Die Zusatzversicherer haben ein Fundament geschaffen
Das Branchenframework «Mehrleistungen VVG» wurde jüngst durch Grundsätze zur Vergütung ärztlicher Mehrleistungen erweitert. Was hat es damit auf sich, warum wurde es nötig – und wie geht es jetzt weiter? Das Fachmagazin «clinicum» interviewt dazu Daniel Jontofsohn, Leiter Bereich Kranken- und Unfallversicherung beim SVV, und Florian Wanner, Sekretär der Schweizerischen Belegärzte-Vereinigung. Das Interview wurde geführt von Dr. Hans Balmer und erschien im «clinicum 1/23»
Die FINMA schaut Krankenversicherern und Leistungserbringern genauer auf die Finger. Sei dies mit Bezug auf die verursachergerechte Zuordnung von Verwaltungskosten oder mit Bezug auf Leistungsabrechnungen. Bei Letzterem moniert die Finanzmarktaufsicht mangelnde Transparenz und fordert, dass es eine saubere Grundlage für künftige VVG-Abrechnungen brauche. Sie solle für Vertrauen und Stabilität im Dreieck Leistungserbringer-Kostenträger-Patienten sorgen. Der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) hat daher die Initiative ergriffen und ein Branchen-Framework geschaffen, das nun allen neuen Vertragsabschlüssen zugrunde gelegt werden soll. Wir wollten mehr darüber erfahren.
Der Zusatz zum Framework wurde gemeinsam von den Zusatzversicherern und – unter anderem – mit Einbezug der Schweiz. Belegarztvereinigung (SBV) erarbeitet. Den „clinicum“-Fragen stellten sich Vertreter beider Partner, Daniel Jontofsohn, Leiter Bereich Kranken- und Unfallversicherung SVV, und Florian Wanner, lic. iur., Rechtsanwalt, Sekretär der SBV.
Clinicum: Warum ist das Branchenframework notwendig geworden? Welches sind seine Grundlagen?
Daniel Jontofsohn: Es geht in erster Linie um die Notwendigkeit einer verbesserten Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei der Verrechnung ärztlicher Mehrleistungen für die Patienten, aber auch für die durch die Versicherer zu erbringende Rechnungskontrolle. Das seit 1. Januar 2022 gültige Framework, das wir seit Anfang 2020 gemeinsam mit dem SBV sowie mit anderen Stakeholdern erarbeitet haben, stellt Mindestanforderungen an zukünftige Verträge mit Spitälern und Belegärzten. Dieses leistet dann natürlich auch einen relevanten Beitrag zur verbesserten Abgrenzung zwischen obligatorischer Grundversicherung nach KVG und freiwilliger Zusatzversicherung nach VVG.
Florian Wanner: Eigentlich wäre es gar nicht notwendig: Art. 8, Abs. 1 ZGB verlangt bereits heute, dass wer einen Anspruch geltend macht, dessen Vorhandensein nachweisen muss. Dies gilt auch für die Erbringung von Leistungen ausserhalb der OKP. In der Umsetzung hapert es aber noch, sodass Konkretisierungen, wie diese Pflicht umzusetzen ist, sinnvoll sind. Aus dieser Optik stellt das Framework damit eine gute Übersetzungshilfe dar.
Daniel Jontofsohn, Leiter Bereich Kranken- und Unfallversicherung SVV, und Florian Wanner, lic. iur., Rechtsanwalt, Sekretär der Schweizerischen Belegärztevereinigung haben gemeinsam mit anderen Stakeholdern an dem Zusatz zum Framework «Mehrleistungen VVG» gearbeitet.
Nun besteht seit November 2021 ein Zusatz zum Branchenframework. Weshalb?
Florian Wanner: Einzelne Grundsätze im Framework mussten präzisiert werden, darunter insbesondere jene, welche die Vergütung ärztlicher Mehrleistungen regeln und eine klare vertragliche Basis fordern. Für die SBV war hier wichtig, dass zwischen dem Belegarzt und dem Patienten ein direktes Vertragsverhältnis besteht. Im Zusatz werden daher acht Anforderungen festgehalten, um die Tarifstrukturen auf ihre Konformität zum Framework zu überprüfen.
Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen SVV und SBV?
Daniel Jontofsohn: Der Austausch zwischen Belegärzten und Versicherern war und ist ein wichtiger und komplexer Punkt in der Umsetzung und gestaltete sich stets konstruktiv. Aktuell ist grad viel Bewegung in den Gesprächen.
Vor allem in der Westschweiz ...?
Allerdings, auch bei den Belegärzten der Romandie sind ein zunehmendes Verständnis und Veränderungswille spürbar. Das dort verankerte Prinzip des „tiers guarant“ wird nach wie vor hochgehalten. Der SVV ist hier, gemeinsam mit fünf Versicherern, in den Lead gegangen, um auch in der Westschweiz das Branchenframework gemeinsam mit den regionalen Ärztevertretungen umzusetzen.
Sie erwähnen Abgeltungsmodi. Warum gibt es verschiedene Anbieter/ Warum gibt es nicht ein Abrechnungsmodell?
