«Ei­gen­ver­ant­wor­tung ist im­mer ei­ne ge­sun­de Grund­hal­tung»

Interview

Verbandspräsident Stefan Mäder und Direktor Urs Arbter sprechen über den Generationenvertrag, unterschätzte Risiken und darüber, was sie in der Versicherungsbranche hält.

Herr Mäder, warum sind Sie in die Versicherungsbranche eingestiegen?

Stefan Mäder: Ich bin damals zufällig zur Zurich Versicherung gekommen, aber geblieben bin ich, weil ich verstanden habe, dass Versicherungen das ganze Leben umfassen – von der Geburt bis zum Lebensende.

Urs Arbter: Ich habe mich bewusst für eine Branche mit hohem volkswirtschaftlichen Impact ent­schieden. Diese Erwartung hat sich erfüllt, die Versicherungswirtschaft stellt mich bis heute immer wieder vor neue Herausforderungen, die ich gerne annehme. Besonders fasziniert mich die Vielfalt: Von der Krankenversicherung über die Sach-­ und Lebensversicherung bis hin zur Rückversicherung – das ist fast wie eine Reise um die Welt.

Stefan Mäder: Die Themenvielfalt ist ein wesentliches Argument für die Attraktivität der Branche. Die Versicherungswirtschaft befasst sich mit aktuellen Themen wie Cyber und Digitalisierung, technologischen Innovationen, Klimawandel sowie gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Erhalt des Generationenvertrags. Und sie stellt ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kontinuierlich unter Beweis. 

Urs Arbter Jahresmagazin VIEW 2024

Urs Arbter, Direktor SVV
«Besonders fasziniert mich die Vielfalt: Von der Krankenversicherung über die Sach-­ und Lebensversicherung bis hin zur Rückversicherung – das ist fast wie eine Reise um die Welt.»

Lehre oder Studium, welcher Einstieg in die Versicherungswelt hat Vorteile?

Urs Arbter: Ich habe beides gemacht, KV und Universitätsstudium. Was besser passt, hängt wie vieles im Leben von den individuellen Neigungen ab. Ich profitiere heute von beiden Ausbildungswegen, und als Branche brauchen wir auch beides.

Stefan Mäder: Der Weg über die Lehre funktioniert sehr gut. Er ermöglicht es, früh Verantwortung zu übernehmen. Branchenweit bilden wir Jahr für Jahr rund 2000 Lernende aus. 

«Seit 1948 ist die Lebenserwartung um durchschnittlich acht Jahre gestiegen. Das bedeutet acht Jahre längere Rentenzahlungen.»


Mit Blick auf die Generationen sind die Folgen des demografischen Wandels ein grosses Thema. Wie kann die Versicherungswirtschaft dazu beitragen, das Verständnis zwischen den Generationen zu stärken?

Stefan Mäder: Wir können die finanziellen Auswirkungen der gesellschaftlichen Veränderungen auf die verschiedenen Generationen noch transparenter machen. Die Belastung der jüngeren Generationen nimmt stetig zu, sowohl psychisch als auch finanziell. Seit 1948 ist die Lebenserwartung um durchschnittlich acht Jahre gestiegen. Das bedeutet acht Jahre längere Rentenzahlungen. Wir müssen entweder die Finanzierung der längeren Rentenzahlungen sicherstellen oder länger arbeiten. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern eine grundsätzliche Frage der Zukunftssicherung.

Urs Arbter: Mit unseren Versicherungsleistungen können wir insbesondere in der zweiten Säule dazu beitragen, dass die jüngeren Generationen finanziell nicht noch stärker belastet werden. Mit den Beiträgen, die sie zusammen mit den Arbeitgebern leisten, bauen sie im Kapital­deckungsverfahren ihr eigenes Alterskapital auf. Erlauben Sie mir eine allgemeine politische Einschätzung: Trotz der Abstimmungsergebnisse vom 3. März habe ich das Vertrauen in das politische System der Schweiz nicht verloren. Auch die älteren Generationen wollen den Jüngeren eine Welt hinterlassen, die in sich stimmig ist. Die Schweiz hat in der Vergangenheit allgemein immer wieder gezeigt, dass sie in der Lage ist, einen Aus­gleich zu finden.

Stefan Mäder Jahresmagazin VIEW 2024

Stefan Mäder, Präsident SVV
«Ich bin damals zufällig zur Zurich Versicherung gekommen, aber geblieben bin ich, weil ich verstanden habe, dass Versicherungen das ganze Leben umfassen – von der Geburt bis zum Lebensende.»

Ist das eine Frage der Eigenverantwortung?

Urs Arbter: Eigenverantwortung ist immer eine gesunde Grundhaltung. Die Schweiz baut erfolgreich da­rauf auf und die Eigenverantwortung geniesst – allen Unkenrufen zum Trotz – nach wie vor breite Akzeptanz.

