
Der Klimawandel schreitet voran – und betrifft sämtliche Bereiche unseres Lebens. Was Versicherer tun können und sollten, um diese Entwicklung zu bremsen, erläutert Gunthard Niederbäumer, Klimatologe und Bereichsleiter Nichtleben und Rückversicherung beim SVV.
Interview: Daniel Schriber
Nachhaltigkeit ist zu einem zentralen Thema geworden. Die Versicherungen nehmen die Gefahren, die durch den Klimawandel hervorgerufen werden, ernst. Viele haben deshalb längst damit begonnen, ihre Geschäftspolitik anzupassen.
Der Klimawandel bedroht die Gesellschaft und die globale Wirtschaft. Nicht zuletzt auch aus geschäftlichen Überlegungen haben die Versicherungen ein grosses Interesse daran, die potenziellen Umweltschäden gering zu halten. Was den Versicherungsgesellschaften zugutekommt, ist die Tatsache, dass sich die Branche im Kern schon immer mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen musste. Sie sind in der Lage, langfristig zu denken und potenzielle Risiken frühzeitig zu erkennen.

Vertritt die Schweizer Wirtschaft an den Klimakonferenzen: Gunthard Niederbäumer
Die Versicherungen müssen sich künftig vermehrt die Frage stellen, welche Risiken sie noch versichern wollen. Einzelne Versicherer nehmen schon heute keine Unternehmen mehr in ihr Portfolio, die die Mehrheit ihres Umsatzes mit Kohle erwirtschaften. Der Ausstieg aus Industrierisiken, die das Klima stark schädigen, darf kein Tabu mehr sein. Das ist einerseits eigennützig, anderseits zeigt diese Haltung, dass die Versicherungsbranche volkswirtschaftliche Verantwortung übernimmt.
«Die Finanzbranche, zu der auch die Versicherungen gehören, muss und will einen Teil zur Erreichung der Klimaziele beitragen.»
In den Klimaabkommen von Paris wird auch die Finanzindustrie explizit erwähnt. Weil sich die Schweiz verpflichtet hat, die in diesem Abkommen formulierten Ziele einzuhalten, nimmt der Druck der Öffentlichkeit und der Politik tendenziell zu. Die Finanzbranche, zu der auch die Versicherungen gehören, muss und will einen Teil zur Erreichung der Klimaziele beitragen.
Viele Unternehmen engagieren sich schon seit längerer Zeit in der Elementarschadenprävention. Zahlreiche Präventionsprojekte haben zum Ziel, Schäden zu mindern und die Bevölkerung für Naturgefahren zu sensibilisieren. Dafür arbeiten die Versicherer schon heute eng mit den zuständigen Fachstellen des Bundes und der Kantone zusammen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die «Gefährdungskarte Oberflächenabfluss». Die gemeinsam erarbeitete Karte zeigt, welche Gebiete in der Schweiz besonders hochwassergefährdet sind. Sie dient Architekten, Bauherren, Behörden oder Interventionskräften bei der Planung von Schutzmassnahmen und steht unter Schutz-vor-naturgefahren.ch allen Interessierten frei zur Verfügung.
Als Klimatologe bin ich sicherlich dazu prädestiniert, mein Know-how bei der Beurteilung von verschiedenen Klimathemen einzubringen. Bei der Nachhaltigkeit geht es immer auch um die Frage, mit welchen Massnahmen eine möglichst starke Wirkung erreicht werden kann. Es gibt Massnahmen, die tatsächlich zur Reduktion von CO2 führen können, derweil andere eher in Richtung «Greenwashing» gehen. Auch hier kann ich mit meiner Expertise einen Beitrag zur Aufklärung leisten – und ich kann glaubhaft dazu beitragen, dass sich die Branche als Ganzes bewegt und Verantwortung übernimmt.
Viele Versicherer haben damit begonnen, ihre Portefeuilles klimaverträglicher zu gestalten. Damit leisten sie einen wesentlichen Beitrag zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft. Die Suche nach den passenden Anlagen ist jedoch nicht immer ganz einfach.
«Heute existieren unzählige Standards und Labels – das macht es bisweilen schwierig zu erkennen, welche Anlagen tatsächlich nachhaltig sind.»
Die Beurteilung der Anlageobjekte stellt für viele Unternehmen eine Herausforderung dar. Kein Wunder: Heute existieren unzählige Standards und Labels – das macht es bisweilen schwierig zu erkennen, welche Anlagen tatsächlich nachhaltig sind. Hier ist die Wirtschaft gefragt, verbindliche und aussagekräftige Standards zu definieren. Ein weiterer Punkt, mit dem sich immer mehr Gesellschaften befassen, betrifft das sogenannte «Impact Investing». Nebst einer finanziellen Rendite soll vermehrt auch ein sozialer und ökologischer Impact erreicht werden.
Dafür gibt es verschiedene Strategien. So könnte man als Anleger zum Beispiel bewusst aus gewissen Branchen aussteigen, um diese nicht weiter zu fördern. Als Alternative dazu könnte man versuchen, als Aktionär die Politik des betreffenden Unternehmens in puncto Nachhaltigkeit zu beeinflussen. Dies ist natürlich nur möglich, wenn man als Anleger über einen gewissen Aktienanteil verfügt – oder indem man sich mit Anlegern zusammenschliesst, die ähnliche Interessen verfolgen.
Ja. Wissenschaftliche Arbeiten belegen, dass die Renditen von nachhaltigen und klimafreundlichen Anlagen vergleichbar oder sogar besser sind als diejenigen von traditionellen Anlageportefeuilles.
Versicherungen sind häufig Immobilienbesitzer. Als solche können sie einen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten. Dies zum Beispiel, indem sie ihre Gebäude rechtzeitig energetisch sanieren und auf klimafreundliche Heizungen umstellen. Hier sind viele Mitglieder des Schweizerischen Versicherungsverbands SVV schon vorne mit dabei. Darüber hinaus können die Gesellschaften auch bezüglich Siedlungsentwicklung einen Beitrag leisten. Dabei wird auch die Mobilität zunehmend an Bedeutung gewinnen. Hier können grosse Anleger einen Beitrag leisten, indem sie zum Beispiel moderne Mobilitätsformen für Anwohnerinnen und Anwohner fördern und darauf achten, dass die Immobilien gut mit dem öffentlichen Verkehr verknüpft sind.
Gunthard Niederbäumer hat nach seinem Studium an der ETH Zürich verschiedene Forschungsprojekte zum Klimawandel unterstützt und leitet mittlerweile den Bereich Nichtleben und Rückversicherung des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV. In den Jahren 2019, 2018 und 2017 vertrat er in der offiziellen Schweizer Delegation an den internationalen Klimakonferenzen COP die Schweizer Wirtschaft. Als promovierter Klimatologe interessiert ihn der Klimawandel auch persönlich.