Jungbrunnen für die Altersreform
Eine Allianz der bürgerlich-liberalen Jungparteien möchte die Altersvorsorge endlich enkelgerecht machen. Eine Präsidentin und drei Präsidenten erzählen, wie sie der Reform der Altersvorsorge Beine machen wollen.
Wenn man jung ist, sollte man sich nicht mit seiner eigenen Pensionierung befassen. Wer jung ist, sollte das Leben auskosten, die Grenzen der Freiheit ausloten, verwegene Pläne schmieden, aufmüpfig sein, die Welt retten, ein Abenteuer wagen, neue Dinge kennenlernen und in die eigene Ausbildung investieren. Nur so kommt eine Gesellschaft voran. Es ist das Privileg der Jugend, kein Knecht des alten Systems zu sein. Zumindest eine Zeit lang sollte es so sein.
Ironie der Geschichte
Doch die Jugend wird heute schon sehr früh alt. 16-Jährige beschäftigen sich mit so grauen Dingen wie Überalterung, Lohnabzügen, Umverteilung und Vorsorgesparen. Chefbeamte aus Bern finden das gut und freuen sich, wenn Teenager ein «Problembewusstsein» für die Altersvorsorge an den Tag legen, noch bevor sie überhaupt ins Arbeitsleben eingetreten sind. Seit Jahren führt die Angst um die eigene Rente die Sorgenhitliste der Jungen in der Schweiz an. Bei den Alterskolleginnen und -kollegen in Singapur, den USA oder Brasilien ist dies nicht der Fall.
Das sollte nicht einmal für eine Chefbeamtin oder einen Chefbeamten ein Grund zur Freude sein. Wenn in einer modernen Gesellschaft – zumal in einer der reichsten der Welt – die grösste Sorge der 16- bis 19-Jährigen der Altersrente gilt, dann stimmt etwas nicht. Es liegt auf der Hand, dass die «Alten» schuld daran sind. Sie bringen es seit Jahrzehnten nicht fertig, eine zukunftstaugliche und im besten Sinne des Wortes nachhaltige Altersvorsorge zu installieren – wohl wissend, dass sie die Systemprobleme, die sie selber anrichten, als Altlasten an die Kinder und Enkel weitergeben.
Die immer wieder gerne als grösste soziale Errungenschaft verklärte AHV ist innerhalb weniger Jahrzehnte von der Wohltat zu einer Quelle der Angst geworden. Dabei war sie 1948 eigens dazu geschaffen worden, den Menschen die Furcht vor Altersarmut zu nehmen. Welch Ironie der Geschichte! Die Unfähigkeit von Bundesrat und Parlament, die dringend nötigen Reformen anzugehen, hat dafür gesorgt, dass die AHV immer mehr zu dem wird, was sie mit ihrem Umlageverfahren bei genauerer Betrachtung eigentlich schon von Anbeginn war: ein Ponzi-Spiel zulasten der Jungen bzw. Aktiven und der noch nicht Geborenen. Doch darüber spricht man nicht gerne. Dass sich auch in der beruflichen Vorsorge dieses Spiel immer breiter macht und entgegen der Logik des Kapitaldeckungsverfahrens Geld von Jung zu Alt umverteilt, macht die Sache nicht besser; im Gegenteil.
Note: ungenügend
Gelegentlich tritt David Trachsel, Präsident der Jungen SVP, vor eine Schulklasse und fragt nach, wer von den Schülerinnen und Schülern noch davon ausgeht, später einmal eine Altersrente zu erhalten, wie sie heute die Grosseltern erhalten. Das Ergebnis dieser kleinen Umfragen sei fast immer gleich, sagt er. Die grosse Mehrheit der Jugendlichen sei pessimistisch und habe keine Hoffnung auf eine Altersrente im heutigen Stil. «In der optimistischsten Klasse hatte gerade mal ein Drittel der Jugendlichen noch Vertrauen in die Altersvorsorge», sagt Trachsel. Damit stellen die Heranwachsenden der etablierten Politik samt ihrer Verwaltung indirekt ein ziemlich schlechtes Zeugnis aus; Note: ungenügend.
David Trachsel (1994) ist Präsident der Jungen SVP und Grossrat des Kantons Basel-Stadt. Er hat einen Bachelor in Betriebsökonomie und arbeitet als Kundenberater in einer Treuhandfirma. Zudem ist er Geschäftsführer der Konsumentenorganisation Vision Konsum.
«Die zweite Säule muss wieder nach einem sauberem Kapitaldeckungsverfahren ohne Umverteilung finanziert werden.»
