
Gemeinsam mit Vertretern der Versicherungswirtschaft hat der Bund in den letzten Monaten nach Lösungen gesucht, um das Pandemierisiko künftig besser abzusichern. Nun hat der Bundesrat mitgeteilt, dass er keinen der Lösungsvorschläge weiterverfolgen wird. Für die Privatversicherer ein Entscheid, der auf Unverständnis stösst, wie Thomas Helbling, Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV, im Interview darlegt.
Nein, im Gegenteil. Das Konzept der Pandemieversicherung mag zwar noch nicht ausgegoren sein, aber dass der Bundesrat jetzt gleich den Übungsabbruch verkündet, ist nicht verständlich.
Eine vorausschauende Vorsorgeplanung sieht anders aus: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS hat vor wenigen Monaten die Pandemie als grösstes Risiko für unsere Gesellschaft identifiziert. Wir teilen diese Risikoanalyse von Bundesseite ohne Wenn und Aber. Umso weniger verstehen wir, weshalb die Landesregierung jetzt auf die Fortführung der Konzeptarbeiten verzichtet. Mit diesem Entscheid wird dem vom Bund propagierten Modell des integralen Risikomanagements keine Rechnung getragen, sieht dieses doch vor, die erkannten Risiken mit geeigneten Massnahmen – und dazu gehört auch die Vorsorgeplanung beziehungsweise die Prävention – auf ein vertretbares Mass zu reduzieren.

Zeigt sich enttäuscht über den Entscheid des Bundesrats: Thomas Helbling, Direktor des SVV
Das müssen jene Parlamentarierinnen und Parlamentarier beurteilen, die zur Pandemievorsorgeplanung politische Vorstösse eingereicht haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Entscheid des Bundesrates dort gut aufgenommen wird. Gerade im Lichte der keinesfalls einfachen Bewältigung der aktuellen Krise sind die Erwartungen der Politik an die Vorsorgeplanung künftiger Pandemien besonders gross.
Zum einen war es in der Vergangenheit schwierig, die Auswirkungen einer Pandemie richtig abzuschätzen, weil die Datenlage fehlte. Zum anderen verletzen Risiken wie eine Pandemie zentrale Prinzipien der Versicherbarkeit: Schäden treten gleichzeitig und bei fast allen ein und verunmöglichen dadurch die Risikostreuung. Aus diesem Grund sind Pandemien rein privatwirtschaftlich grundsätzlich nicht versicherbar. Auch deshalb waren wir Privatversicherer bestrebt, im Teamwork mit dem Bund eine Versicherungslösung zu finden.
Es wurden zwei Lösungsansätze für eine Risikopartnerschaft entwickelt, die beide im Schlussbericht an den Bundesrat vorgestellt werden: ein Kapitalpool und ein Schadenpool. In beiden Lösungen erfolgt eine angemessene Vorfinanzierung der Schadenzahlungen. Die Versicherungswirtschaft steuert dabei ihre Infrastruktur und Expertise zur Gewährleistung einer raschen Schadenerledigung bei.
«Auch die Wirtschaft würde von einer Pandemieversicherung profitieren.»
Für das Gewerbe bedeuten die Prämien für eine Pandemieversicherung zuerst mal zusätzliche Kosten. Daher ist diese Gegenwehr auf den ersten Blick nachvollziehbar. Auch die Wirtschaft würde allerdings von einer Pandemieversicherung profitieren, weil damit viel klarer ist, mit welchen Leistungen sie im Schadenfall rechnen können, und die Gelder viel schneller und zielgerichteter ausbezahlt werden können.
Jetzt ist in erster Linie Kreativität gefragt. Wir arbeiten deshalb bereits an alternativen Lösungen. Zum Beispiel mit dem Ansatz, dass der Bund als Eventualkreditgeber auftritt. Eine andere Möglichkeit ist der Aufbau einer individuellen Vorsorge mit Unterstützung des Bundes. Das Ziel ist dabei immer dasselbe: eine Lösung, die die wirtschaftlichen Folgen einer künftigen Pandemie beziehungsweise eines staatlich verordneten Lockdowns besser auffangen kann.
Mit diesen zwei Instrumenten übernimmt der Bund heute de facto die Rolle eines Versicherers: Er prüft, bei wem ein Schaden entstanden ist und zahlt diesen Betrieben entsprechend Leistungen aus. Nur hat der Bund weder risikogerechte Prämien eingenommen, noch verfügt er über Methoden, um die Schäden effizient abzuwickeln. Hier könnten die Privatversicherer mit ihrer Expertise und ihrer Infrastruktur einen entscheidenden Mehrwert leisten. Die aktuelle Ad-hoc-Lösung birgt aber auch gesellschaftspolitischen Zunder.
Genau. Wir dürfen nicht ausser Acht lassen, dass die Kosten für die getroffenen Massnahmen heute der Steuerzahler mitträgt. Zudem wird die Tilgung dieser Schulden in die nächste Generation verlagert, die ohnehin schon mit anderen Herausforderungen wie der ungesicherten Altersvorsorge zu kämpfen haben wird. Es darf nicht sein, dass auch bei einer nächsten Pandemie die nachfolgenden Generationen die finanzielle Last tragen, die sich aus den anwachsenden Staatsschulden ergibt.
Am wenigsten brauchen wir jetzt eine Denkpause. Aus unserer Sicht sind wir alle – auch der Bundesrat – weiter in der Pflicht, eine für alle tragbare Lösung für Pandemierisiken zu finden. Zudem ist es jetzt an der Zeit, auch andere Risiken unter die Lupe zu nehmen: Was passiert bei einem grossflächigen Stromausfall oder einer globalen Cyberattacke? Auch für diese Risiken gibt es keine vollumfänglichen privaten Versicherungslösungen. Umso wichtiger ist es, dass für derartige Toprisiken frühzeitig gemeinsame Lösungsansätze zwischen Wirtschaft und Politik gefunden werden. Die Schadensprävention gehört zur DNA von uns Privatversicherern. Deshalb leisten wir auch hier unseren Beitrag.
Dieses Interview ist am 1. April 2021 auf HZ Insurance erschienen.
Der Bund ist derzeit daran, zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen von zukünftigen Pandemien eine sogenannte Poollösung zu prüfen. Ivo Menzinger hat an den möglichen Varianten mitgearbeitet.

Kumulrisiken als grosse Herausforderung für unsere Gesellschaft: Die Jahresmedienkonferenz 2021 des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV zusammengefasst im Videoblog.

Der Bundesrat hat entschieden, das Konzept einer Pandemieversicherung nicht fortzuführen. Der Schweizerische Versicherungsverband bedauert diesen Entscheid.
