«Mit Pa­nik­ma­che und Ak­ti­vis­mus ver­liert man Glaub­wür­dig­keit»

Interview

Wie Klimawandel und Biodiversität zusammenspielen, warum jedes Unternehmen klimakompatible Strategien braucht und wie man junge Mitarbeitende als Sounding Board für Nachhaltigkeit einsetzen kann.

David Bresch, Professor für Wetter- und Klimarisiken an der ETH Zürich und ehemaliger Leiter Nachhaltigkeit bei Swiss Re, spricht im Interview über seine Erwartungen an die COP28, die Auswirkungen von Wetterextremen und betont die Dringlichkeit von Netto-Null. Er zeigt auf, welchen Beitrag Unternehmen, aber auch jede und jeder von uns leisten kann, um die Welt nachhaltiger zu machen.

35 Grad im Sommer und ein ungewöhnlich warmer Herbst – ist das die neue Realität?

David Bresch: Seit 1864 liegen für die Schweiz Temperaturaufzeichnungen vor. Wir beobachten in den letzten Jahrzehnten einen klaren Trend: Wetterextreme wie Hitzewellen im Sommer, aber auch wärmere Herbsttage nehmen zu. Das bedeutet nicht, dass es keinen verregneten Sommer oder schneereichen Winter mehr geben kann. Aber Wetterextreme sind Realität und darauf müssen wir uns einstellen.

Welche Auswirkungen haben Wetterextreme auf unsere Ökosysteme?

Sie leiden unter der Hitze. Verändern sich die Rahmenbedingungen – etwa die Menge an Niederschlag oder die Länge der Trockenperiode – schneller, als dass sich das Ökosystem anpassen kann, ist auch die Biodiversität bedroht. Ein einzelner trockener Sommer macht einem Buchenwald nichts, aber drei trockene Sommer in Folge können dazu führen, dass ein Schutzwald in einem Lawinengebiet bei einem Lawinenniedergang seine Tragfähigkeit verliert und eine Lawine dadurch einen grossen Schaden anrichtet.

Wie spielen Klimawandel und Biodiversität zusammen?

Klimaveränderungen hat es in der Geschichte schon immer gegeben. Ökosysteme können durchaus mit Veränderungen umgehen. Aber wir Menschen erwarten von unseren Ökosystemen hohe Leistungen und diese Leistungen sind oft stark abhängig von stabilen Klimabedingungen. Der Mensch trägt dazu bei, dass sich die klimatischen Bedingungen so schnell verändern, dass Ökosysteme nicht mehr Schritt halten können. 

Portrait_Bresch


David Bresch ist Professor für Wetter- und Klimarisiken an der ETH Zürich
und ehemaliger Leiter Nachhaltigkeit bei Swiss Re
Quelle: ewz / Jean-Richard Hadrien

Ist Netto-Null bis 2050 noch realistisch?

Das ist eine reine Willensfrage. Wir können es erreichen, aber wir müssen es wollen – und Netto-Null gibt es nicht gratis. Zum einen erfordert das Ziel massive finanzielle Investitionen. Die Finanzindustrie spielt dabei eine zentrale Rolle. Ich etwa möchte nicht, dass meine Pensionskasse meine Gelder in eine Zukunft investiert, in der ich gar nicht pensioniert werden möchte. Finanzinstitute wie Pensionskassen verfügen über das notwendige Kapital, um eine nachhaltige Zukunft zu finanzieren. Zum anderen braucht es Unternehmen, die innovativ sind, ihre Prozesse hinterfragen und grundlegend umbauen, so dass sie entweder nichts mehr emittieren oder das CO2 abscheiden und speichern.  

Wenn wir es schaffen, das Übel an der Wurzel zu packen – nämlich die Treibhausgasemissionen zu senken –, können wir einen Wandel erreichen und sogenannte Tipping Points, also dramatische Klimaveränderungen, verhindern.

Welchen Beitrag kann ich als Privatperson zum Klimaschutz leisten?

Ich bin überzeugt, dass wir mit weniger mehr erreichen, indem wir auf Qualität setzen. Für mich bedeutet das: öfters in der Schweiz Ferien machen, regional einkaufen, etwas weniger Fleisch essen, auf Kreislaufwirtschaft setzen. Jede und jeder von uns kann hier einen Beitrag leisten. Denn wir wissen: Mehr Wachstum in unserer Wohlstandsgesellschaft bedeutet nicht automatisch, dass wir zufriedener werden. Trotzdem will niemand auf Wohlstand verzichten. Deshalb braucht es primär Anreize und so lange wie möglich keine Verbote.
 

«Netto-Null ist eine reine Willensfrage.»

