Banken und Versicherer: ungleiche Geschwister des Finanzsektors
Banken und Versicherer machen einen Grossteil des Finanzsektors aus – und nehmen doch sehr unterschiedliche volkswirtschaftliche Aufgaben wahr. Es wäre daher falsch, Banken und Versicherungen in Regulierungsfragen über einen Kamm zu scheren.
In der Diskussion um die Stabilität des Finanzsektors und des Finanzplatzes Schweiz werden die Versicherer oft direkt «mitgemeint». Das ist naheliegend, aber falsch. Denn die Versicherungswirtschaft befindet sich in einer grundlegend anderen Ausgangslage als der Bankensektor.
Unterschiedliches Geschäftsmodell
Versicherungsverträge werden überwiegend auf der Basis einer spezifischen Risikoübernahme abgeschlossen. Mit anderen Worten: Der Versicherer gibt gegen Zahlung einer Risikoprämie das Versprechen ab, in Zukunft für vertraglich vereinbarte Schäden aufzukommen. So muss bei den meisten Versicherungen erst ein Schaden – zum Beispiel ein Autounfall – eintreten, damit eine finanzielle Forderung an den Versicherer entsteht.
Nur Lebensversicherungen umfassen in der Regel eine Sparprämie, das heisst, die Gelder der Versicherten werden Jahr für Jahr angesammelt und veranlagt. Diese Versicherungsprodukte weisen jedoch lange Vertragslaufzeiten auf. Ein Wechsel zu einem anderen Anbieter erfordert zudem eine gewisse Vorlaufzeit, insbesondere in der beruflichen Vorsorge. Während bei Banken verunsicherte Sparerinnen und Sparer ihre angelegten Gelder rasch abziehen und damit einen Liquiditätsengpass auslösen können, ist dies bei Versicherern kaum denkbar. Ein «Insurance Run» ist deshalb kein realistisches Szenario.
Absicherungssystem stärkt Risikoresistenz
Dass die Versicherungswirtschaft besonders risikoresistent ist, liegt aber nicht nur an ihrem Geschäftsmodell, sondern auch an einem besonderen privatwirtschaftlichen Absicherungssystem: Rückversicherer fungieren als Versicherer der Versicherer. Ihr Prinzip beruht auf einer globalen und damit sehr breiten Risikostreuung. Sie schützen die Bilanzen der Erstversicherer, dienen ihnen als Kapitalersatz und mildern die Auswirkungen von Grossschadenereignissen.
Risikoadäquate Regulierung
Auch im Versicherungssektor wurden die regulatorischen und aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen nach der Finanzkrise 2008 verschärft. Ein zentrales Element sind dabei die Kapitalanforderungen gemäss dem Swiss Solvency Test (SST). Ziel des SST ist es, die Bilanzen marktkonform zu bewerten und die daraus resultierenden Kapitalanforderungen risikogerecht festzulegen. Mit einer SST-Quote von durchschnittlich 254 Prozent (2023) übertreffen die Privatversicherer die Mindestanforderung deutlich. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA hat zudem Vorschriften zur Anlagetätigkeit der beaufsichtigten Schweizer Versicherungsunternehmen erlassen: Im Gegensatz zu anderen Finanzmarktakteuren sind viele Anlageklassen spezifisch reguliert. Die Regelwerke stellen sicher, dass die Anlagen kurzfristig liquide sein müssen. Dadurch sind den Versicherungsgesellschaften im Anlagemanagement die Hände wesentlich stärker gebunden.
Zudem kann eine allfällige Insolvenz eines Versicherungsunternehmens durch den Regulator geordnet abgewickelt werden. Das revidierte Versicherungsaufsichtsgesetz VAG hat dafür die Grundlagen geschaffen. Eine eigentliche «Too big to fail»-Regel für Versicherer gibt es nicht – und braucht es auch nicht.
Keine weiteren Massnahmen notwendig
Die Schweizer Versicherer spielen zweifellos eine bedeutende Rolle im globalen Wirtschaftssystem. Sie übernehmen Risiken, die Private und Unternehmen nicht selber tragen können. Sie stellen aber aus den genannten Gründen kein systemrelevantes Risiko dar. Ihr langfristig ausgerichtetes Geschäftsmodell und ihre solide Kapitalausstattung sorgen für Stabilität und Widerstandsfähigkeit. Aus regulatorischer Sicht besteht deshalb kein Handlungsbedarf für die Schweizer Privatassekuranz.
Der Schweizerische Versicherungsverband SVV begrüsst deshalb, dass im Bericht des Bundesrates zur Bankenstabilität vom 10. April 2024 das Senior Management Regime für Versicherer nicht zur Umsetzung empfohlen wird. Positiv ist auch, dass die Bussenkompetenz nur für juristische Personen zur Prüfung empfohlen wird. Allerdings würden sich auch hier verfahrenstechnisch schwierige Fragen stellen, da es zu einer Vermischung von Exekutive und Judikative käme. Die FINMA würde zu einer Exekutivbehörde, die gleichzeitig eine judikative Funktion übernimmt. Diese Kumulation von Kompetenzen widerspricht der bewährten Gewaltentrennung in der Schweiz und damit einem unserer Grundprinzipien. Von den ursprünglichen Forderungen der FINMA wurden deshalb nur die verschärften Informationspflichten unverändert übernommen. Insbesondere die Bestimmung, wonach die FINMA über Abklärungen und Verfahrenseröffnungen informieren kann, ist aus Sicht des SVV kritisch zu beurteilen, da dies zumindest zu nicht zu unterschätzenden Reputationsschäden führen kann. Bei allen Massnahmen ist grundsätzlich die konkrete Ausgestaltung abzuwarten. Der SVV wird den parlamentarischen Prozess eng begleiten.