Risikofall Pandemie: Sechs Fragen und Antworten zu Covid-19
Von Wuhan in die Schweiz in weniger als drei Monaten – in einer globalen und zunehmend vernetzten Welt können sich Krankheitserreger, wie aktuell das Coronavirus, in rasanter Geschwindigkeit ausbreiten. Das neue Coronavirus schränkt das öffentliche Leben auf bisher nie gekannte Weise ein und stellt Gesellschaft und Wirtschaft vor grosse Herausforderungen. Für die Schweizer Privatversicherer zählt eine Pandemie zu den sogenannten Kumulereignissen.
1. Wie gehen die Versicherer generell mit der aktuellen Pandemie um?
Pandemien stellen auch für die Privatversicherer ein Grossereignis dar. Um die spezifische Situation und deren Folgen beurteilen zu können, müssen zahlreiche Faktoren wie beispielsweise die regionale oder globale Entwicklung einbezogen werden. Die Risiken müssen die einzelnen Versicherungsunternehmen je nach ihrer Risikoexposition beurteilen. Die Versicherer verfolgen die Situation aufmerksam und beurteilen diese laufend. Sie stellen vor allem auch sicher, dass sie den Betrieb aufrechterhalten können, genügend Liquidität vorhanden ist, und dass sie weiterhin in der Lage sind, die Schadenmeldungen und Anliegen ihrer Kundinnen und Kunden rasch bearbeiten zu können. Täglich zahlen sie rund 139 Millionen Franken für Schadenfälle und Renten an diese aus und leisten damit einen wichtigen Beitrag zu deren Zahlungsfähigkeit. Auch während der Coronakrise ist es gelungen, die Schadenmeldungen trotz erschwerter Rahmenbedingungen wie gewohnt entgegenzunehmen und abzuwickeln.
2. Warum unterscheiden die Versicherer zwischen einer Pandemie und einer Epidemie?
Gemäss der Definition des Bundesamts für Gesundheit BAG spricht man von einer Epidemie, wenn eine Infektionskrankheit stark gehäuft auftritt, zeitlich und örtlich aber begrenzt ist. Bei einer Pandemie handelt es sich um die Ausbreitung einer bestimmten Infektionskrankheit in vielen Ländern beziehungsweise Kontinenten. Sie kann einen grossen Teil der Weltbevölkerung gefährden. Aus versicherungsökonomischer Sicht ist diese Unterscheidung zentral: Derweil sich das Risiko einer regional begrenzten Epidemie mit Hilfe der Rückversicherungen global diversifizieren lässt, ist das bei einer Pandemie nahezu nicht mehr möglich, da annähernd alle Staaten gleichzeitig betroffen sind.
Eine Pandemie kann die Grenzen der Versicherbarkeit überschreiten. Für die Versicherer zählt eine Pandemie zu den sogenannten Kumulrisiken. Damit sind Gefahren gemeint, die in relativ kurzer Zeit sehr viele Schäden anrichten. Derweil andere Grossereignisse wie Hurrikans oder Erdbeben – oder eben Epidemien – wenigstens regional begrenzt sind, ist das bei einer Pandemie nicht der Fall. Wenn jedoch Unternehmen weltweit gleichzeitig Schäden geltend machen, funktioniert das Prinzip der Risikostreuung nicht mehr ohne weiteres.
3. Müssten die Versicherer nicht kulanter sein?
Der Schweizer Versicherungsmarkt zeichnet sich durch einen funktionierenden Wettbewerb und eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte aus. Die Prämien variieren je nach gewählter Versicherungsdeckung und Versicherungsumfang und müssen aufgrund der gesetzlichen und aufsichtsrechtlichen Vorgaben risikogerecht ausgestaltet sein. Daraus folgt, dass im Rahmen der Schadenregulierung auch nur diejenigen Schäden gedeckt werden dürfen, für die eine Versicherungsdeckung besteht. Dieses feintarierte System darf auch in einer ausserordentlichen Lage nicht einfach aus den Angeln gehoben werden. Konkret sind im Rahmen der Schadenabwicklung die Konditionen, zu denen das Versicherungsprodukt abgeschlossen wird, zu berücksichtigen und auch einzuhalten. Hinsichtlich des Ein- oder Ausschlusses der Pandemie in einem konkreten Versicherungsfall beziehungsweise im Rahmen einer Epidemieversicherung ist damit auf die Allgemeinen Vertragsbedingungen derjenigen Gesellschaft abzustellen, bei der die Versicherung abgeschlossen worden ist.
