La Vaudoise: Doppelblick auf ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Ein 125-jähriges Jubiläum und eine Amtsübergabe: Im Jahr 2020 gab es für die Vaudoise einige Schlüsselmomente. Der SVV seinerseits nutzte die Gelegenheit, im letzten Juni seine 90. Generalversammlung in Lausanne, dem Hauptsitz der Vaudoise, abzuhalten. Das war auch ein guter Anlass, mehr über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Vaudoise zu erfahren – dank einem Doppelinterview mit Jean-Daniel Laffely, CEO, und Philippe Hebeisen, Verwaltungsrat:
In diesem Jahr feiert die Vaudoise ihr 125-Jahr-Jubiläum. 125 Jahre, die geprägt waren von einer interessanten Geschichte und einer zentralen Konstante: der Treue zu den genossenschaftlichen Wurzeln. Ist dies eine wiederentdeckte Stärke der letzten Jahre?
Philippe Hebeisen: Als ich im Jahr 2009 mein Amt als CEO antrat, überlegte ich, wie die wirkliche Identität der Vaudoise eigentlich aussieht. Die damalige Positionierung war etwas vage, aufgrund der unklaren juristischen Struktur mit der Börsenkotierung der Holding einerseits und der Genossenschaft als Hauptaktionärin andererseits. Im Direktionsausschuss haben wir diskutiert, ob wir eher den Aktionären mehr Gewicht geben oder uns nicht doch stärker auf die genossenschaftliche Identität und damit auf unsere Wurzeln konzentrieren möchten. Nach mehreren Diskussionen, insbesondere auch zur Frage, ob ein Rating unerlässlich ist oder nicht, hat sich die Idee der Rückbesinnung auf die genossenschaftlichen Wurzeln nach und nach aufgedrängt. Damit traf die Vaudoise den Nerv der Zeit, denn mit der Finanzkrise 2008 schwand das Vertrauen der Öffentlichkeit in die grossen, börsenkotierten Unternehmen. Ausserdem unterscheiden wir uns damit von den Mitbewerbern.
Die Vaudoise wurde von Gewerbetreibenden und Unternehmern gegründet, um an sie gestellte Haftpflichtansprüche aus Unfällen ihrer Angestellten zu decken. Welche Folgen hatte das Ja des Stimmvolks zur Errichtung einer staatlichen Unfallversicherungsanstalt (Suva) im Jahr 1912? Bedeutete dies einen Wendepunkt für die Vaudoise?
Jean-Daniel Laffely: Abgesehen davon, dass die Vaudoise ihren damaligen CEO Alfred Tzaut verlor, der als Direktor zur heutigen Suva wechselte, bedrohte deren Errichtung auf einen Schlag den Fortbestand der Vaudoise, denn die Suva versicherte den gleichen Kundenkreis. Die darauffolgende existenzielle Krise vermochte die Identität und die genossenschaftliche Struktur der Vaudoise jedoch noch zu stärken. Rückblickend sprechen wir bei diesem einschneidenden Ereignis vom «Aufstand der Genossenschafter». Tatsächlich hatten nämlich die Genossenschafter am Ende einer bewegten Generalversammlung das Fusionsangebot mit der La Suisse abgelehnt und das Schicksal der Vaudoise in die Hand genommen. Fortan sollte sie sich auf Einzelpersonen und nicht mehr auf Kollektivverträge konzentrieren – ein Grundsatzentscheid in der Geschichte der Vaudoise, der auch heute noch gilt.
«Die Direktionsmitglieder der Vaudoise gehörten sowohl bürgerlichen wie linken Parteien an. Wir ziehen es vor, durch Mitgliedschaften wie dem Schweizerischen Versicherungsverband SVV etwas bewirken zu können.»
Philippe Hebeisen
Diese Abstimmung macht deutlich, wie wichtig die Rolle der Politik im Versicherungsgeschäft ist. Wie hat sich die Beziehung zwischen der Wirtschaft und der Politik, insbesondere für die Vaudoise, entwickelt?
