Was ändert sich mit dem revidierten VAG?
In seiner aktuellen Fassung ist das Versicherungsaufsichtsgesetz VAG seit 1. Januar 2006 in Kraft. Am 18. März 2022 verabschiedeten die eidgenössischen Räte die erste grosse Revision dieses zentralen Gesetzes für die Versicherungsbranche.
1. Warum wurde das VAG revidiert?
Im Laufe der Zeit hat die Praxis gezeigt, dass Änderungen im VAG notwendig sind, insbesondere in Bezug auf den Erlass von Bestimmungen zur Sanierung, auf das Vermittlerrecht und auf Aufsichtserleichterungen. Der Markt sowie die Bedürfnisse und die Erwartungen der Kundinnen und Kunden haben sich in den vergangenen 15 Jahren ebenso verändert.
Aus diesen Gründen hat das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) im Jahr 2020 eine Teilrevision des VAG vorgeschlagen. Diese Revision hatte zum Ziel, den gesetzlichen Rahmen der Versicherungsaufsicht zu modernisieren, die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Versicherungssektors zu stärken und den Kundenschutz zu verbessern.
2. Welches sind die wichtigsten Änderungen des VAG?
Das revidierte Gesetz umfasst unter anderem folgende wichtige Änderungen:
- Einführung eines Sanierungsrechts für Versicherungsunternehmen – und damit eine Alternative zum Konkurs
- Gesetzliche Verankerung der Bestimmungen zur Solvabilität
- Aufsichtserleichterungen im B2B-Bereich, die die Rückversicherung und Firmenkunden betreffen
- Förderung von Innovation und Anpassung bezüglich des versicherungsfremden Geschäfts
- Ausbau des Kundenschutzes im Nachgang zum Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg)
3. Warum sind die Sanierungsregelungen im VAG von Bedeutung?
Das geltende VAG zwingt die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma), den Konkurs anzuordnen, sobald ein Versicherungsunternehmen überschuldet ist oder ernsthafte Liquiditätsprobleme hat. Aus Sicht der Versicherten wäre eine Sanierung hingegen oft besser, da sie in der Regel ein Interesse an der Weiterführung ihrer Versicherungsverträge haben. Die Revision schliesst diese Lücke im VAG und stärkt damit den Kundenschutz.
4. Weshalb ist es wichtig, dass die Vorschriften zur Solvabilität nun gesetzlich verankert sind?
Die gesetzliche Verankerung führt zu einer grösseren Rechtssicherheit, verbunden mit einer klaren Definition der Zuständigkeiten. So wurde eine Reihe von Bestimmungen von der Verordnungs- auf die Gesetzesebene verlagert. Zudem wurde mit der formalen Verankerung des Schweizer Solvenztests (SST) in Artikel 9 des VAG eindeutig festgelegt, wie die Solvabilität einer Versicherungsgesellschaft zu bestimmen ist.
Darüber hinaus wurde die Bestimmung des Wertes der versicherungstechnischen Verpflichtungen geklärt. Dies erscheint auf den ersten Blick technisch, ist aber für die Kapitalanforderungen und damit für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Schweiz von grosser Bedeutung. Nach der revidierten Formulierung muss das für die Solvabilität massgebliche Kapital auf markkonformer Basis ermittelt werden. Das bedeutet, dass die seit vielen Jahren bewährte Praxis fortgeführt werden kann und die heutigen, angemessenen Kapitalanforderungen erhalten bleiben. Damit werden im internationalen Vergleich gleichwertige Rahmenbedingungen gewahrt, die für die Wettbewerbsfähigkeit der Branche zentral sind.
5. Modernisierung der Rahmenbedingungen als Ziel der Revision: Bei der Aufsicht wurde einiges erreicht. Wie sieht es konkret aus?
Die Modernisierung der Aufsicht erstreckt sich auf mehrere Themenbereiche:
So sieht das revidierte VAG Aufsichtserleichterungen bei Geschäftsbeziehungen mit professionellen Kunden vor. Unter dem geltenden VAG bestehen bereits Aufsichtserleichterungen für Versicherungsunternehmen, die die Rückversicherung betreiben. Diese Aufsichtserleichterungen werden im revidierten VAG erweitert (geänderter Art. 35 VAG), da es sich bei diesen Kunden ausschliesslich um Versicherungsgesellschaften handelt, also um Kunden, die wie kein anderes Unternehmen über Fachkenntnisse im Versicherungsbereich verfügen. Die Rückversicherungskunden sind damit weniger schutzbedürftig.
Weiter wird den Versicherungsunternehmen neu auch im Erstversicherungsbereich die Möglichkeit gegeben, Versicherungsnehmer in professionelle und nichtprofessionelle zu kategorisieren. Für das Geschäft mit professionellen Versicherungsnehmern (Industriegeschäft) können Erstversicherungsunternehmen neu ebenfalls von Aufsichtserleichterungen profitieren (wie vom Wegfall des gebundenen Vermögens beim Industriegeschäft).
Zur Förderung der Innovation räumt das revidierte VAG dem Bundesrat zudem eine Verordnungskompetenz ein, wonach er Versicherungsunternehmen unter Einhaltung von Auflagen ganz von der Aufsicht befreien kann (regulatorische Sandbox). Die Regelung der diesbezüglichen Einzelheiten erfolgt in der Aufsichtsverordnung (AVO). Ebenfalls der Innovationsförderung dient die vom Parlament gutgeheissene Liberalisierung der Regelung zum versicherungsfremden Geschäft.
6. Der zweite Teil der Modernisierung der Rahmenbedingungen betrifft das Vermittlerrecht. Was ist neu in diesem Bereich?
Von der Revision betroffen ist auch der Versicherungsvertrieb. Im VAG wird weiterhin zwischen ungebundenen und gebundenen Versicherungsvermittlern unterschieden. Neu gilt für alle Versicherungsvermittler eine Aus- und Weiterbildungspflicht und ein Verbot der Doppeltätigkeit. Ein Versicherungsvermittler darf künftig nicht mehr gleichzeitig als gebundener und ungebundener Vermittler tätig sein.
Zusätzliche Verschärfungen betreffen die ungebundenen Versicherungsvermittler. Für sie gelten künftig erhöhte Anforderungen für den Eintrag in das Vermittlerregister der Finma. Sie sind in Zukunft auch verpflichtet, dem Versicherungsnehmer ihre Entschädigungen von den Versicherungsunternehmen offenzulegen.
Beim Vertrieb qualifizierter Lebensversicherungen (z.B. fondsgebundener Lebensversicherungen) gelten zusätzliche Anforderungen (neue Art. 39a ff. VAG). Für solche Produkte ist den Kundinnen und Kunden künftig am Verkaufspunkt ein Basisinformationsblatt abzugeben, und es ist zu prüfen, ob das Produkt für den Kunden angemessen ist (Angemessenheitsprüfung). Massgeblich für die Unterstellung von qualifizierten Lebensversicherungen unter die neuen Kundenschutznormen des VAG ist ein potenzielles Verlustrisiko im Sparprozess. Zu den qualifizierten Lebensversicherungen zählen auch Kapitalisations- und Tontinengeschäfte.
Sämtliche Anpassungen dieser Gesetzesrevision sind in der Synopse im Downloadbereich zu finden.