Bei Pflichtversicherungen besteht vor allem kantonal ein historischer Wildwuchs mit unklaren Zielen und Absichten. Die Anforderungen der Kantone an Versicherungsbestätigungen und inhaltliche Vorgaben decken sich oft nicht mit der Marktrealität. Auf Bundesebene wurde 2014 deshalb von Dritter Seite die Einführung eines ausführlichen Rahmengesetzes für Pflichtversicherungen verlangt. Der SVV lehnt eine Bereinigung via ein starres Rahmengesetz für Pflichtversicherungen ab, begrüsst aber eine systematische Aufarbeitung des Themas.
Wo Pflichtversicherungen Sinn machen kann anhand des Bewertungsrasters des SVV zuverlässig beurteilt werden. Mit diesem Werkzeug können neue Pflichtversicherungen nach einheitlichen Grundsätzen erstellt werden. Der SVV setzt sich dafür ein, dass Haftpflichtversicherungsobligatorien ausschliesslich auf Bundesebene bestehen und hat im Rahmen der Vernehmlassung zur Revision des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) einen entsprechenden Vorschlag eingereicht. Im Weiteren hat der SVV an einer europäisches Studie zum Thema Pflichtversicherung aktiv mitgearbeitet und dazu einen Aufsatz verfasst. Die Projektergebnisse wurden im September 2016 in Buchform veröffentlicht.
Die Ausgangslage im Bereich Pflichtversicherungen ist aktuell sehr unübersichtlich
Der SVV stellt seit langem eine zunehmende Regulierungsdichte im Bereich Haftpflicht-Pflichtversicherungen fest. Aktuell existieren in der Schweiz neben 100 kantonalen Obligatorien über 40 Haftpflichtversicherungsobligatorien auf Bundesebene. Diese wurden nach keinem sichtbaren einheitlichen Vorgabesystem erlassen. Wegen der unterschiedlichen kantonalen Anforderungen wird eine aufwändige Verwaltung unterschiedlicher Produkte in den Portefeuilles der Versicherer nötig. Der Gesetzgeber kennt oft Möglichkeiten und Grenzen der Versicherbarkeit nicht. Diese Verwaltung der Pflichtversicherungen wird deshalb zunehmend teurer, stösst administrativ an Grenzen und ist fehleranfällig. Störend wirkt, dass mit der Regulierungsdichte der Schutz Dritter nicht besser wurde und auch die Sensibilität der Öffentlichkeit für wirkliche Gefahren nicht gesteigert werden konnte.
Die richtige Analyse ist die Kunst bei Pflichtversicherungen
Häufig wird eine Pflichtversicherung aufgrund emotionaler Ereignisse propagiert. Wird ein Kind von einem Hund schwer verletzt oder gar getötet, verlangt die Öffentlichkeit schnell eine Hundehalterhaftpflichtversicherung. Man glaubt, damit nicht nur das Opfer zu schützen, sondern auch gleich das Schadenereignis als solches zu verhindern. Die Pflicht, zu versichern, ist aber keine Präventionsmassnahme. Mit einer Pflichtversicherung wird kein einziger Schaden verhütet. Die Wirkung einer Pflichtversicherung setzt erst nach Schadeneintritt ein. Die Forderung nach einer Pflichtversicherung muss sich somit an echten wirtschaftlichen Bedürfnissen im Schadenfall ausrichten und darf nicht emotional geleitet sein.
Pflichtversicherungen dort, wo sie Sinn machen
Der SVV bekannte sich deshalb bereits in der Vernehmlassung zur Totalrevision VVG zu Pflichtversicherungen dort, wo sie Sinn machen. Er hat ein Bewertungsraster entwickelt, mit welchem der Gesetzgeber in der Lage ist, analytisch statt emotional Pflichtversicherungen zu normieren (s. Kasten am Schluss). Kantonale Pflichtversicherungen sind unerwünscht und verwässern sogar deren Bedeutung. Was in einem Kanton gefährlich ist, wird logischerweise auch in einem anderen Kanton gefährlich sein. Die Gefahr macht nicht Halt an der Kantonsgrenze. Wenn der Schutz potenziell Geschädigter eine Pflichtversicherung erfordert, so ist eine bundesrechtliche Regelung die logische Folge.
Kantonale Pflichtversicherungen schaffen nur Rechtsunsicherheit in der Bevölkerung, wie beispielsweise unterschiedliche Regelungen bei der Versicherungspflicht für Hundehalter. Wie muss ich mich versichern, wenn ich mit meinem Hund die Kantonsgrenze überschreite? Kantonale Unterschiede bewirken schlimmstenfalls, dass man die Gefahr unterschätzt, weil sie kantonal unterschiedlich bewertet wird. Sie erschweren zudem einen einheitlichen Binnenmarkt und können wettbewerbsverzerrend wirken.