Nun mag man einwenden, das sei nicht mehr als anekdotische Evidenz. Doch der Befund dieser kleinen Privatstudie spiegelt die Ergebnisse, die das erwähnte CS-Sorgenbarometer der Jugendlichen seit Jahren immer wieder zutage fördert. Interessant ist dabei, dass die Jugendlichen das schweizerische Vorsorgesystem eigentlich nur unzureichend kennen. «Das konkrete Wissen über die Altersvorsorge ist bei den Jungen wie auch in der Bevölkerung allgemein erschreckend gering», sagt Tobias Vögeli, Co- Präsident der Jungen Grünliberalen. «Die Jungen wissen vielleicht nicht sehr viel Konkretes darüber», sagt David Trachsel, «aber intuitiv spüren sie, dass etwas faul ist. Sie können schliesslich logisch denken.» Fürwahr – dass man Rentenversprechen, die die demografische Realität nicht abbilden, längerfristig nicht halten kann, liegt auf der Hand. «Die Altersvorsorge ist gegenwärtig schlicht nicht zukunftstauglich», sagt Sarah Bünter, Präsidentin der Jungen Mitte.
Angesichts der Komplexität des Themas und der undurchschaubaren Rückkoppelungseffekte im Zusammenspiel mit anderen wohlfahrtsstaatlichen Massnahmen ist es nicht erstaunlich, dass das Wissen über das Vorsorgesystem beschränkt ist. Auch die Schule könnte hier wohl mehr tun.
Doch wenn man jung ist, stehen andere Themen im Vordergrund. «Keiner interessiert sich mit Mitte 20 für Ergänzungsleistungen», sagt Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen. Das wäre auch gar nicht so schlimm, wenn die «Alten», also jene, die gegenwärtig in Amt und Würden sind, ihre Hausaufgaben machen würden.
Die Kuhhändel der Altvorderen
Doch davon ist die Politik weit entfernt. Auch die jüngsten Reformvorschläge geben wenig Hoffnung auf eine baldige Wende im Sinne einer soliden Finanzierung der Altersrente. «Reformen haben heute – wenn überhaupt – nur eine Chance, wenn sie reichlich mit Zückerchen garniert werden», sagt Müller. Genau deshalb droht der beruflichen Vorsorge jetzt sogar eine Mini-AHV. «Das muss unter allen Umständen verhindert werden», sagt Müller. Ein solcher Mechanismus wäre nicht nur systemwidrig, es wäre eine Reform mehr, die nicht nachhaltig ist. In dieser Frage sind sich die bürgerlich-liberalen Jungparteien einig. «Nachhaltigkeit ist das Gebot der Zeit», sagt Sarah Bünter, «ganz gleich, ob in Umweltfragen oder in der Altersvorsorge.»
Deshalb wollen sich die bürgerlich-liberalen Jungparteien die untauglichen «Kuhhändel» der Altvorderen nicht mehr länger gefallen lassen. Derweil die Jungsozialisten zusammen mit ihrer Mutterpartei den Traum von einer Volkspension mit quasi maximalem Umverteilungsgrad träumen, haben sich die Jungfreisinnigen, die Junge Mitte, die Junge SVP, die Jungen Grünliberalen und die Junge EVP zu einer Allianz zusammengeschlossen, um die Altersvorsorge endlich enkelgerecht zu machen.
Tobias Vögeli (1995) ist Co-Präsident der Jungen Grünliberalen und in der Geschäftsleitung der GLP Schweiz. Seit 2016 studiert er in Bern Rechtswissenschaften. Seit 2018 ist er als Gemeinderat (Exekutive) von Frauenkappelen (BE) für die Finanzen zuständig.
«Die Vorsorge können wir nur reformieren, wenn wir jetzt zusammenstehen.»
«Wenn die Bürgerlichen nicht zusammenstehen, wird es uns nicht gelingen, die nötigen Reformen durchzubringen», sagt Sarah Bünter. «Und einfach nichts zu tun», sagt Matthias Müller, «hätte einen Kollateralschaden zur Folge, den sich niemand wünschen kann, zuallerletzt die Jungen.» Die Allianz der Jungparteien sei aus der Not – eben angesichts dieses drohenden Kollateralschadens – entstanden, sagt Tobias Vögeli. Es gebe unter den Jungparteien durchaus Differenzen in dieser Frage. «Aber die Vorsorge können wir nur reformieren, wenn wir jetzt zusammenstehen.»
