Jahresausblick: Können Versicherer von der Krisenstimmung profitieren?
Inflation, geopolitische Unsicherheiten und höhere Zinsen stellen die Wirtschaft vor Herausforderungen. Doch gerade die Versicherer können sich im schwierigen Marktumfeld behaupten. Woran das liegt – und warum sie damit noch lange keine «Krisengewinner» sind.
Die Sorge vor einer Rezession trübt die Neujahrsfreude. Geopolitische Spannungen und Kriege belasten die Stimmung. Höhere Zinsen verteuern die Kapitalaufnahme. Vor allem die europäische Wirtschaft verliert weiter an Dynamik. Deutschland – der wichtigste Handelspartner der Schweiz – entwickelt sich besonders schwach und sogar China wächst deutlich unter seinem Potenzial. Auch wenn der Schweizer Wirtschaft weiterhin ein leichtes Wachstum prognostiziert ist und das Land angesichts moderater Inflation und guter Konsumstimmung erstaunlich stabil dasteht: Die Stimmung ist vielerorts angespannt.
Solides Wachstum in der Versicherungsbranche
Auf den ersten Blick scheinen Versicherer davon nur zu profitieren: Die allgemeine Teuerung liess die Prämienvolumen voraussichtlich wachsen und die steigenden Zinsen wirken sich mittelfristig positiv auf die Rentabilität aus. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass ungewisse Zeiten der finanziellen Absicherung eine besondere Bedeutung verleihen und somit der Wunsch nach einer Versicherungsdeckung steigt – zumal die stabile Konsumentenstimmung bis anhin mehrheitlich noch dafür sorgt, dass an dieser nicht gespart werden muss. Versicherer konnten daher im vergangenen Jahr von zusätzlichen Vertragsabschlüssen profitieren, nicht zuletzt bei neueren Produkten wie der Cyberversicherung. Auch für 2024 rechnet BAK Economics weiterhin mit steigenden Prämieneinnahmen. Nach 3,3 Prozent 2023 ist auch 2024 weiter ein Wachstum der Bruttowertschöpfung von 3,0 Prozent prognostiziert.
Auch Versicherer spüren Risiken
Versicherer als Krisengewinner zu bezeichnen, würde jedoch deutlich zu kurz greifen. Denn auch sie sind nicht vor Konjunkturrisiken gefeit: Erneute Verwerfungen an den Energie- und Aktienmärkten beispielsweise bekämen auch Versicherer direkt zu spüren. Das Risiko für ein solches Szenario ist aufgrund der geopolitischen Herausforderungen nicht unbeachtlich. Auch ein Wiederaufflammen der Inflation würde nicht nur die Weltwirtschaft empfindlich schwächen, sondern Versicherer direkt betreffen:
Ein erneuter starker Anstieg der Schadenskosten würde die Wirtschaftlichkeit von Versicherungen belasten.
Zudem wird auch die Arbeitslast der Versicherer aufgrund zunehmender Regulierung weiter ansteigen. So sind zum 1. Januar 2024 sowohl das neue Versicherungsaufsichtsgesetz wie auch die entsprechende Verordnung in Kraft getreten. Auch wenn das Gesetz grundsätzlich Besserungen bringt, gehen damit auch stets eine Fülle von neuen oder geänderten Vorschriften einher, die die Versicherer umzusetzen haben. Zusätzlich kommen Folgeregulierungen der FINMA hinzu, die ihre Kompetenzen mit Rundschreiben immer weiter ausbaut. Dies betrifft auch die Versicherungswirtschaft direkt. Zum Beispiel in der Ausweitung der Aktivitäten mit Bezug zu umweltbedingten Finanzrisiken. Dieser staatliche Hang zur Überregulierung wird die Wettbewerbsfähigkeit und damit auch das Wachstum des Schweizer Versicherungsgeschäfts mittel- bis langfristig einschränken. Dazu gesellt sich der anhaltende Fachkräftemangel, der die Versicherer auch im angebrochenen Jahr weiterhin beschäftigen wird.
Über die Zeit stellen zudem auch der Klimawandel und Naturkatastrophen die Versicherer vor Herausforderungen. Die versicherten Schäden im Rahmen von Naturereignissen sind im letzten Jahr erneut hoch ausgefallen. Gemäss Prognosen der Swiss Re dürften sie weltweit die Marke von 100 Mrd. US-Dollar übertreffen.
Privatassekuranz ist gut gewappnet
Dass Versicherer dennoch optimistisch ins neue Jahr blicken können, ist dann auch weniger auf die Weltwirtschaftslage als auf die vorausschauende Unternehmensführung zurückzuführen. Denn die Versicherungsbranche gehört zu den effizienten Wirtschaftssektoren der Schweiz. Das ist kein Zufall: Einerseits haben die Versicherer ihr Kerngeschäft, das Risikomanagement, im Griff. Andererseits investieren die Unternehmen nicht nur in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden, sondern auch gezielt in technologische Innovationen. Die weiterhin sehr hohe Solvenzquote steht exemplarisch dafür, dass die Schweizer Assekuranz solide aufgestellt ist und trotz grosser Herausforderung auch im 2024 Stabilität beweisen wird.
Dieser Kommentar erschien am 18. Januar 2024 auf handelszeitung.ch/insurance.