
Ab 1. Januar 2022 ist Urs Arbter neuer Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV. Der bisherige stellvertretende Direktor übernimmt das Amt von Thomas Helbling, der den Branchenverband der Privatversicherer nach fünf Jahren verlässt. Zur Stabsübergabe hat Daniel Schriber den neuen und den alten Chef zum Gespräch getroffen.
Helbling: Ich schaue auf eine sehr intensive und spannende Zeit zurück. Am meisten freut es mich natürlich, dass wir als Versicherungsverband einige wichtige Erfolge erzielen konnten.
Helbling: Im Vordergrund stehen die Revisionen des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) sowie des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Bei der Erneuerung dieser für unsere Branche zentralen zwei Gesetze ist es uns gelungen, die Bedürfnisse unserer Mitgliedgesellschaften in den wesentlichen Punkten einzubringen.
Helbling: Rückschläge gehören zum Geschäft. Wenn man daraus lernt, kann man sogar gestärkt vorwärtsschreiten. Gerade bei der Pandemieversicherung ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Auch wenn das Projekt durch den Bundesrat sistiert worden ist, bleibt das Thema im Kontext zu den anderen Toprisiken wie Cyber im Fokus. Verlässt unsere Landesregierung einmal den Krisenmodus, rückt die Prävention ins Zentrum und dann kommt die Politik nicht um das Expertenwissen unserer Branche herum, um eine nachhaltige Pandemievorsorge zu modellieren.
«Unsere Mitgliedgesellschaften haben bewiesen, dass sie krisenresistent sind.»
Thomas Helbling
Helbling: Unsere Mitgliedgesellschaften haben bewiesen, dass sie krisenresistent sind. Notgedrungen aus dem Homeoffice heraus ist es ihnen trotzdem gelungen, ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Kundinnen und Kunden nachzukommen – auch während der Pandemie täglich 139 Millionen Franken an Renten und Schadenleistungen auszuzahlen, das ist eine Meisterleistung!
Helbling: Die Reputation der Branche hat aufgrund der vielen Fragen um die Betriebsausfälle gelitten, sie wurde aber nicht nachhaltig beschädigt. Wir haben bewiesen, dass wir in der Lage sind, für unsere Kundinnen und Kunden innerhalb kurzer Zeit konstruktive Lösungen zur Schadenminderung zu erarbeiten.
Hebling: Nebst der Vorfreude und der Neugier auf meine neuen Aufgaben wünsche ich mir, dass mein Tagesablauf etwas geordneter als in den vergangenen Jahren ablaufen wird. Im SVV gleicht kein Tag dem andern – und Unerwartetes wirft die Planung über den Haufen. Das macht den Job zwar überaus attraktiv, bisweilen aber auch etwas hektisch. Für die Zukunft wünsche ich mir deshalb eine Spur weniger Dynamik – und dafür mehr Zeit, um strategische Herausforderungen wahrzunehmen.
Helbling: Es wäre vermessen, ihm Ratschläge zu erteilen. Mein Nachfolger Urs Arbter kennt das Versicherungsmetier à fond! Ich wünsche ihm lediglich, dass er auch in seiner neuen Aufgabe die nötige Ruhe und Gelassenheit bewahrt – Alltagshektik hin oder her.
Als stellvertretender Direktor hat Urs Arbter während der vergangenen vier Jahre das Ressort Versicherungspolitik und Regulierung geleitet. Nach einer kaufmännischen Banklehre erwarb er das Lizenziat in Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen und ist Absolvent des Stanford Executive Programm. Seit 1998 ist Urs Arbter für die Versicherungswirtschaft in unterschiedlichen Funktionen tätig. Der bisherige Direktor Thomas Helbling tritt auf Anfang 2022 als Partner in die Berner Anwaltskanzlei Emmenegger Hirt Rechtsanwälte ein und konzentriert sich künftig auf die Führung von Wirtschaftsverbänden und auf die Ausübung von Verwaltungsratsmandaten.
