
Erdbeben sind zwar selten, können aber immense wirtschaftliche Schäden verursachen und schwerwiegende soziale Folgen haben. In der Schweiz besteht derzeit kein flächendeckender Versicherungsschutz bei Erdbebenschäden. Dies will der Bundesrat mit der sogenannten «Erdbebenversicherung mittels Eventualverpflichtung» ändern. Wir erklären, was es damit auf sich hat und warum der Schweizerische Versicherungsverband SVV den vom Bundesrat erarbeiteten Vorschlag für eine Eventualverpflichtung ablehnt.
In der Schweiz sind Erdbeben, obwohl sehr selten, aufgrund der dichten Besiedlung und der hohen Konzentration von Sachwerten eindeutig die Naturgefahr mit dem grössten Schadenpotenzial. Das zeigt auch das neue Erdbebenrisikomodell des Schweizerischen Erdbebendienstes an der ETH Zürich. Die gute Nachricht: Erdbeben sind privatwirtschaftlich versicherbar, weil sie alle Bedingungen der Versicherbarkeit erfüllen. Die Versicherungsdurchdringung bei Erdbebenrisiken nimmt seit Jahren stetig zu. Mittlerweile sind rund 21 Prozent der Gebäudewerte in der Schweiz entsprechend versichert. Seit 2014 hat sich dieser Anteil mehr als verdoppelt. Besonders hoch ist die Durchdringung in stark gefährdeten Regionen wie dem Wallis, wo sie über 50 Prozent liegt, sowie in den kantonalen Märkten ohne staatliches Monopol (GUSTAVO), in denen sie durchschnittlich mehr als 35 Prozent beträgt.
Trotz dieser Fortschritte hat der Bundesrat 2021 vom Parlament den Auftrag erhalten, einen Vorschlag für eine Erdbebenversicherung mittels Eventualverpflichtung auszuarbeiten mit dem Ziel, eine Lösung zu finden, um die Folgen eines Erdbebens umfassender zu finanzieren. Dazu braucht es eine Verfassungsänderung.
Der Schweizerische Versicherungsverband SVV begrüsst grundsätzlich Bemühungen zur Risikoabsicherung, lehnt aber die vorgeschlagene Eventualverpflichtung aus folgenden 6 Gründen ab.
Konkret: Das Risiko Erdbeben erfüllt alle Voraussetzungen der Versicherbarkeit: Zufälligkeit, Unabhängigkeit, Eindeutigkeit, Kenntnis der Schadenverteilung, Berechenbarkeit der Prämie sowie vorhandene Versicherungskapazitäten. Eine ausgezeichnete Datenlage und eine wachsende Anzahl von Risikomodellen machen Erdbeben zu einem berechenbaren Risiko. Da Erdbeben versicherbar sind, stehen der Bevölkerung und der Wirtschaft in der Schweiz schon heute eine wachsende Zahl von Erdbebenversicherungsprodukten zur Verfügung. Diese decken sowohl Gebäudeschäden als auch Schäden an Fahrhabe, Hausrat und Betriebsunterbruch sowie Mietertragsausfälle. Eine staatlich organisierte Lösung nur für Gebäude ist unnötig..
Konkret: Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer müssten im Katastrophenfall 0,7 Prozent des versicherten Gebäudewerts nachzahlen. Eine Eventualverpflichtung setzt Fehlanreize, weil Hauseigentümer weniger in die Prävention investieren würden – ganz nach dem Motto «am Ende zahlt die Allgemeinheit». Wie erdbebensicher baue ich? Wie viel investiere ich in die Gebäudesicherheit? Heute entscheiden Investoren und Hauseigentümer eigenverantwortlich und tragen mit ihren Entscheidungen zur Resilienz bei.
Konkret: Erdbeben verursachen in erster Linie Schäden an Gebäuden und Fahrhabe (bewegliche Sachen, die nicht als Gebäudebestandteile oder bauliche Einrichtungen gelten). Hinzu kommen Schäden aus Betriebsunterbruch und Aufräumkosten. Weitere Schäden (und viel Leid) sind durch Tote und Verletzte zu erwarten. Die Eventualverpflichtung deckt jedoch weder Hausrat noch Fahrhabe. Die Fokussierung auf die Gebäudehülle greift zu kurz.
Konkret: Im Fall eines schweren Erdbebens müssten die Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer 0,7 Prozent des versicherten Gebäudewertes als Abgabe an den Staat entrichten. Das Erheben einer Zusatzabgabe durch den Staat würde die ohnehin schon grossen wirtschaftlichen Herausforderungen nach einem schadenträchtigen Erdbeben zusätzlich verschärfen.
Konkret: Um einen raschen Wiederaufbau zu ermöglichen, müssen unmittelbar nach dem Schadenereignis finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Umsetzung einer Eventualverpflichtung erzeugt eine lange Reihe von Fragen: Wie steht es um die Zahlungsbereitschaft im Katastrophenfall? Wie geht man mit Zahlungsverzögerungen oder Zahlungsverweigerungen um? Was ist mit Immobilienbesitzern im Ausland? Zudem ist zu erwarten, dass ein komplexes und flächendeckendes Inkasso einen hohen zusätzlichen Verwaltungsaufwand verursachen wird. Eine EVV verspricht viel – verschweigt aber auch viel. Sie spricht von einem maximalen Volumen von CHF 22 Mrd., doch unklar bleibt, was davon bei den Betroffenen ankommt. Die administrativen Kosten sind nicht ausgewiesen und diese sind substanziell.
Konkret: Weil Erdbeben versicherbar sind, kann man die Risiken mittels Risikotransfer in den globalen Rückversicherungsmarkt diversifizieren. Wie bei anderen Naturgefahren wie Hagel, Sturm oder Hochwasser stützen internationale Rückversicherer – viele davon mit Sitz in der Schweiz – die Versicherer bei der gemeinsamen Bewältigung von Grossschäden. Mit der Eventualverpflichtung würde die Schweiz auf eine staatlich orchestrierte und national begrenzte Option setzen statt auf bewährte und international getragene Lösungen zur Krisenminderung. Die Folge wäre, dass Schäden, die heute über globale Märkte mitgetragen werden, künftig allein durch Schweizer Eigentümer, Mieter und Steuerzahler getragen werden müssten.
Urs Arbter erläutert, warum das neue Erdbebenrisikomodell der ETH den Bedarf für eine umfassende Versicherungslösung verdeutlicht und warum erhebliche Zweifel an einer Eventualverpflichtung bestehen.

Der SVV lehnt die Vorlage ab. Erdbeben sind ein privatwirtschaftlich vollständig versicherbares Risiko, weshalb die Eventualverpflichtung ein unnötiger und unvollständiger Lösungsansatz ist.
