichen Geschäftsmodelle von Banken und Versicherern spiegeln sich in der Regulierung.
Die Finanzmarktaufsicht (Finma) hat für die beaufsichtigten Schweizer Versicherungsgesellschaften darüber hinaus genaue Vorschriften zur Anlagetätigkeit erlassen: Viele Anlageklassen sind im Gegensatz zu anderen Finanzmarktakteuren spezifisch geregelt. Die Regelwerke sorgen dafür, dass Anlagen kurzfristig liquide sein müssen. Versicherungsgesellschaften sind deshalb viel stärker die Hände gebunden.
Eine allfällige Insolvenz eines Versicherungsunternehmens kann zudem durch den Regulator geordnet abgewickelt werden. Das revidierte Versicherungsaufsichtsgesetz hat dafür die Grundlagen geschaffen. Eine eigentliche «too big to fail»-Regel für Versicherer gibt es nicht – und braucht es auch nicht.
Die Schweizer Versicherer spielen zweifellos eine bedeutende Rolle im globalen Wirtschaftssystem. Sie übernehmen Risiken, die Privatpersonen und Unternehmen nicht selber tragen können. Sie stellen aber aus den genannten Gründen kein systemrelevantes Risiko dar. Ihr langfristig ausgerichtetes Geschäftsmodell und ihre solide Kapitalausstattung schaffen Stabilität und Widerstandsfähigkeit. Aus regulatorischer Sicht besteht daher kein Handlungsbedarf für die Schweizer Privatassekuranz.