Arbter: Ich habe eine kaufmännische Lehre auf einer Bank absolviert und war – unterbrochen durch ein Betriebswirtschaftsstudium an der Universität St. Gallen – rund zehn Jahre in unterschiedlichen Rollen in der Bankenwelt tätig. Irgendwann glaubte ich, das Geschäftsmodell verstanden zu haben. Ich wollte etwas Neues kennenlernen, den Horizont erweitern. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung stiess ich auf die Versicherungsbranche. Ich wurde nicht enttäuscht. Die Versicherungswirtschaft verfügt über eine sehr breite Produktpalette. Eine Krankenzusatzversicherung zum Beispiel ist etwas ganz anderes als eine Rückversicherung von Elementarschäden. Es kommen immer wieder unterschiedlichste Fragestellungen auf den Tisch. Das macht auch die Verbandsarbeit so abwechslungsreich.
Arbter: Metathemen wie die Digitalisierung und die sich verändernde Demografie prägen die Entwicklung unserer Branche massgeblich. Als Verband beschäftigt uns aber auch das sich schleichend verändernde Rollenverständnis zwischen Staat und Wirtschaft.
Arbter: Genau. Wir wollen also nicht mehr Regulierung, sondern dank eigenverantwortlichem Handeln den Bedarf an Vorschriften möglichst tief halten. Wir setzen uns für privatwirtschaftliche Lösungen ein, weil wir überzeugt sind, dass unsere Mitglieder nicht nur Produkte von Mehrwert für die einzelnen Kundinnen und Kunden, sondern auch gesamthaft für die Volkswirtschaft auf den Markt bringen. Um ein Modewort zu verwenden: Die Privatversicherer stärken die Resilienz der Schweizer Volkswirtschaft.
«In meinen verschiedenen beruflichen Stationen habe ich gelernt, dass es sich lohnt, systematisch zuzuhören. Wenn ein Thema regelmässig auftaucht, gehört es vermutlich auf die Agenda.»
Urs Arbter
Arbter: Durch Zuhören! In meinen verschiedenen beruflichen Stationen habe ich gelernt, dass es sich lohnt, systematisch zuzuhören. Wenn ein Thema regelmässig auftaucht, gehört es vermutlich auf die Agenda.
Helbling: Das Ergebnis der BVG-Debatte in der Wintersession des Nationalrates ist ein erfreulicher Etappensieg. Darauf lässt sich eine für alle zukunftsfähige Altersvorsorge aufbauen. Bundesrat Berset hat es nun in der Hand, zusammen mit dem Ständerat die Vorlage zu einer auch im Volk mehrheitsfähigen Reform zu modellieren. Diese Vorlage muss gezielt solidarisch und sozialverträglich, gleichzeitig jedoch auch finanziell verkraftbar und damit für die kommenden Generationen nachhaltig sein.
Arbter: Die Langfristigkeit ist per se ein wichtiges Merkmal der Versicherungswirtschaft. Gerade in der gebeutelten Altersvorsorge braucht es nun dringend nachhaltige Lösungen.
Arbter: Wir haben ein natürliches Interesse, uns aktiv mit diesem Thema zu befassen. In der Versicherungsbranche geht es schliesslich stets darum, Schäden langfristig möglichst tief zu halten. Gefragt ist aber nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche Nachhaltigkeit.
Helbling: Nachhaltigkeit gehört zur DNA unserer Branche. Wer, wenn nicht die Versicherer sollen in diesem Bereich eine führende Rolle übernehmen?
«Schon heute ist jedoch absehbar, dass Themen um die Krankenzusatzversicherungen sowie der Rückversicherungsstandort Schweiz mehr Gewicht erhalten.»
Urs Arbter
Arbter: Nächstes Jahr ziehen wir ein Zwischenfazit. Die Strategie hat sich bewährt, sie adressiert die vordringlichsten Themen. Schon heute ist jedoch absehbar, dass Themen um die Krankenzusatzversicherungen sowie der Rückversicherungsstandort Schweiz mehr Gewicht erhalten. Auch Toprisiken wie drohende Strommangellagen oder Cybergefahren benötigen mehr Kapazität. Insgesamt wird der Themenkreis sicher breiter, nicht enger.