Um in Zukunft gegen eine Pandemie gewappnet zu sein, ist am ehesten eine Lösung auf Basis einer Public-Private-Partnership anzustreben, so wie zum Beispiel in der Elementarschadenversicherung, die die Auswirkungen bestimmter Naturereignisse national bündelt. Wie eine solche Lösung für Pandemierisiken konkret aussehen könnte, ist im gegenwärtigen Zeitpunkt noch ungewiss. Unbestritten ist, dass die Schweizer Privatversicherer bereitstehen und mit Lösungsmöglichkeiten und ihrer Expertise unterstützen.
4. Wie hoch werden die Schäden aufgrund der Coronakrise ausfallen?
Es ist noch zu früh, die Folgen des Ausbruchs von Covid-19 und des Lockdowns auf die Versicherungswirtschaft beziffern zu wollen. Je nach Entwicklung sind die Kranken- und Lebensversicherungen, Rückversicherungen sowie bei den Nichtlebensversicherungen primär Reise- und Rechtsschutzversicherung betroffen. Haftpflichtversicherungen dürften in einzelnen Fällen tangiert sein. Allerdings ist die jeweilige Deckung entscheidend. Haftpflichtfälle sind nicht auszuschliessen, etwa wenn eine Ansteckung aufgrund einer Verletzung der Sorgfaltspflicht erfolgt ist.
5. Wie unterstützt die Versicherungsbranche die Wirtschaft?
Die Versicherungsbranche ist sich einig, der von dieser Krise besonders Betroffenen, darunter dem Rückgrat der Schweizer Wirtschaft, den KMU, in dieser schwierigen Phase ganz besonders beizustehen. Aus diesem Grund empfiehlt der SVV seinen Mitgliedgesellschaften, gegenüber diesen wichtigen Kundinnen und Kunden in Zeiten angespannter Liquidität Verständnis und Entgegenkommen zu signalisieren. Es ist dabei an jedem einzelnen Versicherungsunternehmen, die geeigneten Massnahmen zu ergreifen, um in dieser ausserordentlichen Situation den Geschädigten zu helfen.
6. Welche Massnahmen können die Versicherer konkret ergreifen?
Sie unterstützen KMU beispielsweise in ihrer Rolle als Immobilieneigentümer, indem sie Mietzinsstundungen, -reduktionen oder zum Teil gar Mietzinserlasse gewähren. Sie gehen dabei immer situationsbezogen und lösungsorientiert vor, um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Mieter gerecht zu werden.
Die meisten Versicherer haben eine vorübergehende Anpassung des Mahnprozesses der Prämien im Nichtlebengeschäft in Kraft gesetzt. Mit dem Aufschieben von Mahnungen bei ausstehenden Prämien kommen die Versicherer den KMU, die aufgrund der Coronakrise nachweisbare Ertragsausfälle und entsprechende Liquiditätsengpässe erleiden, ebenfalls entgegen. Auch in diesem Fall legen die Gesellschaften die individuelle Ausgestaltung selbst fest und gehen dabei situations- und lösungsorientiert vor, um den unterschiedlichen Bedürfnissen ihrer Unternehmenskunden nachzukommen.
Die Prämien dienen der Absicherung der vertraglich vereinbarten Risiken eines jeweiligen Versichertenkollektivs und sind entsprechend kalkuliert. Mit den eingenommenen Prämien übernehmen die Versicherer die Schäden der Versicherten und erfüllen damit ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden. Auch die Mieterträge aus Immobilien leisten dabei einen wesentlichen Beitrag. Für die Versicherungsbranche gilt deshalb, ihre KMU-Kunden bei der Abfederung von Liquiditätsengpässen zu unterstützen und gleichzeitig die Interessen des Versichertenkollektivs zu wahren.