Philippe Hebeisen: Die Gründung der Vaudoise fiel in eine Zeit, in der die Grenzen zwischen Politik und Wirtschaft noch verschwommen waren. Als Versicherer für Unternehmer war die politische Ausrichtung der Vaudoise im bürgerlichen Lager anzusiedeln. Durch die genossenschaftliche Struktur behielt sie aber auch eine gewisse Affinität zur politischen Mitte. Allerdings mass die Vaudoise der Politik nie viel Wichtigkeit bei. Die Direktionsmitglieder gehörten sowohl bürgerlichen wie linken Parteien an, und die Vaudoise zeigte nie eine wirkliche politische Ausrichtung. Wir ziehen es vor, durch Mitgliedschaften in verschiedenen Gruppierungen wie dem SVV, dem wir seit dessen Gründung im Jahr 1900 angehören, etwas bewirken zu können. Zu weiteren Mitgliedschaften zählen kantonale Handelskammern, Wirtschaftsdachverbände oder Initiativen, wie CEO4Climate oder die Schweizer Klimastiftung, bei der die Vaudoise Gründungsmitglied ist.
Dieses Jahr konnte die Vaudoise die 90. Generalversammlung des Schweizer Versicherungsverbands in ihren Räumlichkeiten empfangen. Darf man dies als Zeichen der wachsenden Bedeutung der lateinischen Schweiz in der Versicherungswelt verstehen?
Philippe Hebeisen: Gemessen am BIP der Finanzdienstleistungen hat die Schweizer Versicherungsbranche sicherlich an Bedeutung gewonnen. Dies gilt umso mehr für die Westschweiz mit dem unglaublichen Wirtschaftswachstum in der Genferseeregion in den letzten zehn Jahren. Der SVV traf die richtige Entscheidung, seine Präsenz, seine Ressourcen und Anlässe zugunsten der Westschweiz, aber auch des Tessins auszubauen. Im Hinblick auf das 125-Jahr-Jubiläum der Vaudoise und der Amtsübergabe des CEO entschied der SVV, seine letzte Generalversammlung in Lausanne abzuhalten.
Philippe Hebeisen, Verwaltungsrat, und Jean-Daniel Laffely, CEO, der Vaudoise.
Während der Coronakrise wurden in der Schweiz viele Zeichen der Solidarität gesetzt, auf ganz unterschiedliche Arten. Solidarität ist ja gerade in der Versicherungswelt ein Grundpfeiler. Denken Sie, es gibt in der Gesellschaft hinsichtlich dieser Solidarität eine Art vor/nach Corona?
Jean-Daniel Laffely: Angesichts einer solchen Gesundheitskrise ist es die Aufgabe der Versicherer, geschlossen aufzutreten und sich zu engagieren, auch für die Wirtschaft. Die Vaudoise war präsent und zeigte sich solidarisch, wie andere Versicherer auch. Ich hoffe, dass die Diskussionen zwischen dem SVV und dem Bund über eine mögliche Versicherungslösung für die Zukunft aufzeigen werden, wie stark unsere Branche diesbezüglich ist. Tatsächlich denke ich, dass der Solidarität in Zukunft noch mehr Gewicht zukommen wird. Wir verfügen über einige Trümpfe, wie unsere Solidität, unsere Mittel, unser grosses, kundennahes Netz und unser Know-how. All dies können wir zur Verfügung stellen, um diese Krise zu bewältigen.
«Angesichts einer solchen Gesundheitskrise ist es die Aufgabe der Versicherer, geschlossen aufzutreten und sich zu engagieren, auch für die Wirtschaft.»
Jean-Daniel Laffely
In diesem Jahr erfolgte auch die Amtsübergabe innerhalb der Vaudoise-Gruppe. Herr Hebeisen, welches Fazit ziehen Sie aus den elf Jahren als CEO der Gruppe?
Philippe Hebeisen: Die Schweizer Versicherungsbranche hat ein insgesamt sehr positives Jahrzehnt hinter sich. Das gilt erst recht für die Vaudoise-Gruppe, die vom Wirtschaftswachstum in der Genferseeregion, von ihrem traditionellen Schwerpunkt auf dem Nichtleben-Geschäft und – ohne falsche Bescheidenheit – von einem dynamischeren Management mit einer klareren Vision stimuliert wurde. Es gab auch viele strategische Entscheidungen, und sie wurden immer vom Verwaltungsrat unterstützt und bestätigt: von der Rückkehr zu unseren genossenschaftlichen Wurzeln über die Konzentration auf den Schweizer Markt bis hin zu einigen nötigen Reorganisationen.
