Toprisiken proaktiv und partnerschaftlich bewirtschaften
Mit der Coronapandemie ist ein Szenario eingetreten, das zuvor für einen Grossteil der Bevölkerung undenkbar schien: Ein Virus hat sich weltweit in kürzester Zeit ausgebreitet und grosses menschliches Leid verursacht sowie infolge der daraus notwendigen staatlichen Intervention grosse Teile der Wirtschaft lahmgelegt. Neben der Pandemie gibt es weitere Gefahren, die als sogenannte «Toprisiken» gelten, also Risiken, die zwar eine niedrige Eintretenswahrscheinlichkeit, aber ein enormes Schadenpotenzial aufweisen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS hat im Rahmen einer nationalen Analyse (2020) die für die Schweiz grössten Risiken definiert – darunter eine lang andauernde, schwere Strommangellage sowie eine Pandemie. Neben Personenschäden können beide Szenarien zu immensen ökonomischen und immateriellen Schäden für die Wirtschaft und für die Gesellschaft führen. Die Wiederkehrperiode für das Auftreten einer Pandemie wird von Behördenseite auf einmal in 30 bis 100 Jahren geschätzt, die für Strommangellagen auf etwa 30 Jahre. Auch grossflächige Cyberattacken oder Erdbeben können gewaltige Dimensionen annehmen. Obwohl hier punktuell Versicherungslösungen bestehen, fehlt bislang ein umfassender und flächendeckender Schutz.
Viele Toprisiken haben gemeinsam, dass ein oder mehrere Kriterien der Versicherbarkeit (Zufälligkeit, Schätzbarkeit, Unabhängigkeit/Diversifizierbarkeit, Kenntnis Höchstschaden, Risikoappetit der Versicherungsbranche) nicht oder nur teilweise erfüllt sind. Das heisst oftmals, dass Toprisiken rein privatwirtschaftlich nicht oder nicht vollständig versicherbar sind, wie z. B. eine Pandemie oder eine Strommangellage. Sie benötigen die richtigen gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen und eine Zusammenarbeit mit dem Staat, damit ein Versicherungsschutz entstehen kann. Gerade weil das so ist, haben Politik, Wirtschaft, Bevölkerung und Versicherer ein grosses gemeinsames Interesse, Toprisiken im Voraus zu debattieren, Lösungen zu finden und diese proaktiv umzusetzen: «Vorsorge ist besser als Nachsorge.» Dabei ist stets das Subsidaritätsprinzip zu befolgen. D.h. dass zuerst die Versicherbarkeit gestärkt werden muss, bevor als letztes Mittel der Staat beigezogen wird.
Planbare Zusammenarbeit statt Ad-hoc-Massnahmen
Für Toprisiken müssen – nebst einem umfassenden Risikomanagement und einer breit abgestützten Prävention – Lösungen gefunden werden, um Betroffene im Schadenfall zu unterstützen. Das Konzept einer Public-Private Partnership kann dabei von Nutzen sein.
Die Rolle des Staates unterscheidet sich von Risiko zu Risiko. Die Toprisiken unterscheiden sich sowohl im Schadenpotenzial als auch hinsichtlich der Kriterien der Versicherbarkeit. Deshalb gibt es keine pauschale Lösung, die für alle Toprisiken gelten kann. Wo sinnvoll, kann aber auf bestehende Strukturen zurückgegriffen werden: So zum Beispiel beim Erdbebenrisiko. Mit der Elementarschadenversicherung und dem Elementarschaden-Pool besteht bereits eine gut funktionierende Lösung, in die ein umfassender Versicherungsschutz für Erdbeben integriert werden könnte. Mit den richtigen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise einem Obligatorium, kann die Versicherungswirtschaft dieses Risiko selbst tragen, da auch im Rückversicherungsmarkt genügend Kapazitäten dafür bestehen.
Weitere Risiken, wie beispielsweise Pandemien, benötigen eine andere Form der Zusammenarbeit. Die Diskussion rund um eine Public-Private Partnership kam bereits bei der Coronapandemie auf. Dort hat die Bundesverwaltung gemeinsam mit der Versicherungswirtschaft Lösungsansätze erarbeitet, wie Pandemien künftig versichert werden könnten. Zum grossen Bedauern der Versicherungswirtschaft hat der Bundesrat beschlossen, das Konzept einer gemeinschaftlichen Pandemieversicherung vorerst nicht weiterzuverfolgen.
Der SVV ist überzeugt, dass eine Zusammenarbeit zwischen Bund und Privatwirtschaft die beste Lösung ist, um gewissen Toprisiken proaktiv zu begegnen. Der Bund kann dabei die Rolle eines Rückversicherers einnehmen, derweil die Versicherungswirtschaft grosse Erfahrung darin hat, Risiken zu erkennen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmass zu bewerten. Sie kann auch bei der Kommunikation und der Sensibilisierung eine wichtige Rolle spielen und ihre Expertise, die Infrastruktur und die Kundenbeziehungen in eine solche Zusammenarbeit einbringen.
Gerade für den Schadenprozess sind personelle Ressourcen, ausgeprägtes Fachwissen und eingespielte Abläufe ausschlaggebend. Nur so können Schadenmeldungen auch innert kurzer Zeit abgewickelt werden. Über etablierte Mechanismen kann die Anspruchsberechtigung gezielt ermittelt werden.