«Wir schaf­fen Klar­heit für Spi­tä­ler, Ärz­te und Ver­si­cher­te»

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Ab 2022 werden Spitalzusatzversicherungen transparenter und nachvollziehbarer. Die Basis dafür bildet ein Branchen-Framework, das mit elf Grundsätzen die Anforderungen an die neuen Verträge definiert, in denen Krankenversicherer, Spitäler und Belegärzte die Erbringung und Vergütung von Mehrleistungen regeln. Das Regelwerk wurde vom Schweizerischen Versicherungsverband SVV mit führenden Krankenversicherern erarbeitet. Der stellvertretende SVV-Direktor Urs Arbter sagt, was das in der Praxis heisst.

Urs Arbter, aufgrund der Medienmitteilung des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV könnte man meinen, die Spitalzusatzversicherung wäre gerade neu erfunden worden. Was ist denn so bemerkenswert? Die Spitalzusatzversicherung deckt doch einfach die Mehrkosten, die durch die Grundversicherung nicht gedeckt werden. 

Die heutigen Spitalzusatzversicherungen stammen aus einer Zeit, als die Obligatorische Krankenpflege-Versicherung (OKP) – sie deckt die Basisleistungen in der stationären Spitalversorgung für die gesamte Bevölkerung einheitlich ab – entwickelt und eingeführt worden ist. Das ist schon eine Weile her. Seither hat sich in unserem Gesundheitswesen sehr vieles verändert, was auch die Tarifierung der Spitalversicherung tangiert.

Zum Beispiel? 

Seit der Einführung von sogenannten Fallpreispauschalen für stationäre Eingriffe steht bei der Vergütung die an den Patienten erbrachte Leistung im Vordergrund – und nicht mehr die Dauer des Spitalaufenthaltes. Mit unserem Regelwerk und den elf Grundsätzen vollziehen wir letztlich diese Veränderung. Wir schauen künftig auf die Mehrleistungen, die zugunsten der Kundinnen und Kunden über die von der Grundversicherung gedeckten Leistungen hinaus erbracht werden. Wir setzen damit um, was die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma), die das Geschäft der Krankenzusatzversicherung überwacht, aber auch was die Versicherten erwarten: Transparenz und Nachvollziehbarkeit von erbrachten Mehrleistungen. Das tangiert etwa 2,4 Millionen Menschen in der Schweiz. So viele haben eine halbprivate oder private Spitalzusatzversicherung und investieren damit bewusst – und in Eigenverantwortung – über die Basisversorgung hinaus in ihre Gesundheit. Mit unserem Regelwerk schaffen wir aber auch Klarheit sowie einheitliche und zeitgemässe Vertragskriterien für Spitäler und Belegärzte.

«Wir sind es den Versicherten schuldig, dass sie klar wissen, welche Mehrleistungen sie bei einem Spitalaufenthalt beziehen können und wie viel ihre Zusatzversicherung kostet.»

Wie genau schaffen Sie diese Klarheit? 

Unser Framework umfasst verbindliche Mindestanforderungen und ist massgebend für alle neuen, ab dem 1. Januar 2022 gültigen Spitalzusatzversicherungsverträgen zwischen den Krankenversicherern und den Leistungserbringern. Die Krankenversicherer setzen sich seit jeher für leistungsadäquate Prämien ein. Auch deshalb engagieren wir uns für mehr Transparenz bei den neuen Verträgen. Wir sind es den Versicherten schuldig, dass sie klar wissen, welche Mehrleistungen sie bei einem Spitalaufenthalt beziehen können und wie viel ihre Zusatzversicherung kostet.

Ihre Branche verspricht schon länger Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Aber erst seit die Finma Ende 2020 mit Nachdruck ein wirksameres Controlling forderte, scheint sich etwas zu bewegen. 

Die systematische Umstellung der Spitalzusatzversicherungsverträge mit den Leistungserbringern ist ein mehrjähriger Prozess, der auf Ebene der einzelnen Versicherungsgesellschaften schon im Jahr 2017 begonnen hat. Es brauchte einen intensiven Austausch und einen Effort innerhalb der Branche, um gemeinsam einen Standard zu entwickeln. Die klar formulierten Erwartungen der Finma haben sicher ihren Teil dazu beigetragen, dass wir Ende Mai dieses Jahres das Regelwerk mit seinen elf Grundsätzen verabschieden konnten. Die deutliche Ansage der Finanzmarktaufsicht war insbesondere auch ein Signal an die Spitäler und an die Belegärzte, dass die Spitalzusatzversicherungen auf eine neue Grundlage zu stellen sind.