Mit Panikmache und Extremismus verliert man Glaubwürdigkeit …

Um den Klimaschutz voranzutreiben, braucht es politische Mehrheiten. Klimakleber schaden der Debatte, das haben die letzten Wahlen gezeigt. Wir müssen Lösungen aufzeigen. Ich vertraue dabei auf unsere offene, liberale und demokratische Gesellschaft und auf Pioniere in der Wirtschaft und Wissenschaft. Das Ziel – Netto-Null – ist klar, machen wir uns gemeinsam auf den Weg. 
 

Welchen Hebel haben Unternehmen?

Ihr grösster Hebel besteht darin, die Strategie auf Klimakompatibilität zu prüfen. Wie kommen wir auf Netto-Null? Ist unsere Strategie klimaresilient – können wir zum Beispiel unsere Prozesse so gestalten und anpassen, dass wir in einem Hitzesommer produktiv sein können? Erhält oder fördert unsere Strategie die Biodiversität? Massnahmen sind dann branchenspezifisch unterschiedlich. Es geht immer auch um die Frage nach der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit: Wie können wir unsere Produkte und Dienstleistungen so gestalten, dass wir sie langfristig verkaufen können? Je nachdem ist es sinnvoll, eine Position im Unternehmen zu schaffen, die sich um Nachhaltigkeitsfragen kümmert. Dann braucht es immer wieder den Spiegel von aussen und die Zusammenarbeit mit der Konkurrenz beziehungsweise innerhalb der Branche. 
 

Was können Unternehmen zusätzlich tun?

In den Diskussionen um Nachhaltigkeit und Klimaschutz müssen Unternehmen unbedingt die jungen Mitarbeitenden miteinbeziehen. Viele von ihnen haben verstanden, dass sie in einer Welt aufwachsen, die sie im Dialog mitgestalten können und müssen. Unternehmen können sie in der Strategieentwicklung als Sounding Board miteinbeziehen. Welche Produkte und Dienstleistungen brauchen sie wirklich? Welchen Preis sind sie bereit zu zahlen? Junge Arbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer schauen punkto Klimaschutz und Nachhaltigkeit genau hin. Sie wollen nicht für eine Firma tätig sein, die keine Zukunft hat. Wenn Unternehmen zeigen, dass sie aktiv an nachhaltigen und klimafreundlichen Lösungen arbeiten, verfügen sie bereits über einen Wettbewerbsvorteil, auch als Arbeitgeber.
 

Welche Rolle kommt der Versicherungswirtschaft in der Nachhaltigkeit zu?

Die grössten Hebel im Versicherungsgeschäft liegen in der Prävention, im Underwriting, im Produktmanagement sowie bei den Kapitalanlagen. Im Unterschied zu anderen Branchen hat die Versicherungswirtschaft ein ureigenes Interesse daran, die Auswirkungen der Klimaerwärmung zu begrenzen, denn sie hat die Risiken in der eigenen Bilanz. Versicherer möchten attraktive Prämien anbieten. Das können sie nur, wenn sie die Risiken im Griff haben. Das macht die Schweiz vorbildlich, etwa mit den kantonalen Gebäudeversicherungen und dem Elementarschadenpool. Hier haben wir einen riesigen Vorteil gegenüber anderen Ländern: Weil sich die Versicherungsbranche darauf geeinigt hat, dass es Risiken gibt, bei denen es nicht sinnvoll ist, dass sie individuell getragen werden – im Fall der Elementarschadenversicherung weder vom einzelnen Hausbesitzer noch vom einzelnen Versicherer. Diese Instrumente müssen wir stärken.
 

In zwei Tagen startet die 28. Weltklimakonferenz in Dubai. Was erhoffen Sie sich von den Verhandlungen?

Angesichts der aktuellen Geopolitik sind die Erwartungen tief: Wenn alle Parteien am Tisch erscheinen und bleiben, ist das bereits als Erfolg zu werten. Wir müssen alles daransetzen, dass der Dialog weitergeführt wird. Ebenfalls zentral ist, dass die Länder ihre «Nationally Determined Contributions» – also die Bemühungen, ihre nationalen Treibhausgasemissionen zu reduzieren – aufrechterhalten. Nicht vergessen darf man auch die Bedeutung der Gespräche hinter den Kulissen. Der Gastgeber mag hinsichtlich der Dekarbonisierung nicht der Glaubwürdigste sein. Betrachtet man hingegen das Investitionspotenzial, das die Region mit sich bringt, ist der Standort durchaus klug gewählt.

Über Prof. Dr. David N. Bresch 

Die gemeinsame Professur von ETH und MeteoSchweiz für Wetter- und Klimarisiken unter-sucht die Wirkung von Wetter und Klima auf sozioökonomische Systeme. Dazu werden Computermodelle mit dem vertieften Dialog mit diversen Anspruchsgruppen kombiniert. Dies führt zu gemeinsamer Entwicklung von Entscheidungsunterstützungswerkzeugen mit Partnern aus Verwaltung und Industrie. David Bresch ist Physiker, war viele Jahre bei der Swiss Re tätig und Mitglied der Schweizer Delegation an den UN-Klimaverhandlungen.