Was also soll geschehen? Eine radikale Abkehr vom Drei- Säulen-System ist nicht geplant. «Dieses System ist eines der besten der Welt», meint Müller. Die Logik sei klug. Allein – die Spielregeln werden nicht mehr eingehalten. Den «Alten» fehlt der politische Wille, die Leistungen oder das Rentenalter an die Demografie und die Entwicklung auf den Märkten anzupassen. Wegen dieser politischen Trägheit kommt nicht nur die AHV, sondern auch die berufliche Vorsorge zunehmend in Schieflage. Die Pensionskassen brauchen immer mehr Geld, um die Renten zu bezahlen. Und das nehmen sie entgegen dem Prinzip der Kapitaldeckung von den Aktiven.
Sarah Bünter (1993), Präsidentin der Jungen Mitte Schweiz, arbeitet in einem Raumplanungsbüro und ist Masterstudentin in Internationalen Beziehungen an der Universität St. Gallen. Sie ist zudem Parteileitungsmitglied CVP Stadt St.Gallen und Vorstandsmitglied CVP Region St.Gallen/ Gossau.
«Die Altersvorsorge ist gegenwärtig schlicht nicht zukunftstauglich.»
Rund sieben Milliarden Franken werden in der zweiten Säule jährlich von Jung zu Alt umverteilt. Das wollen die Jungparteien nicht mehr länger hinnehmen. «Die zweite Säule muss wieder nach einem sauberem Kapitaldeckungsverfahren ohne Umverteilung finanziert werden», sagt David Trachsel. Die Jungparteien fordern in ihrer gemeinsamen Vernehmlassungsantwort zur Reform der zweiten Säule deshalb eine Entpolitisierung des Umwandlungssatzes. «Der Umwandlungssatz muss sich künftig automatisch an objektive, versicherungsmathematische Kriterien wie die Lebenserwartung oder die Marktentwicklung richten», sagt Sarah Bünter.
Arbeit soll sich lohnen
Längst überfällig ist für die Jungparteien natürlich auch die Anpassung des Rentenalters an die gestiegene Lebenerwartung. «Wir müssen weg von der Zwangspensionierung», sagt Tobias Vögeli. Das Rentenalter soll vielmehr unabhängig vom Geschlecht zügig erhöht und gleichzeitig flexibilisiert werden. Mit der Flexibilisierung soll die Eigenverantwortung gestärkt werden. «Wer mehr und länger arbeitet, soll auch eine höhere Rente erhalten», sagt Matthias Müller. Die Forderung nach einer Erhöhung des Rentenalters dürfte auf der politischen Agenda bleiben, zumal die Renteninitiative der Jungfreisinnigen diesen Sommer eingereicht werden soll.
Grundsätzlich sind sich die Jungparteien einig, dass sich Arbeit lohnen muss, und zwar spürbar. «Unsere grosszügigen Sozialwerke können wir uns nur leisten, wenn wir unsere typisch schweizerische Arbeitsmoral pflegen und erhalten», meint David Trachsel. Diesem Prinzip laufen gegenwärtig aber eine ganze Reihe von sozialstaatlichen Massnahmen diametral entgegen. Zu nennen sind hier etwa die Steuerprogression, Prämienverbilligungen oder Krippensubventionen. Wer sein Arbeitspensum freiwillig reduziert, um mehr Freizeit zu haben, hat gute Chancen auf solche staatlichen Zuschüsse. «Viele sind sich gar nicht bewusst», sagt Sarah Bünter, «wie sehr heute jene Leute begünstigt werden, die freiwillig weniger arbeiten, als sie eigentlich könnten.»
Solche Fehlanreize soll es bei der Altersvorsorge nicht mehr geben. Die Jungparteien wollen ein an ein Referenzalter geknüpftes Bonus-Malus-System einführen. Wer mehr und länger arbeitet, bekommt auch eine höhere Rente. Als logische Folge dieser Flexibilisierung müsse die Altersarbeit attraktiver werden, sagt Matthias Müller, und denkt dabei an eine reduzierte Einkommenssteuer. Ausserdem sollen die Altersgutschriften angeglichen werden, weil diese dafür sorgen, dass die Arbeit älterer Arbeitnehmer künstlich verteuert wird.
Neue Arbeitswelt
«Die Reform der Altersvorsorge muss auch die Lebensläufe in der modernen Arbeitswelt berücksichtigen», sagt Sarah Bünter. Lebenslange Arbeitsverhältnisse und ununterbrochene Erwerbstätigkeit sind überholte Konzepte. Man arbeitet heute auf Projektbasis, für mehrere Arbeitgeber gleichzeitig, hat auch einmal eine Erwerbspause oder ist teilzeitlich selbständig. Auf all diese «Sonderfälle» ist das gegenwärtige System nicht oder nur schlecht ausgerichtet. Das wollen die Jungparteien ändern. Der Koordinationsabzug soll gesenkt oder gar gestrichen werden, denn durch ihn werden Teilzeitangestellte bei der beruflichen Vorsorge benachteiligt. Zudem sollen junge Erwachsene schon ab 18 in die zweite Säule einzahlen dürfen und nicht erst ab 25 wie heute – dies im Interesse all jener, die eine Berufslehre absolviert haben und früher auf den Arbeitsmarkt kommen als Akademiker. Das würde den Nachteil der tendenziell tieferen Einkommen bei Nichtakademikern zumindest teilweise kompensieren.
