Gesucht: Informatikerin 200 Prozent
Während die Coronakrise die Arbeitslosigkeit in verschiedenen Sektoren ansteigen liess, hat sie gleichzeitig den Fachkräftemangel besonders im Informatikbereich verschärft. Die Versicherungen rüsten sich mit innovativen Arbeitsmodellen für den Kampf um Talente.
Schreiben Firmen in der Schweiz offene Stellen aus, bleiben jene im Bereich Informatik, Ingenieurwesen und Technik besonders oft unbesetzt: Der Fachkräftemangel akzentuiert sich laut Fachkräftemangel-Index der Universität Zürich in diesen Branchen besonders stark. Die Gründe dafür sind vielfältig: Der demografische Wandel, bei dem die Generation der Babyboomer in Pension geht, macht sich zunehmend bemerkbar. Auch die Coronapandemie hinterlässt ihre Spuren: Sie hat der Digitalisierung zusätzlichen Schub verliehen, wodurch digitale Skills noch mehr an Bedeutung gewonnen haben.
«Es ist schwieriger geworden, Fachpersonen im Bereich IT zu rekrutieren.» Barbara Zimmermann-Gerster.
War die Digitalisierung schon vorher ein wichtiges Thema, suchen Firmen inzwischen noch intensiver nach Informatikfachkräften. Das Stellenangebot in diesen Berufen hat seit dem Messbeginn 2016 einen Höchststand erreicht. Dies spüren auch die Versicherer: «Es ist schwieriger geworden, Fachpersonen im Bereich IT zu rekrutieren», fasst Barbara Zimmermann-Gerster, Leiterin Bereich Bildungs- und Arbeitgeberpolitik des SVV, die Rückmeldungen aus der Branche zusammen. Weiter sind Versicherungen auf Spezialisten aus den Sparten Ingenieurwesen, Mathematik, Medizin oder Aktuariat angewiesen.
«Die Digitalisierung verschärft den Fachkräftemangel eher, weil mehr besser ausgebildete Personen gebraucht werden.» Gudela Grote.
Die Befürchtung, dass durch die Digitalisierung viele Arbeitsstellen in diesem Bereich wegrationalisiert werden, bewahrheitet sich nach Meinung von Prof. Dr. Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich, nicht: «Die Digitalisierung verschärft den Fachkräftemangel eher, weil mehr besser ausgebildete Personen gebraucht werden.» Schwieriger sieht die Situation auf dem Arbeitsmarkt für Personen mit tieferem Qualifikationsniveau aus: «Weniger ausgebildete Personen haben es weiterhin und zunehmend schwer. Dort geht es darum, Aus und Weiterbildung gezielt zu unterstützen.» Der SVV setzt sich mit seinen Kooperationen in der Bildungslandschaft Schweiz aktiv dafür ein, bedarfsgerechte Bildungsangebote auf verschiedenen Stufen zu schaffen und zu erhalten. Nicht überall ist die Nachfrage nach Ausbildungsangeboten jedoch ausreichend gross: «Die zentrale Frage ist weiterhin, wie mehr Personen für MINT-Fächer begeistert werden können», so Grote.
Zauberwort MINT
Begeisterung für MINT – ein Akronym für die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – zu erwecken, bleibt auch gemäss dem Fachkräftemangel Index eine Herausforderung. Besonders Frauen sind in den MINT-Berufen untervertreten. Der ohnehin schon tiefe Frauenanteil von leicht über sieben Prozent ist gerade im Bereich Informatik eher rückläufig. «Es ist längst anerkannt, dass der Fachkräftemangel entschärft werden könnte, wenn mehr Frauen diese Berufe ausüben würden», hält der Bericht der Universität Zürich fest.
Brachliegendes Potenzial nutzen
Gemäss dem Bundesamt für Statistik gehen sechs von zehn erwerbstätigen Frauen einer Teilzeitarbeit nach. Damit entscheiden sich rund dreimal mehr Frauen als Männer für das Teilzeitmodell. Allerdings: «Die niedrigen Arbeitspensen sind nicht unbedingt immer freiwillig gewählt. Sie sind oftmals durch ungenügende oder teure Möglichkeiten für Kinderbetreuung bedingt», betont Gudela Grote. Potenzial liegt jedoch nicht nur bei der besseren Integration von Teilzeitbeschäftigten, sondern auch bei Personen mit Beeinträchtigungen oder älteren Arbeitnehmenden. «Wichtig ist, dass dort Stereotype abgebaut werden und das Integrationsklima verbessert wird», so Grote. Diesem Ziel hat sich auch das Netzwerk Compasso, bei dem der SVV als Hauptsponsor fungiert, gewidmet: Es unterstützt Arbeitgebende dabei, Mitarbeitende mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen gut in den Arbeitsprozess zu (re)integrieren.
Auch mit Blick auf ältere Arbeitnehmende bewegt sich die Wirtschaft: Unter dem Patronat des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes ist das Netzwerk focus50plus entstanden. Gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Politik soll der Verein dafür sorgen, dass das Arbeitskräftepotenzial der Altersklasse 50plus nach haltig und erfolgreich genutzt werden kann – auch über das Pensionsalter hinaus. «Diese Arbeitnehmenden bringen enorm viel Erfahrung und Wissen mit», sagt auch Barbara Zimmermann-Gerster. «Arbeitgebende können davon profitieren und gleichzeitig dem Problem des Fachkräftemangels entgegenwirken.»
Innovative Versicherungsgesellschaften
Um ältere Arbeitnehmende länger im Arbeitsprozess zu halten, bieten verschiedene Versicherungen innovative Modelle an: So können beispielsweise Mitarbeitende bei der Baloise mit der Altersfach und Teilzeitkarriere ihr Arbeitspensum ab dem 58. Lebensjahr frühzeitig reduzieren, ohne dabei negative Auswirkungen auf die Altersvorsorge in Kauf nehmen zu müssen: «Unser Modell ist auf Mitarbeitende und Führungskräfte ausgerichtet, die schrittweise aus dem Erwerbsleben aussteigen wollen», sagt Stephan Walliser, Leiter Human Resources für den Standort Schweiz. So will die Baloise für ältere Arbeitnehmende attraktiv bleiben und eine Alternative zur Frühpensionierung bieten.
Auch andere Versicherungen versuchen mit Investitionen ins lebenslange Lernen oder Job-Sharing-Modellen das vorhandene Potenzial so gut wie möglich zu aktivieren und Mitarbeitende in verschiedenen Lebenssituationen abzuholen. Damit ist die Branche auch gemäss Gudela Grote gut für den Kampf um die Fachkräfte gerüstet: «Firmen, die Human Resource Management ernst nehmen und ihren Beschäftigten mit Wertschätzung begegnen, sind klar im Vorteil.»
Schlussendlich müssen aber auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen Schritt halten, wie Barbara Zimmermann-Gerster ausführt: «Im Bereich der Altersvorsorge oder dem Arbeitsgesetz gibt es klaren Optimierungsbedarf. Dort gilt es, die richtigen Anreize zu setzen. Dafür setzen wir uns als Branche ein.»