Die Ombudsstelle als Spiegelbild der Schweizer Dialogkultur
Seit 1972 prüft die unabhängige Ombudsstelle der Schweizer Privatversicherer und der Suva Anfragen und Beschwerden von Versicherten. Kürzlich feierte die vom Schweizerischen Versicherungsverband SVV in Form einer Stiftung ins Leben gerufene Schlichtungsstelle in Luzern ihr 50-jähriges Bestehen. Die Institution mit Hauptsitz in Zürich war damals die erste ihrer Art in ganz Europa.
Konsumentenaufklärung ist wichtig. Und dennoch darf nicht alles reguliert werden, nur um negative Einzelfälle in den Griff zu bekommen. Die Versicherungsbranche setzt deshalb erfolgreich auf Selbstregulierung. Unkompliziert und lösungsorientiert unterstützt die Ombudsstelle die Versicherten in rechtlichen Fragen und vermittelt in Konfliktsituationen. Sie stellt ihre Dienste seit 50 Jahren unentgeltlich und neutral zur Verfügung. Im Jahr 2021 haben gut 2700 Anfragen und Beschwerden die Ombudsstelle der Privatversicherer und der Suva erreicht. Das ist ein Vielfaches der Fälle, die im Gründungsjahr 1972 registriert wurden, aber rund 20 Prozent weniger als im Vorjahr. «Im zweiten Pandemiejahr fielen Sammelinterventionen in Bezug auf die Epidemieversicherung weg und es gab nur wenige Reiseannullationsfälle», sagt der Leiter der Ombudsstelle, Martin Lorenzon. Doch die Bearbeitung der einzelnen Fälle sei aufwendiger gewesen, seien doch die Versicherten in Zeiten der Unsicherheit dünnhäutiger geworden, ergänzt er.
Seit Gründung mehr als 110’000 Anfragen und Beschwerden bearbeitet
Im zweiten Pandemiejahr straffte die Ombudsstelle ihre Arbeitsprozesse und trieb die Digitalisierung sowie die Kommunikation mit den Parteien in Vermittlungsverfahren voran. Heute erfassen die Versicherten ihre Anliegen und Beschwerden direkt und zeitsparend über die Website der Stiftung. Insgesamt wurden in den vergangenen 50 Jahren mehr als 110’000 Anfragen und Beschwerden bearbeitet. Neben 81 Privatversicherern – diese decken ca. 99 Prozent des Kleinkundengeschäfts der Schweizer Privatversicherer ab (Krankenkassen ausgenommen) – ist seit 2002 auch die Suva an die Ombudsstelle angeschlossen.
Meinungsverschiedenheiten sachlich klären
«Die Anzahl Anfragen beweist, dass ein Ombudsmann oder eine Ombudsfrau absolut notwendig ist», sagt Michèle Rodoni, CEO der Mobiliar, in ihrer Ansprache als Vertreterin des SVV zum 50-Jahr-Jubiläum der Stiftung in Luzern. Rodoni dankte dem Team und Martin Lorenzon, der die Ombudsstelle seit 2010 führt, für die guten Leistungen im Dienste der Versicherten. «Die Welt der Versicherer ist für Kundinnen und Kunden nicht einfach zu verstehen.» Die Ombudsstelle biete eine niederschwellige Hilfe für Versicherte und kompetente Unterstützung bei komplexen Themen. Aus Sicht der Versicherer können so Meinungsverschiedenheiten sachlich geklärt werden.
«Die Ombudsstelle ist ein Spiegelbild unserer Dialogkultur in der Schweiz», merkt Rodoni an. Es gelte sicherzustellen, dass mit den Versicherten ein Dialog auf Augenhöhe stattfindet – auch in den nächsten 50 Jahren. «Damit die Welt der Versicherer nicht ein völlig nebulöser Bereich bleibt», sagt die CEO der Mobiliar mit den Worten des ersten Schweizer Ombudsmanns, Raymond Broger.
Michèle Rodoni: «Ein Ombudsmann oder eine Ombudsfrau ist absolut notwendig.»
Die Kundinnen und Kunden im Zentrum
Der Zuger Ständerat und Stiftungsratspräsident Matthias Michel bezeichnet die Gründung der Stiftung in seiner Ansprache als Pioniertat: «Unabhängigkeit und Vertrauen waren und sind zentral.» Träger der Ombudsstelle sei deshalb von Anfang an eine Stiftung gewesen, in der mehrheitlich versicherungsunabhängige Personen in parteipolitischer Balance sitzen. «Nur dank der hohen Akzeptanz unserer Stiftung und der Ombudsstelle und der anerkanntermassen guten Arbeit während Jahrzehnten konnten wir im Parlament die Zuversicht stärken, dass wir weiterhin staatlich ungeregelt, aber gerade deshalb umso wirkungsvoller den Konsumentinnen und Konsumenten sowie der Branche dienen können», sagt Michel.
Felix Weber, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Suva, bezeichnet die Ombudsstelle in seiner Ansprache als Teil des Engagements der Privatversicherer und der Suva für Kundinnen und Kunden – für die Suva seit 20 Jahren. Wer 50 Jahre eine solch erfolgreiche Bilanz vorweisen könne, habe den Beweis erbracht, unverzichtbar zu sein. Weber fügt an: «Die bei der Gründung kritisierten Punkte sind heute Stärken: Weil die Ombudsstelle keine Entscheidungskompetenzen hat, setzt sie umso stärker auf Vermittlungsfähigkeiten.» Die Ombudsstelle sei der Beweis dafür, dass auch die Anliegen jener Kundinnen und Kunden erst genommen werden, die mit den Entscheiden der Versicherer nicht einverstanden sind.
Selbstregulierung ist kein Selbstläufer
«So viel Regulierung wie nötig, so wenig wie möglich.» Dieser Grundsatz in der Versicherungsindustrie gilt auch im Bereich Konsumentenschutz. «Ombudsstellen sind eine wertvolle Ergänzung zu staatlicher Gerichtsbarkeit. Denn Konfliktlösung und Rechtsdurchsetzung beschränken sich nicht auf die Gerichte», betont Martin Lorenzon. Dies hat die Versicherungswirtschaft früh erkannt und damit dem Gesetzgeber gezeigt, dass Selbstregulierung funktioniert. «Dieser Erfolg verpflichtet: Wir müssen weiterhin unsere Verantwortung wahrnehmen und dort Einfluss üben, wo wir etwas verändern können», ergänzt Lorenzon – um den Versicherten in einer von hoher Komplexität und Unsicherheit geprägten Welt auch weiterhin tatkräftig beistehen zu können.
Martin Lorenzon: «Mit der Ombudsstelle hat die Versicherungswirtschaft dem Gesetzgeber gezeigt, dass Selbstregulierung funktioniert.»