Urs Arbter

Laut dem stellvertretenden Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV umfasst das Branchen-Framework verbindliche Mindestanforderungen und ist massgebend für alle neuen Spitalzusatzversicherungsverträge: Urs Arbter.

Haben Sie schon Rückmeldungen seitens der Spitäler und Belegärzte? 

Ja. Unsere Grundsätze und Mindestanforderungen wurden in mehreren Sitzungen mit Exponenten von öffentlichen und privaten Spitälern gespiegelt. In die Gespräche eingebunden waren auch die Belegärzte. Spitalzusatzversicherungen gibt es nur in einer Tarifpartnerschaft auf Augenhöhe. Die verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen sitzen alle im gleichen Boot. Nur wenn alle partnerschaftlich zusammenarbeiten, setzen sich neue und gute Dienstleistungen für die gemeinsamen Kunden, die Patientinnen und Versicherten, durch – und werden jetzt und in Zukunft nachgefragt.

«Um Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei den erbrachten Leistungen kommt niemand herum.»

Am Ende sind die elf Grundsätze aber eine Branchenlösung der Krankenzusatzversicherer. Machen hier die Spitäler wirklich mit? 

Das hoffe ich sehr. Klar ist: Das Framework ist für uns verbindlich und nicht verhandelbar. In unseren Gesprächen mit Spitalverantwortlichen habe ich den Eindruck erhalten, dass der abgesteckte Rahmen den für beide Tarifpartner erforderlichen Spielraum bietet. Das Verständnis und die Zielvorgaben sind bei den Leistungserbringern die gleichen wie bei den Krankenzusatzversicherern. Denn um Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei den erbrachten Leistungen kommt niemand herum. Mehr Geld gibt es nur bei mehr Leistung. Hier sind die einzelnen Leistungserbringer und Krankenversicherer gefordert, dies auf Basis der elf Grundsätze in neuen Verträgen zu konkretisieren. Die Verträge sind entsprechend neu zu verhandeln. Diese Arbeiten gilt es umgehend anzupacken. Denn der Zeitdruck ist hoch. Neue, ab Januar 2022 laufende Verträge müssen dem neuen Regelwerk entsprechen. Und bis Ende 2024 müssen alle alten Verträge an die neuen Gegebenheiten angepasst sein.

Und wenn das misslingt – was passiert bei einem «vertragslosen Zustand»? 

Finden sich Leistungserbringer und Krankenversicherer nicht, droht in der Tat ein vertragsloser Zustand. Ob und wie oft wir das in den kommenden Monaten erleben werden, wird sich zeigen. Meiner Meinung nach stellt das aber weder für ein Spital noch für einen Versicherer eine wünschenswerte Situation dar.

Aber die Situation kann eintreten? 

Richtig. Und dann ist möglich, was in früheren Jahren auch schon vorgekommen ist. Dass ein Patient oder eine Patientin die Kosten für die Leistungen, die gemäss des nicht mehr gültigen Vertrags gedeckt wären, im äussersten Fall aus der eigenen Tasche vorfinanzieren muss. Dieses Szenario erscheint mir aber wenig wahrscheinlich. Die Krankenversicherer werden sich für ihre Kundinnen einsetzen, so dass diese dank Alternativlösungen nichts oder nur wenig von einem vertragslosen Zustand spüren.

Ist das Projekt des SVV mit dem besagten Branchen-Framework nun abgeschlossen? 

Nicht ganz. Wir haben in diesen Tagen ein Folgeprojekt lanciert, in dem es in den nächsten Monaten noch offene Fragen zu klären gilt. Weiter zu präzisieren ist die zukünftige Abrechnung der von Belegärzten erbrachten Mehrleistungen. Auch hier werden wir unsere Ideen mit den Belegärzten validieren. Ein anderer offener Punkt ist der Umgang mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AVB) in älteren Verträgen. Ein Knackpunkt, den wir auch mit der Finma klären müssen.

Branchen-Framework zu «Mehrleistungen VVG»

Dieses Interview ist am 17. Juni 2021 auf HZ Insurance erschienen.