Helbling: Die Strategie ist ein wichtiges Instrument für unseren Verband. Gleichzeitig werden wir immer stark von unserer Umwelt beeinflusst. Als Folge der Pandemie gewann beispielsweise die Digitalisierung noch schneller an Bedeutung.
Arbter: Wir haben in den vergangenen eineinhalb Jahren unser Extranet komplett überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht. Künftig profitieren unsere Mitgliedgesellschaften, die über ihre Gremienvertreter die Verbandspositionen erarbeiten und prägen, von einer Plattform, die gesellschaftsübergreifend paralleles Arbeiten am gleichen Dokument erlaubt. Das ist effizient. Die Versicherungswirtschaft wird je länger, desto mehr zu einer modernen, digitalen Landschaft.
«In der Schweiz dauert zwar alles länger, dafür haben die Lösungen Hand und Fuss.»
Thomas Helbling
Helbling: Nein. In der Schweiz dauert zwar alles länger, dafür haben die Lösungen Hand und Fuss.
Arbter: Die direkte Demokratie gehört zu den herausragenden Stärken der Schweiz. Geschwindigkeit ist nicht immer alles – viel wichtiger ist, dass die Entscheidungen breit abgestützt und austariert sind. Genau das macht meinen künftigen Job so spannend. Einerseits braucht es Ruhe und Gelassenheit, andererseits muss man in der Lage sein, im Bedarfsfall rasch gute Lösungen zu kreieren.
Helbling: Mehr Souplesse bräuchte es meines Erachtens im Bereich der Versicherungsaufsicht. Unsere Mitglieder beweisen seit vielen Jahrzehnten, dass sie solid sind und seriös arbeiten. Es wäre wünschenswert, dass diese Leistung auch von der Finma entsprechend gewürdigt wird und daraus eine Aufsicht mit Augenmass resultiert.
Helbling: Urs Arbter verfügt über eine ausserordentlich hohe und breite Fachkompetenz. Ich habe nicht nur seine Verlässlichkeit, sondern auch seine positive Einstellung und seine Teamfähigkeit sehr geschätzt. Und vielleicht das Wichtigste: Urs «chätschet» keine Probleme, er liefert Lösungen.
Arbter: Wir beide bringen ganz unterschiedliche Werdegänge mit. Ich bin Ökonom, Thomas Helbling hat einen juristischen Hintergrund. Diese Kompetenzen liessen sich bei der Verbandsarbeit ideal kombinieren. Ich habe die Zusammenarbeit mit Thomas sehr geschätzt.
Arbter: Ich konnte enorm von seinem Wissensschatz und seinem ausgeprägten politischen Gespür profitieren. Beeindruckend fand ich zudem seine Fähigkeit, auch in hektischen Situationen Ruhe zu bewahren.
Helbling: Wir haben uns in der Tat sehr gut ergänzt. Mit seiner Fachkompetenz hat er die Lücken, die in meinem Portfolio bestanden, kompensiert. Was Urs Arbter aus meiner Sicht am meisten auszeichnet, ist seine strukturierte Arbeitsweise. Dies bewies er nicht zuletzt bei der Ausarbeitung der Strategie 2020–2024.
Helbling: Beruflich eher nicht. Mit meinen neuen Aufgaben lasse ich die Tätigkeit beim Versicherungsverband hinter mir.
Helbling: Wir sind beide leidenschaftlich gerne in den Bergen unterwegs …
Arbter: Komm, das können wir doch verraten: Wir haben für nächsten Sommer schon eine gemeinsame Tour auf die Greina-Hochebene geplant.
Helbling: Vielen Dank, aber auf einer Bergtour wünsche ich mir ganz andere Gesprächsthemen (lacht).
Thomas Helbling, Direktor des SVV, zeigt sich im Interview enttäuscht über den Entscheid des Bundesrats, der das Konzept einer Pandemieversicherung nicht weiterverfolgen will.

Ab 1. Januar 2022 ist Urs Arbter neuer Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV.