Stel­lung­nah­me des SVV zur Re­vi­si­on des Ver­si­che­rungs­ver­trags­ge­set­zes

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Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) regelt die Pflichten und Rechte von Versicherungsunternehmen und Versicherungsnehmern. Es stammt aus dem Jahr 1908 und soll mit einer Totalrevision an das heutige Umfeld angepasst werden. Ein zentraler Aspekt der Revision ist eine Anhebung des Schutzes des Versicherungsnehmers (verbesserter Konsumentenschutz). Die Totalrevision des VVG ist mit einer Teilrevision des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) verbunden.

Die Totalrevision des VVG und die damit verbundene Teilrevision des VAG ist für die Versicherungswirtschaft von zentraler Bedeutung. Der SVV hat sich daher eingehend mit dem Gesetzesentwurf und der Botschaft des Bundesrates befasst. Der SVV ortet in der Vorlage zahlreiche Mängel. Die grundsätzlichen Vorbehalte des SVV sind:

  1. Fragwürdige Eingriffe in die Vertragsfreiheit

  2. Mangelnde Berücksichtigung der Teilrevision VVG

  3. Regulierungsfolgekosten: Zu tiefe Kostenschätzung

  4. Mangelnde Berücksichtigung des Versicherungsmissbrauchs

Fragwürdige Eingriffe in die Vertragsfreiheit

Mangelnde Berücksichtigung der Teilrevision VVG

Regulierungsfolgekosten: Zu tiefe Kostenschätzung

Mangelnde Berücksichtigung des Versicherungsmissbrauchs

Fragwürdige Eingriffe in die Vertragsfreiheit

Das VVG ist ein Ergänzungs- bzw. Ausführungserlass zum Obligationenrecht (OR) und gehört zum Privatrecht. Es gilt das OR und das übrige Privatrecht, soweit das VVG keine Vorschriften enthält. Das Privatrecht basiert auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit und kennt nur in Ausnahmefällen Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit, siehe beispielsweise die zwingenden Vorschriften für das Arbeitsverhältnis in Art. 361/362 OR zum Schutz des Arbeitnehmers als schwächerem Vertragspartner.

Die Eingriffe in die Vertragsfreiheit durch diese Revisionsvorlage sind jedoch massiv. Die Vorlage enthält im Vergleich zum geltenden Recht eine Verdoppelung der zwingenden Vorschriften (117 statt bisher 59 Artikel). Diese Verdoppelung wirkt sich beim weiten Kreis geschützter Personen besonders erschwerend aus: Der bundesrätliche Entwurf schliesst lediglich sogenannten Grossrisiken gemäss Art. 2 von den zwingenden Vorschriften des VVG aus. Damit sind sämtliche zwingenden Artikel des neuen VVG sowohl bei allen Privatkunden wie auch bei rund 99 % der Unternehmenskunden zu befolgen.

Demgegenüber wird im übrigen Privatrecht der Schutz der schwächeren Vertragspartei in der Regel auf den privaten Endverbraucher beschränkt. Dazu sei auch auf die Initiative der Finma betreffend die Schaffung eines «Finanzdienstleistungsgesetzes» verwiesen: nach Ansicht der Finma sollen die Schutznormen eines solchen Gesetzes nur für Privatkunden gelten.

Der SVV plädiert dafür, auf unangemessene Eingriffe in die Vertragsfreiheit zu verzichten und das Ausmass des zwingenden Rechts zu reduzieren.

Mangelnde Berücksichtigung der Teilrevision VVG

Zentrale Anliegen der Versicherungskunden – wie eine vorvertragliche Informationspflicht der Versicherungsunternehmen und eine Neuregelung der Anzeigepflichtverletzung – sind bei der 2006/2007 in Kraft getretenen Teilrevision des VVG umgesetzt worden. An diesen Änderungen ist festzuhalten. Sie sind das Ergebnis eines sechsjährigen Revisionsverfahrens und waren bei den Versicherungsgesellschaften mit hohen Anpassungskosten verbunden.

Dem Anliegen auf Beibehaltung der bereits geänderten Punkte wird die Vorlage – mit Ausnahme der abschliessenden Regelung der Informationspflicht – nicht gerecht, was zu korrigieren ist. Die Gesetzesadressaten sollen darauf vertrauen können, dass gesetzliche Vorgaben nicht ständig geändert werden.

Regulierungsfolgekosten: zu tiefe Kostenschätzung

Der Bundesrat geht gestützt auf die Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) des Büros BASS vom 14. Oktober 2010 davon aus, dass die Totalrevision des VVG und die damit verbundene Teilrevision des VAG für die gesamte Versicherungsbranche mit direkten, überwiegend einmaligen Anpassungskosten von nur 10 Millionen Franken verbunden sei. Diese Beurteilung des Bundesrates wird vom SVV als vollkommen unrealistisch beurteilt.