Zusammengefasst darf man dem Konzept der bürgerlich- liberalen Jungparteien attestieren, dass es von Vernunft, Pragmatismus und Realitätssinn geprägt ist und nicht von politischem Kalkül oder Profilierungsgelüsten. Es erstaunt daher nicht, dass auch aus der Fachwelt Lob kommt. Ihm gefalle am Reformplan der Jungpolitiker, dass sie nicht primär eigene Interessen verfolgten, sondern nach gerechten Lösungen suchten, sagte Martin Eling, Versicherungsökonom und Professor an der Universität St. Gallen, in der «NZZ am Sonntag».
Matthias Müller (1992), Präsident der Jungfreisinnigen, hat in St. Gallen Rechts- mit Wirtschaftswissenschaften studiert. Er doktoriert aktuell an der Universität Zürich im Übernahmerecht und arbeitet bei einer grossen Wirtschaftskanzlei in Zürich als Anwaltspraktikant.
«Einfach nichts zu tun, hätte einen Kollateralschaden zur Folge.»
Die Jungparteien wollen ihrem Konzept mit einer breiten Kampagne Gehör verschaffen. Zu hoffen ist, dass ihnen das gelingt. Es steht schliesslich nichts Geringeres auf dem Spiel als der gute alte Generationenvertrag.
Altersvorsorge: Parlament ist gefordert
Im November 2020 hat der Bundesrat die Botschaft zur Reform der beruflichen Vorsorge an das Parlament überwiesen. Kern der Vorlage ist die aus Sicht des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV zwingende und dringende Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes auf 6,0 Prozent in einem Schritt. Diese erfordert eine gezielte und bedarfsgerechte Kompensation innerhalb der zweiten Säule für die besonders betroffene Übergangsgeneration.
Den vom Bundesrat vorgeschlagenen, zeitlich unbegrenzten und im Umlageverfahren systemfremd finanzierten Rentenzuschlag lehnt der SVV jedoch klar ab. Im Februar 2021 hat die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-N) einstimmig Eintreten auf die Vorlage beschlossen. Schon im August 2019 hat der Bundesrat die Botschaft zur Stabilisierung der AHV verabschiedet.
Der SVV hatte schon in der Vernehmlassung auf die Notwendigkeit hingewiesen, sowohl auf Einnahmenseite wie auch auf Leistungsseite Anpassungen vorzunehmen. Im Februar 2021 hat die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats (SGK-S) die Detailberatung der Vorlage abgeschlossen. Die Beratung in den beiden Räten findet im Verlauf des Jahres 2021 statt.
Glossar
Die erste Säule der Altersvorsorge, die AHV, wird nach dem Umlageverfahren finanziert. Dabei werden die laufenden Ausgaben (v. a. Renten) durch die laufenden Einnahmen (v. a. Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Beiträge des Bundes und MWST-Erträge) gedeckt.
Die zweite Säule, die berufliche Vorsorge, wird nach dem Kapitaldeckungsverfahren finanziert. Wie bei einem Sparkonto wird in der Pensionskasse für jeden Versicherten und jede Versicherte während des Erwerbslebens ein Altersgut haben angespart.
Zur Äufnung des Altersguthabens werden in der Pensionskasse jährliche Altersgutschriften gutgeschrieben. Diese werden in Prozenten des koordinierten Lohnes festgelegt. Ihre Höhe hängt vom Alter der versicherten Person ab.
Der Koordinationsabzug beträgt 7/8 der maximalen einfachen AHV-Rente (Stand 2021: 25‘095 Franken). Auf diesem Teil des Lohnes müssen keine Altersgutschriften gutgeschrieben werden.
Der Umwandlungssatz bestimmt zusammen mit dem bei der Pensionierung vorhandenen Altersguthaben die Höhe der Rente in der zweiten Säule. Ein Umwandlungssatz von sechs Prozent bedeutet, dass eine Rentnerin oder ein Rentner je 100‘000 Franken angespartem Altersguthaben jährlich 6000 Franken Rente ausbezahlt erhält.
Dieser Artikel ist im Rahmen des SVV Jahresmagazins «View» erschienen.