Bei der Vor­sor­ge braucht es end­lich po­li­ti­sche Füh­rung

Jahresbericht

Doland Desax ist Leiter Berufliche Vorsorge und Mitglied der Helvetia Konzernleitung sowie Mitglied der Eidgenössischen Kommission für die Berufliche Vorsorge.

Beitrag aus dem Jahresmagazin View

Donald Desax

Ein Kommentar von Donald Desax

«Die Zweite Säule steckt in einer Systemkrise. Die berufliche Vorsorge funktioniert eigentlich wie ein Sparheft, d.h. jeder erhält im Alter das, was für ihn einbezahlt wurde, inkl. Zinsen. Doch zurzeit wird von diesen Zinsen sehr viel abgezwackt, um damit die neuen Renten zu finanzieren, die zu hoch angesetzt sind. Im herrschenden Umfeld ist es unmöglich, die nötige Rendite zu erwirtschaften, um den geltenden Umwandlungssatz von 6,8 Prozent zu finanzieren. 

Eine Reform ist zwingend und dringend, denn bis 2029 werden die letzten Jahrgänge der sogenannten «Baby-Boomer-Generation» in Rente gehen und als Subventionszahler ausfallen, dafür aber als Leistungsbezüger AHV und BVG schwer belasten. Ein realistisches Szenario wäre es, die mehrheitsfähigen Elemente der im Herbst 2017 von Volk und Ständen abgelehnten Reformvorlage sofort umzusetzen – also die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre und eine Senkung des Umwandlungssatzes auf höchstens 6,0 Prozent. Zudem ist ein Beitrag zur Finanzierung der verbleibenden Umwandlungssatzverluste anzustreben. Kompensiert würde dies durch eine Erhöhung der Altersgutschriften um 13 Prozent im Schnitt. Längerfristig sollten darüber hinaus die technischen Parameter wie Umwandlungssatz, Mindestzins, aber auch das Rentenreferenzalter entpolitisiert werden. 

Gemäss der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge werden jährlich sieben Milliarden Franken von den Erwerbstätigen zu den Rentnern umverteilt. Trotzdem ist diese Krise kaum wahrnehmbar. Es liegt auch in der Verantwortung der Politik, Sozialpartner und Medien, das Kind endlich beim Namen zu nennen. Man darf nicht so tun, als ob alles in Ordnung sei. Hier ist politische Führung gefordert! 

Es gibt drei Möglichkeiten, um das Problem anzupacken. Erstens kann man die Beiträge erhöhen. Zweitens kann man die Leistungen kürzen oder man kann drittens länger arbeiten. Doch für einen Politiker, der seine Wiederwahl sicherstellen will, sind dies allesamt keine populären Massnahmen. Hinzu kommt, dass das System nur langsam in Schieflage geraten ist, was die Entscheidungsträger dazu verleitet hat, das Problem auf die lange Bank zu schieben. Politiker vertreten oft Partikularinteressen. Ein gutes Beispiel ist das Rentenalter 65 für Frauen, das mit der Lohngleichheit verknüpft wird. Die beiden Forderungen haben überhaupt keine Verbindung. 

Aufgrund der demografischen Entwicklung braucht es überdies dringend eine Diskussion darüber, wie die steigenden Pflegekosten finanziert werden sollen. Der Vorschlag eines Pflegekapitals von «Avenir Suisse» ist prüfenswert. Neben diesem gibt es noch weitere Vorschläge zur Ausgestaltung einer vierten Säule wie eine geldfreie Zeitvorsorge oder eine Pflegeversicherung. In einer zunehmend überalterten Bevölkerung sind die steigenden Pflegekosten eine gesellschaftliche Zeitbombe und leider wird auch dieses «heisse Eisen» von der Politik nicht angefasst. Ich kann der jungen Bevölkerung nur dringend raten, aktiv Selbstvorsorge zu betreiben!»