Stefan Mäder: Es ist ein Vorteil, selbst entscheiden zu können und zu müssen. Im finanziellen Bereich bedeutet das auch Verzicht. Wenn ich morgen mehr haben will, muss ich heute verzichten. Das muss einem wieder bewusster werden: Wenn ich etwas absichern will, muss ich heute dafür sparen, also Prämien zahlen.

Urs Arbter: Das gilt übrigens nicht nur für die vielen kleinen Risiken, sondern auch für Toprisiken wie Erdbeben. Ein solches Risiko ist versicherbar. Tatsächlich ist hingegen bei diesem Risiko das Verständnis, sich gegen Erdbeben zu schützen und eine Versicherung abzuschliessen, ausbaubar. Gut klingende Ansätze wie die Eventualverpflichtung bei Erdbeben, die erst im Schaden­fall Geld einbringen, widersprechen aber diesem Verständnis und sind zudem im Ernstfall kaum durchsetz­bar, echte Schönwetterlösungen.

Stefan Mäder: Natürlich gibt es auch Risiken, die nicht versicherbar sind. Wenn zum Beispiel bei einer Pandemie die Behörden beschliessen, alles dichtzumachen, dann ist das nicht versicherbar. Das ist eine bewusste Entscheidung und kein zufälliges Ereignis. 

Wo liegen denn die Grenzen der Versicherbarkeit?

Urs Arbter: Bei neu auftretenden Risiken ist dies zu Beginn meist nicht bekannt. Zunächst geht es darum, die Risiken besser zu verstehen, oder andersherum: Die Versicherer suchen Daten, Daten und nochmals Daten. Auf dieser Basis können sie neue Versicherungsprodukte entwickeln und den Markt testen. Und sie suchen nach Rahmenbedingungen, die die Versicherbarkeit erleichtern. Das kann in ausgewählten Bereichen eine Zusammenarbeit mit dem Staat bedeuten.

Stefan Mäder: Wenn ich an das Cyberrisiko denke, geht es bei der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren neben der bereits erwähnten Datengewinnung vor allem auch um die Prävention. Das ist ein massiver Hebel für Unternehmen, um das Risiko zu reduzieren, und das ist das wirksamste Mittel, um die Prämien zu senken. Vielleicht braucht es einen Standard, eine Mindestanforderung wie zum Beispiel im Arbeitsschutz, um grössere Schäden zu vermeiden.

«Wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur Aufwand verursachen, sondern uns auf das konzentrieren, was Mehrwert schafft.»


Für Umweltschäden liegen mehr Daten vor. Welche Bedeutung hat die Nachhaltigkeit für die Privatversicherer?  

Stefan Mäder: Nachhaltigkeit ist für die Versicherungswirtschaft per se von grosser Bedeutung. Sie sprechen jetzt vermutlich die ökologische Nachhaltigkeit an, die uns schon immer interessiert hat, ja interessieren muss. Technisch gesehen müssen wir ökologische Risiken einpreisen, also haben wir ein natürliches Interesse daran, potenzielle Umweltrisiken so gering wie möglich zu halten, um sie überhaupt versichern zu können. Schadenszahlungen wirken sich direkt auf die Rentabilität und im Laufe der Zeit auch auf die Prämien aus. Wenn ich an die Hurrikans in den USA denke, fliessen solche Daten also direkt ins Underwriting ein. Unsere Nachhaltigkeitsziele umfassen aber auch Wirtschaft und Gesellschaft. Die Versicherungsbranche steht für wirtschaftliche Stabilität, sie spielt eine wichtige Rolle in der Gesundheits- und Altersvorsorge – und für 50'000 Mitarbeitende allein in der Schweiz ist sie eine verlässliche Arbeitgeberin, die Perspektiven für ein ganzes Arbeitsleben bietet.

Urs Arbter: Wir wollen den nächsten Generationen genauso gute Bedingungen hinterlassen, wie sie die heutige vorfindet. Das gilt für die Umwelt ebenso wie für Wirtschaft und Gesellschaft. In der Wirtschaft müssen wir uns aber zunehmend um die Rahmenbedingungen sorgen. Zum Beispiel bei der Berichterstattung und der Transparenz gibt es einen grossen Regulierungsdruck, die Anforderungen an die Unternehmen steigen fast täglich. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur Aufwand verursachen, sondern uns auf das konzentrieren, was Mehrwert schafft. 

Urs Arbter und Stefan Mäder Jahresmagazin VIEW 2024

Urs Arbter, Direktor SVV (links) und Stefan Mäder, Präsident SVV (rechts): 
«Wir wollen den nächsten Generationen genauso gute Bedingungen hinterlassen, wie sie die heutige vorfindet.»

Insights

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