In diesem Sinn: eine durchaus positive Bilanz, ein Wachstum über dem Marktdurchschnitt und mehr als komfortable Eigenmittel, was vor zehn Jahren noch nicht der Fall war.
Herr Laffely, Sie haben die Zügel im Mai 2020 übernommen. Welche Hauptziele und Ambitionen hegen Sie für die Gruppe in den nächsten Jahren?
Jean-Daniel Laffely: Gelinde gesagt war dieser Amtsantritt mitten in der Coronakrise sehr intensiv. Ein Ziel ist sicherlich, auf der Spur meines Vorgängers weiterzufahren, das heisst, ein dynamisches Wachstum über dem Schweizer Marktdurchschnitt zu verzeichnen, wobei wir unsere finanzielle Stabilität stets beibehalten möchten, um den Turbulenzen der Wirtschaft und der Märkte die Stirn bieten zu können.
Unsere Ambition wird sein, die höchste Kundenzufriedenheit zu erreichen, unser technisches Versicherungsfachwissen weiterzuentwickeln, von der Zeichnung bis zur Leistungsabwicklung, unser Angebot mit weiteren Aktivitäten rund um das Versicherungsgeschäft zu ergänzen, unsere Visibilität und Bekanntheit auf dem Markt zu erhöhen, um unsere Entwicklung, insbesondere in der Deutschschweiz, voranzutreiben.
Wir sind stolz, dass unsere Werte «nah», «vertrauenswürdig» und «menschlich» von unseren engagierten und motivierten Mitarbeitenden getragen werden. Sie stellen sich in den Dienst unserer Ambitionen und nehmen an wichtigen Projekten rund um die Digitalisierung teil, die eine der Grundvoraussetzungen ist, um unsere Ziele zu erreichen, sowohl in Bezug auf das Wachstum als auch auf die Rentabilität.
Herr Hebeisen, von 2009 bis jetzt waren Sie Mitglied des Vorstands des SVV. Wie wichtig war Ihnen die Frage rund um die lateinische Schweiz und deren Repräsentation im Dachverband?
Philippe Hebeisen: Die grossen Versicherungsgesellschaften des Schweizer Markts, die auch international tätig sind, sind alle in der Deutschschweiz ansässig. Allerdings stelle ich erfreut fest, dass die lateinischen Stimmen immer mehr Gehör finden und ihre Meinungen stärker berücksichtigt werden. Das ist vielleicht auf das ausgezeichnete Ergebnis der Vaudoise-Gruppe zurückzuführen. Ich bin sehr dankbar, dass ich in den letzten Jahren immer wieder zusammen mit anderen Versicherern Teil der Delegationen war, die mit Parlamentariern und Bundesabgeordneten oder der Finma zusammenkamen. Ich denke also, dass die lateinische Schweiz beim SVV gut wahrgenommen wird. Nun liegt es an uns, dass wir diese Chance auch nutzen, denn das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Bei den verschiedenen Plattformen und Anlässen für die Versicherungsgesellschaften ist die lateinische Repräsentation zuweilen etwas disparat. In den Kommissionen ist die lateinische Schweiz in meinen Augen gut respektiert.
Herr Laffely, bei der diesjährigen Generalversammlung des SVV folgten Sie auf Herrn Hebeisen in den Vorstand. Wie würden Sie Ihre Aufgabe innerhalb dieses Gremiums definieren und worauf setzen Sie den Fokus?
Jean-Daniel Laffely: Es ist natürlich eine Ehre und eine Verantwortung zugleich, im Vorstand des SVV zu sitzen. Es liegt mir am Herzen, den Anliegen der Vaudoise mit der uns eigenen Sensibilität Gehör zu verschaffen, ganz egal, ob es sich um unseren lateinischen Standpunkt handelt oder um unsere genossenschaftlichen Wurzeln. Meine Prioritäten werden sein, die Tragweite der vom Vorstand behandelten Themen zu verstehen und als einer der beiden Vertreter der lateinischen Schweiz aktiv zu sein.