Florian Wanner: Auch hier ist ein Ideenwettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern erwünscht, um Mehrwert für die Branche zu ermöglichen, zumal auch das Wettbewerbsrecht ein einziges Abrechnungsmodell ausschliesst. So besteht ein Anreiz für effiziente nutzerzentrierte Lösungen.
Der SVV hat sich aber auch schon kritisch geäussert, kein Modell erfülle, Stand Sommer 2022, die Framework-Anforderungen. Es gibt Anbieter, die diese Meinung nicht teilen. Worin bestehen denn Ihrer Meinung nach die Lücken?
Daniel Jontofsohn: Die bekanntesten Tarifmodelle sind Medicalculis, entstanden in Zürich, BBV plus (Bern), PS 24 (Luzern) und weitere, die zurzeit in den Kantonen Waadt und Genf erarbeitet werden. Hier kommen damit auch regional unterschiedliche Bedürfnisse zur Geltung. Mängel sind unserer Meinung nach vor allem, dass die Deklaration der Mehrleistungen – im Speziellen die Abgrenzungen zur OKP – noch nicht in allen Modellen klar ersichtlich sind. Darüber hinaus zeigten manche Tarifmodelle noch nicht die gewünschte Granularität der ausgewiesenen Mehrleistungen.
Wie geht es nun weiter, damit das Framework möglichst rasch in allen neuen Leistungsverträgen Eingang findet?
Daniel Jontofsohn: Es besteht eine Übergangsphase bis Ende 2024. Bisherige Verträge werden an die neuen Vorgaben angepasst.
Regelmässige Messungen zur Umsetzung sind aufgesetzt. Da viele Anpassungen erst zu Jahresbeginn in Kraft treten, wird erst im Frühsommer 2023 eine aussagekräftige Einschätzung gemacht werden können. Jedoch ist anzumerken, dass fast 2000 Verträge neu verhandelt werden müssen. Dies stellt einen immensen Arbeitsaufwand für alle Beteiligten dar.
Offenbar ist auch ein verstärkter Fokus der FINMA auf die Belegärzte feststellbar ...
Florian Wanner: Das stimmt, und deshalb sind das Framework, seine exakte Umsetzung und der offene Austausch mit dem SVV auch so wichtig. Leistungserbringer wie Kostenträger haben hier eine bedeutende gemeinsame Aufgabe im Interesse von Angebotsvielfalt, Innovation und höchster Behandlungsqualität.
In seiner Interpellation vom 16.12.2022 behauptet Ständerat Hannes Germann, SH, dass ein kartellrechtlich fragwürdiges Vorgehen mittels Framework vorliege, das massgeblich von der FINMA initiiert sei und den Wettbewerb unter den Zusatzversicherern erheblich einschränke. Aus liberaler Sicht ist dieser Vorwurf ernst zu nehmen. Teilen Sie die Befürchtung von Ständerat Germann?
Daniel Jontofsohn: Das Ziel, für mehr Nachvollziehbarkeit und Transparenz in der Abrechnung zu sorgen, wird vom SVV voll und ganz unterstützt. Um die einhergehenden, möglicherweise wettbewerbskritischen Aspekte von Anfang an zu berücksichtigen, hat der SVV bereits zu Projektbeginn die Wettbewerbskommission WEKO involviert. Die WEKO hat sich entschieden, diese Anfrage nicht zu beantworten. Daraus schliesst der SVV, dass das Branchenframework gemäss heutigem Wissensstand nicht als wettbewerbsbeeinträchtigende Abrede einzuschätzen ist. Daher teilen wir auch die Befürchtung von Ständerat Germann nicht.
Florian Wanner: Die Interpellation enthält auch den Vorwurf, die FINMA setze sich über die geltende Rechtsprechung des Bundesgerichts hinweg. In der Tat verneint die FINMA die sogenannte Austauschbefugnis, die Sondertarife zulässt. Die SBV kritisiert dies seit längerem, weshalb wir diese Ausführungen des Ständerats Germann teilen.
Ebenfalls aus liberaler Sicht stellt sich wohl auch die grundsätzliche Frage: Hat die freie Arztwahl eine Zukunft?
Daniel Jontofsohn: Die freie Arztwahl ist unangefochten und wird von Patienten und Kundinnen gewünscht. Das entspricht auch dem Sinn von Zusatzversicherungen, über die Mehr- und Zusatzleistungen gegenüber der OKP vergütet werden. Die rasche Verfügbarkeit von Spezialisten wird weiter an Bedeutung gewinnen. Das ist bereits heute in allen OECD-Ländern der Hauptgrund, weshalb eine Zusatzversicherung abgeschlossen wird oder Leistungen „out-of-pocket“ bezahlt werden.
Florian Wanner: Persönliche Beziehungen zu Ärztinnen und Ärzten forcieren eine qualitativ hochstehende Medizin und fördern deren Innovation. Das hat einen hohen Impakt auf den volkswirtschaftlichen Nutzen, der insbesondere in der raschen und weitgehenden Wiedereingliederung Verunfallter und in der verbesserten Lebensqualität schwer oder chronisch Erkrankter zur Geltung gelangt.
«clinicum 1/23» Magazin
Dieses Interview ist erstmals im «clinicum 1/23» Magazin im Februar 2023 erschienen. Das Interview wurde geführt von Dr. Hans Balmer.