Die Revisionsvorschläge der Vorlage betreffen die ganze Wertschöpfungskette von Versicherungen (von der Produktgestaltung und dem Versicherungsvertrieb über die Vertragsverwaltung und die Schadenabwicklung bis zur Vertragsauflösung). Beispielhaft wird auf folgende Revisionsvorschläge verwiesen, die zu Mehrkosten führen (einmalige Anpassungskosten und jährlich wiederkehrende Kosten):

  • Vorgaben zur Produktgestaltung, wie eine zwingende Pflicht der Versicherunternehmen zur Kostenübername im Sinne von Art. 40;
  • zusätzliche Dienstleistungen der Versicherer bei Vertragsabschluss wie z.B. Informationen, die über die Teilrevision hinausgehen oder ein allgemeingültiges Beratungsprotokoll (siehe Art. 12 und 67);
  • ein Widerrufsrecht für Vertragsabschlüsse und alle Vertragsänderungen (siehe Art. 7 und 8) oder
  • die vorgeschlagene Neuregelung der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung (siehe Art. 18 f.), die bei einem vertragswidrigen Verhalten des Versicherungskunden praktisch kaum mehr Konsequenzen hätte.

Der Multiplikator für diese zusätzlichen Kosten ist bei vorsichtig geschätzten 20 Millionen laufenden Versicherungsverträgen und entsprechenden jährlichen Neuabschlüssen verteilt auf die 151 von der Finma beaufsichtigten Versicherungsgesellschaften (ohne Rückversicherung) sehr gross. Allein schon die unausweichlichen Anpassungen der IT-Systeme und der allgemeinen Vertragsbedingungen werden ein Mehrfaches der vom Bundesrat erwarteten Umsetzungskosten verursachen.

Aus dem aufsichtsrechtlichen Gebot der Solvenzerhaltung folgt sodann, dass die Versicherungsunternehmen solche zusätzlichen Kosten nicht zum Nulltarif gewähren können. Die Folge wären höhere Prämien. Diesem Aspekt ist bei der weiteren Behandlung der Vorlage Rechnung zu tragen. Wie alle Kunden will auch der Versicherungsnehmer nicht unnötige Kosten für die von ihm «gekaufte» Dienstleistung tragen.

Mangelnde Berücksichtigung des Versicherungsmissbrauchs

Der vom SVV in der Vernehmlassung beantragte Artikel zum Versicherungsmissbrauch hat im Gesetzesentwurf des Bundesrats keinen Eingang gefunden, was zu korrigieren ist. Versicherungskunden bilden eine Solidargemeinschaft. Die Gefahr der Bereicherung Einzelner zu Lasten der Gemeinschaft ist solchen Systemen immanent. Sie reicht von missbräuchlichen Praktiken bei Vertragsabschluss über falsche Schadenmeldungen bis zur Fingierung oder der absichtlichen Herbeiführung von Schadenfällen. Der missbräuchlichen Beanspruchung von Versicherungsleistungen ist daher mit entsprechenden Sanktionen zu begegnen. Alles andere schafft massive Anreize zum Versicherungsmissbrauch, führt zu einer entsprechenden Verteuerung des Versicherungsschutzes und geht zu Lasten der redlichen Versicherungsnehmer.

Die Vorlage erschwert die Handhabe des Versicherers im Missbrauchsfall im Vergleich zum geltenden Recht jedoch deutlich. Insbesondere fehlt ein eigenständiger Missbrauchsartikel nach dem Muster des geltenden Art. 40 VVG. Die präventive Wirkung eines solchen Artikels darf nicht unterschätzt werden. Dem Versicherungsmissbrauch ist deshalb auch im neuen VVG mit einem eigenständigen Missbrauchsartikel Rechnung zu tragen. Zumal sich die Problematik in den letzten Jahren derart verschärft hat, dass unter anderem die Einrichtung spezieller Betrugsabteilungen in den Versicherungsgesellschaften notwendig wurde. Eine Studie für den deutschen Versicherungsmarkt kommt sogar zum Ergebnis, dass jeder zehnte gemeldete Versicherungsschaden wahrscheinlich betrügerisch ist. Als aktuelles Beispiel ist auch auf die (vermuteten) Versicherungsbetrugsfälle im Zusammenhang mit der Markteinführung der neuen iPhone-Generation zu verweisen, über die in den Medien im Herbst 2011 prominent berichtet worden ist.

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