Motion Janiak «Obligatorische Haftpflicht. Einheitliche Regelungen und Anpassungen» erwies sich 2014 als falscher Weg
Gemäss Motion sollte der Bundesrat 2014 prüfen, ob alle privaten Tätigkeiten einheitlich und obligatorisch versichert werden mittels Einführung einer auf die Haftung für Personenschäden begrenzten obligatorischen Privat-Haftpflichtversicherung. Sie wurde abgelehnt.
Der SVV plädiert mit seinem Bewertungsraster für einen anderen, risikobasierten Ansatz: Nur was allgemein und für eine Vielzahl potenzieller Geschädigter gefährlich ist, soll pflichtversichert werden. Aber nicht alles, was man privat tut, ist gleich gefährlich. Die Gefahr durch Wanderer (Steinschlag) ist für Dritte weniger gross als die Gefahr beim Jagen (Querschläger). Der SVV vertritt folglich die Auffassung, dass vom Grundsatz her den Geschädigten alle vertraglichen Einreden aus dem Versicherungsvertrag entgegengehalten werden können. Nach Ansicht des SVV sollen die Anforderungen an den Inhalt der Pflichtversicherung mit dem Grad der Gefährlichkeit steigen. Hohe Gefahren rechtfertigen eher Restriktionen beim Vertragsinhalt als geringere.
Der SVV leistet international aktiv einen Diskussionsbeitrag zum adäquatem Einsatz von Pflichtversicherungen
Das European Centre of Tort and Insurance Law (ECTIL) hat auf Initiative des SVV eine Studie erstellt Diese zeigt auf, wie sich der Bestand an Pflichtversicherungen in Europa präsentiert und welche versicherungstechnischen Lösungen bei Pflichtversicherungen angewendet werden. Ebenfalls wurde die rechtliche Legitimation von Pflichtversicherungen in sechs europäischen Staaten analysiert und schliesslich auch ökonomische Überlegungen zu Pflichtversicherungen angestellt. Die Sichtweise der Assekuranz konnte durch ein Autorenteam des SVV in einem Beitrag eingebracht werden. Die Projektergebnisse liegen in Buchform vor. Das Werk erschien im September 2016 im Verlag De Gruyter unter dem Titel «Compulsory Liability from a European Perspective».
Position des SVV zu Pflichtversicherungen
Der SVV hat ein Konzept für den Erlass von neuen Pflichtversicherungen entwickelt. Dieses basiert auf drei Säulen: einer Vision, einem Bewertungsraster für Gefahren und dem Einsatz von versicherungstechnischen Instrumenten (Instrumentenkatalog), je nach Risikoexposition.
Vision
- Der SVV begrüsst Pflichtversicherungen dort, wo sie Sinn machen.
- Pflichtversicherungen sind nach einheitlichen Grundsätzen und ausschliesslich bundesrechtlich zu regeln.
- Der SVV wirkt aktiv im Gesetzgebungsverfahren mit.
Bewertungsraster
Das Bewertungsraster dient der Analyse und Gewichtung von Risiken. Das Bewertungsraster «Pflichtversicherungen» orientiert sich an verschiedenen Kriterien, unter anderem an der Wählbarkeit der Risikoexposition, der Anzahl potenziell Geschädigter und dem Schadenpotenzial. Das Raster ermöglicht dem Gesetzgeber, diejenigen Kriterien einzustufen, die eine Pflichtversicherung rechtfertigen könnten. Wird ein festzulegender Grenzwert erreicht, gilt das Risiko als «pflichtversicherungswürdig».
Instrumentenkatalog
Risiken, die den Grenzwert erreichen, können trotzdem noch unterschiedlich hoch sein. Daher unterstützt als drittes Element der Instrumentenkatalog den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Pflichtversicherungen nach versicherungstechnischen Grundsätzen. Je nach Risikohöhe kann die reine Pflicht reichen, eine Versicherung abzuschliessen. In der Regel rechtfertigt sich die Festlegung von Mindestversicherungssummen, bei schwereren Risiken unter Umständen ein direktes Forderungsrecht des Geschädigten gegen den Versicherer. Bei besonders hohen Risiken kann sich sogar ein direktes Forderungsrecht mit weiteren Vorgaben rechtfertigen.
Das Konzept ermöglicht es dem Gesetzgeber, für jedes einzelne Risiko eine objektive Risikobeurteilung und angemessene Einstufung in der Risikoeskalation vorzunehmen. Diese schafft mehr Transparenz und Rechtssicherheit für die Konsumenten. Damit hat der SVV ein Standardinstrument mit Mehrwert für den Gesetzgeber und die Assekuranz geschaffen.
Das Konzept wird auch im Buch «Compulsory Liability from a European Perspective» vorgestellt.